Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Rochow's Entlassung. liebevollen Briefe: er hätte erfahren, daß Rochow seiner Gesundheithalber auszutreten wünsche, und könne ihn nur unter Thränen scheiden sehen. "Ich habe", so fuhr er fort, "den kalten Verstand zu Hilfe rufen müssen, und Sie wissen, lieber Freund, daß der nicht immer kommt wenn ich ihn rufe. Er ist aber diesmal Gottlob gekommen, und jetzt -- billige ich Ihre Wünsche ... Es muß nothwendig so eingerichtet werden, daß auch die Bosheit nicht behaupten könne, Sie würden Schön zum Opfer gebracht. Wenn Sie kurz nach Schön's Abgang Ihre Stel- lung verändern, so ist dies politisch gut und ersprießlich." Dann ließ er ihm die Wahl zwischen mehreren hohen Aemtern. Fünf Tage nachher sendete Rochow das ihm also aufgezwungene Entlassungsgesuch ein. Er fühlte sich tief verletzt durch die freundschaftlichen Worte, die ihm unter solchen Umständen fast wie Heuchelei erscheinen mußten, und sagte in seinem Begleitschreiben sehr deutlich, daß er die Gründe seines Sturzes wohl errathen hatte. Die schwierige Stellung, so schrieb er, ist unter den seit 1840 ein- getretenen Verhältnissen nur dann auszufüllen, wenn den Minister "der Besitz des Einverständnisses, des offenen Vertrauens und des Schutzes seines Souveräns dazu befähigt einen bestimmt bezeichneten Weg conse- quent und mit frischem Muthe zu verfolgen." Das Gesuch ward genehmigt, und zugleich verfügte der König, daß Rochow, da er kein anderes Amt annahm, den Sitz im Ministerium wie im Staatsrathe behalten solle.*) Auch diese Befehle wurden vorläufig noch streng geheim gehalten; *) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April; zwei Eingaben Rochow's an den König, 14. April; Thile's Bericht an den König, 24. April 1842. 11*
Rochow’s Entlaſſung. liebevollen Briefe: er hätte erfahren, daß Rochow ſeiner Geſundheithalber auszutreten wünſche, und könne ihn nur unter Thränen ſcheiden ſehen. „Ich habe“, ſo fuhr er fort, „den kalten Verſtand zu Hilfe rufen müſſen, und Sie wiſſen, lieber Freund, daß der nicht immer kommt wenn ich ihn rufe. Er iſt aber diesmal Gottlob gekommen, und jetzt — billige ich Ihre Wünſche … Es muß nothwendig ſo eingerichtet werden, daß auch die Bosheit nicht behaupten könne, Sie würden Schön zum Opfer gebracht. Wenn Sie kurz nach Schön’s Abgang Ihre Stel- lung verändern, ſo iſt dies politiſch gut und erſprießlich.“ Dann ließ er ihm die Wahl zwiſchen mehreren hohen Aemtern. Fünf Tage nachher ſendete Rochow das ihm alſo aufgezwungene Entlaſſungsgeſuch ein. Er fühlte ſich tief verletzt durch die freundſchaftlichen Worte, die ihm unter ſolchen Umſtänden faſt wie Heuchelei erſcheinen mußten, und ſagte in ſeinem Begleitſchreiben ſehr deutlich, daß er die Gründe ſeines Sturzes wohl errathen hatte. Die ſchwierige Stellung, ſo ſchrieb er, iſt unter den ſeit 1840 ein- getretenen Verhältniſſen nur dann auszufüllen, wenn den Miniſter „der Beſitz des Einverſtändniſſes, des offenen Vertrauens und des Schutzes ſeines Souveräns dazu befähigt einen beſtimmt bezeichneten Weg conſe- quent und mit friſchem Muthe zu verfolgen.“ Das Geſuch ward genehmigt, und zugleich verfügte der König, daß Rochow, da er kein anderes Amt annahm, den Sitz im Miniſterium wie im Staatsrathe behalten ſolle.*) Auch dieſe Befehle wurden vorläufig noch ſtreng geheim gehalten; *) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April; zwei Eingaben Rochow’s an den König, 14. April; Thile’s Bericht an den König, 24. April 1842. 11*
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Rochow’s Entlaſſung.
