Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
Erster Abschnitt.

Die frohen Tage der Erwartung.

Am 9. Juni 1840 versammelte Fürst Metternich die sämmtlichen in
Wien anwesenden deutschen Gesandten zu einem Festmahle und gedachte
in bewegter Rede jenes schönen Bundes, der nunmehr seit einem Viertel-
jahrhundert den Deutschen Glück und Frieden sichere. Fürstin Melanie
weinte tiefgerührt; denn jeden Augenblick erwartete man aus Berlin die
Kunde vom Tode des erkrankten Königs, und was mochte die herauf-
steigende neue Zeit bringen? An der Tafel saß auch der Bundespräsi-
dialgesandte Münch-Bellinghausen, der nach seiner Gewohnheit die letzten
acht Arbeitsmonate an der Donau zugebracht hatte, um demnächst wäh-
rend der heißen Jahreszeit die Ferien des Bundestags wieder zu unter-
brechen. Mancher der Gäste sogar konnte sich der unmuthigen Frage nicht
enthalten, ob dieser von der Hofburg so geringschätzig behandelte Bund wohl
eines Festes werth sei.*) In der Nation ward der Erinnerungstag des
Deutschen Bundes nirgends beachtet, kaum daß da oder dort ein Zeitungs-
blatt einen der landesüblichen bittern Scherze über das rothe Frankfurter
"Incompetenzgebäude" brachte.

Wer sollte auch jubeln über die Saat des Unfriedens, die in diesen
fünfundzwanzig Friedensjahren aufgeschossen war? Schroffer, unversöhn-
licher denn je traten die alten großen Gegensätze unserer Geschichte ein-
ander entgegen. Während die deutsche Bundesverfassung nur durch die
Freundschaft der beiden Großmächte aufrecht erhalten werden konnte und
der Gesandte in Wien, Graf Maltzan, zur lebhaften Befriedigung des
alten Königs, den Grundgedanken der correcten preußischen Staatskunst
in dem Satze zusammenfaßte: "nicht unter, aber stets mit Oesterreich"**),
hatte derselbe Monarch bereits einen Weg eingeschlagen, welcher un-
ausweichlich zur Trennung von Oesterreich führen mußte. Das stolze
Werk dieser neu aufgenommenen fridericianischen Politik, der Zollverein,

*) Maltzan's Berichte, 9. Juni 1840 ff.
**) Maltzan's Berichte, Mai 1840. Randbemerkung des Königs: C'est bien cela
Rien de plus correct.
1*
Erſter Abſchnitt.

Die frohen Tage der Erwartung.

Am 9. Juni 1840 verſammelte Fürſt Metternich die ſämmtlichen in
Wien anweſenden deutſchen Geſandten zu einem Feſtmahle und gedachte
in bewegter Rede jenes ſchönen Bundes, der nunmehr ſeit einem Viertel-
jahrhundert den Deutſchen Glück und Frieden ſichere. Fürſtin Melanie
weinte tiefgerührt; denn jeden Augenblick erwartete man aus Berlin die
Kunde vom Tode des erkrankten Königs, und was mochte die herauf-
ſteigende neue Zeit bringen? An der Tafel ſaß auch der Bundespräſi-
dialgeſandte Münch-Bellinghauſen, der nach ſeiner Gewohnheit die letzten
acht Arbeitsmonate an der Donau zugebracht hatte, um demnächſt wäh-
rend der heißen Jahreszeit die Ferien des Bundestags wieder zu unter-
brechen. Mancher der Gäſte ſogar konnte ſich der unmuthigen Frage nicht
enthalten, ob dieſer von der Hofburg ſo geringſchätzig behandelte Bund wohl
eines Feſtes werth ſei.*) In der Nation ward der Erinnerungstag des
Deutſchen Bundes nirgends beachtet, kaum daß da oder dort ein Zeitungs-
blatt einen der landesüblichen bittern Scherze über das rothe Frankfurter
„Incompetenzgebäude“ brachte.

Wer ſollte auch jubeln über die Saat des Unfriedens, die in dieſen
fünfundzwanzig Friedensjahren aufgeſchoſſen war? Schroffer, unverſöhn-
licher denn je traten die alten großen Gegenſätze unſerer Geſchichte ein-
ander entgegen. Während die deutſche Bundesverfaſſung nur durch die
Freundſchaft der beiden Großmächte aufrecht erhalten werden konnte und
der Geſandte in Wien, Graf Maltzan, zur lebhaften Befriedigung des
alten Königs, den Grundgedanken der correcten preußiſchen Staatskunſt
in dem Satze zuſammenfaßte: „nicht unter, aber ſtets mit Oeſterreich“**),
hatte derſelbe Monarch bereits einen Weg eingeſchlagen, welcher un-
ausweichlich zur Trennung von Oeſterreich führen mußte. Das ſtolze
Werk dieſer neu aufgenommenen fridericianiſchen Politik, der Zollverein,