liebevollen Briefe: er hätte erfahren, daß Rochow ſeiner Geſundheit
halber auszutreten wünſche, und könne ihn nur unter Thränen ſcheiden
ſehen. „Ich habe“, ſo fuhr er fort, „den kalten Verſtand zu Hilfe rufen
müſſen, und Sie wiſſen, lieber Freund, daß der nicht immer kommt wenn
ich ihn rufe. Er iſt aber diesmal Gottlob gekommen, und jetzt —
billige ich Ihre Wünſche … Es muß nothwendig ſo eingerichtet
werden, daß auch die Bosheit nicht behaupten könne, Sie würden Schön
zum Opfer gebracht. Wenn Sie kurz nach Schön’s Abgang Ihre Stel-
lung verändern, ſo iſt dies politiſch gut und erſprießlich.“ Dann ließ er
ihm die Wahl zwiſchen mehreren hohen Aemtern. Fünf Tage nachher
ſendete Rochow das ihm alſo aufgezwungene Entlaſſungsgeſuch ein. Er
fühlte ſich tief verletzt durch die freundſchaftlichen Worte, die ihm unter
ſolchen Umſtänden faſt wie Heuchelei erſcheinen mußten, und ſagte in ſeinem
Begleitſchreiben ſehr deutlich, daß er die Gründe ſeines Sturzes wohl errathen
hatte. Die ſchwierige Stellung, ſo ſchrieb er, iſt unter den ſeit 1840 ein-
getretenen Verhältniſſen nur dann auszufüllen, wenn den Miniſter „der
Beſitz des Einverſtändniſſes, des offenen Vertrauens und des Schutzes
ſeines Souveräns dazu befähigt einen beſtimmt bezeichneten Weg conſe-
quent und mit friſchem Muthe zu verfolgen.“ Das Geſuch ward genehmigt,
und zugleich verfügte der König, daß Rochow, da er kein anderes Amt
annahm, den Sitz im Miniſterium wie im Staatsrathe behalten ſolle. *)
Auch dieſe Befehle wurden vorläufig noch ſtreng geheim gehalten;
und ſo konnte das Seltſame geſchehen, daß Rochow, der ſeinen Abſchied
bereits in der Taſche hatte, noch über die Schrift des ebenfalls ſchon ent-
laſſenen Schön ſein Gutachten abgeben mußte. Im Juni wagte der König
endlich abzuſchließen; am 3. wurde Schön’s, am 13. Rochow’s Entlaſſung
veröffentlicht; Schön erhielt die Würde eines Burggrafen von Marienburg,
verlor aber ſeinen Sitz im Staatsminiſterium. So lagen denn beide
Gegner am Boden, obſchon beide noch bis zuletzt auf eine günſtige Wen-
dung gehofft hatten; und keine Partei wußte recht ob ſie klagen oder
jubeln ſollte. Zufrieden waren vorerſt nur die Clericalen, weil Schön und
Rochow beide für Vertreter der alten harten Kirchenpolitik galten. Sehr
bald zeigte ſich jedoch, daß die wunderliche Entſcheidung nur den Liberalen
Schaden brachte. Als Nachfolger Schön’s wurde Geh. Rath Bötticher
berufen, ein tüchtiger Juriſt, der ſich in hohen Richterſtellen bewährt
hatte, in der Verwaltung aber nur wenig leiſtete und unter den Oſt-
preußen niemals ein geſichertes Anſehen erlangte; ſeine hochconſervative
Geſinnung war allbekannt, und der König ſprach bei ſeinem nächſten Be-
ſuche auf Marienburg öffentlich aus, daß er ihn nur deshalb zum Ober-
präſidenten ernannt hätte. Die Stelle des commandirenden Generals er-
*) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April; zwei Eingaben Rochow’s an
den König, 14. April; Thile’s Bericht an den König, 24. April 1842.
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