*) Maltzan’s Berichte, 9. Juni 1840 ff.
**) Maltzan’s Berichte, Mai 1840. Randbemerkung des Königs: C’est bien cela
Rien de plus correct.
1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017" n="[3]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/>             Die frohen Tage der Erwartung.</hi> </head><lb/>
          <p>Am 9. Juni 1840 ver&#x017F;ammelte Für&#x017F;t Metternich die &#x017F;ämmtlichen in<lb/>
Wien anwe&#x017F;enden deut&#x017F;chen Ge&#x017F;andten zu einem Fe&#x017F;tmahle und gedachte<lb/>
in bewegter Rede jenes &#x017F;chönen Bundes, der nunmehr &#x017F;eit einem Viertel-<lb/>
jahrhundert den Deut&#x017F;chen Glück und Frieden &#x017F;ichere. Für&#x017F;tin Melanie<lb/>
weinte tiefgerührt; denn jeden Augenblick erwartete man aus Berlin die<lb/>
Kunde vom Tode des erkrankten Königs, und was mochte die herauf-<lb/>
&#x017F;teigende neue Zeit bringen? An der Tafel &#x017F;aß auch der Bundesprä&#x017F;i-<lb/>
dialge&#x017F;andte Münch-Bellinghau&#x017F;en, der nach &#x017F;einer Gewohnheit die letzten<lb/>
acht Arbeitsmonate an der Donau zugebracht hatte, um demnäch&#x017F;t wäh-<lb/>
rend der heißen Jahreszeit die Ferien des Bundestags wieder zu unter-<lb/>
brechen. Mancher der Gä&#x017F;te &#x017F;ogar konnte &#x017F;ich der unmuthigen Frage nicht<lb/>
enthalten, ob die&#x017F;er von der Hofburg &#x017F;o gering&#x017F;chätzig behandelte Bund wohl<lb/>
eines Fe&#x017F;tes werth &#x017F;ei.<note place="foot" n="*)">Maltzan&#x2019;s Berichte, 9. Juni 1840 ff.</note> In der Nation ward der Erinnerungstag des<lb/>
Deut&#x017F;chen Bundes nirgends beachtet, kaum daß da oder dort ein Zeitungs-<lb/>
blatt einen der landesüblichen bittern Scherze über das rothe Frankfurter<lb/>
&#x201E;Incompetenzgebäude&#x201C; brachte.</p><lb/>
          <p>Wer &#x017F;ollte auch jubeln über die Saat des Unfriedens, die in die&#x017F;en<lb/>
fünfundzwanzig Friedensjahren aufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en war? Schroffer, unver&#x017F;öhn-<lb/>
licher denn je traten die alten großen Gegen&#x017F;ätze un&#x017F;erer Ge&#x017F;chichte ein-<lb/>
ander entgegen. Während die deut&#x017F;che Bundesverfa&#x017F;&#x017F;ung nur durch die<lb/>
Freund&#x017F;chaft der beiden Großmächte aufrecht erhalten werden konnte und<lb/>
der Ge&#x017F;andte in Wien, Graf Maltzan, zur lebhaften Befriedigung des<lb/>
alten Königs, den Grundgedanken der correcten preußi&#x017F;chen Staatskun&#x017F;t<lb/>
in dem Satze zu&#x017F;ammenfaßte: &#x201E;nicht unter, aber &#x017F;tets mit Oe&#x017F;terreich&#x201C;<note place="foot" n="**)">Maltzan&#x2019;s Berichte, Mai 1840. Randbemerkung des Königs: <hi rendition="#aq">C&#x2019;est bien cela<lb/>
Rien de plus correct.</hi></note>,<lb/>
hatte der&#x017F;elbe Monarch bereits einen Weg einge&#x017F;chlagen, welcher un-<lb/>
ausweichlich zur Trennung von Oe&#x017F;terreich führen mußte. Das &#x017F;tolze<lb/>
Werk die&#x017F;er neu aufgenommenen fridericiani&#x017F;chen Politik, der Zollverein,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0017] Erſter Abſchnitt. Die frohen Tage der Erwartung. Am 9. Juni 1840 verſammelte Fürſt Metternich die ſämmtlichen in Wien anweſenden deutſchen Geſandten zu einem Feſtmahle und gedachte in bewegter Rede jenes ſchönen Bundes, der nunmehr ſeit einem Viertel- jahrhundert den Deutſchen Glück und Frieden ſichere. Fürſtin Melanie weinte tiefgerührt; denn jeden Augenblick erwartete man aus Berlin die Kunde vom Tode des erkrankten Königs, und was mochte die herauf- ſteigende neue Zeit bringen? An der Tafel ſaß auch der Bundespräſi- dialgeſandte Münch-Bellinghauſen, der nach ſeiner Gewohnheit die letzten acht Arbeitsmonate an der Donau zugebracht hatte, um demnächſt wäh- rend der heißen Jahreszeit die Ferien des Bundestags wieder zu unter- brechen. Mancher der Gäſte ſogar konnte ſich der unmuthigen Frage nicht enthalten, ob dieſer von der Hofburg ſo geringſchätzig behandelte Bund wohl eines Feſtes werth ſei. *) In der Nation ward der Erinnerungstag des Deutſchen Bundes nirgends beachtet, kaum daß da oder dort ein Zeitungs- blatt einen der landesüblichen bittern Scherze über das rothe Frankfurter „Incompetenzgebäude“ brachte. Wer ſollte auch jubeln über die Saat des Unfriedens, die in dieſen fünfundzwanzig Friedensjahren aufgeſchoſſen war? Schroffer, unverſöhn- licher denn je traten die alten großen Gegenſätze unſerer Geſchichte ein- ander entgegen. Während die deutſche Bundesverfaſſung nur durch die Freundſchaft der beiden Großmächte aufrecht erhalten werden konnte und der Geſandte in Wien, Graf Maltzan, zur lebhaften Befriedigung des alten Königs, den Grundgedanken der correcten preußiſchen Staatskunſt in dem Satze zuſammenfaßte: „nicht unter, aber ſtets mit Oeſterreich“ **), hatte derſelbe Monarch bereits einen Weg eingeſchlagen, welcher un- ausweichlich zur Trennung von Oeſterreich führen mußte. Das ſtolze Werk dieſer neu aufgenommenen fridericianiſchen Politik, der Zollverein, *) Maltzan’s Berichte, 9. Juni 1840 ff. **) Maltzan’s Berichte, Mai 1840. Randbemerkung des Königs: C’est bien cela Rien de plus correct. 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/17
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/17>, abgerufen am 03.12.2024.