mit den preußischen Schwägern.*) So unschuldig dachte die deutsche Welt jedoch nicht mehr. Die Königsberger Zeitung forderte stürmisch die Be- festigung Ostpreußens und sprach von einem möglichen Kriege gegen Ruß- land so deutlich, daß der russische Gesandte angewiesen wurde, sich über die Milde der preußischen Censur zu beschweren. Unter solchen Umständen hielt Friedrich Wilhelm für rathsam, der silbernen Hochzeit des russischen Kaiserpaares im Juni 1842 selber beizuwohnen. Das Familienfest ver- lief in guter Freundschaft, Kaiserin Charlotte bemühte sich redlich die beiden Schwäger in heiterer Stimmung zu erhalten. Doch unterdessen spielten hinten den Kulissen unerquickliche politische Verhandlungen.
Die für Preußen so lästige, für Rußland so vortheilhafte Cartellconven- tion war dem Ablaufe nahe, und die Königsberger Kaufmannschaft bat den König, den Vertrag nicht zu erneuern, worauf ihr der herrische, an Ro- chow's Zeiten erinnernde Bescheid zuging: solche politische Fragen lägen über den Gesichtskreis der Unterthanen hinaus. Indessen empfand Fried- rich Wilhelm selbst, wie berechtigt die Klagen seiner Ostpreußen waren. Er nahm die Cabinetsräthe Uhden und Müller nach Petersburg mit um in vertraulichen Unterhandlungen eine Milderung der Grenzsperre durch- zusetzen und unterstützte beide mit der ganzen Macht seiner Beredsam- keit.**) Ein befriedigender Abschluß wurde noch nicht erreicht, obgleich der Czar seinem königlichen Gaste zu Ehren die nach Sibirien verbannten preußischen Schmuggler begnadigte, und man trennte sich schließlich nicht ohne Verstimmung. Im August, bald nach der Heimkehr des Königs, befahl eine Cabinetsordre die Befestigung Königsbergs und des Städtchens Lötzen in der masurischen Seelandschaft; auch Memel und einige andere kleine Plätze an der Ostgrenze sollten Festungswerke erhalten. Der Plan war längst vorbereitet, denn unleugbar hatte der alte König über der Sorge um Deutschlands Westgrenze die Ostmarken militärisch vernachlässigt; das gesammte preußische Land östlich der Weichsellinie entbehrte der Festungen, und sobald General Boyen das Kriegsministerium übernahm, schritt er sofort daran, das seiner geliebten Heimath angethane Unrecht zu sühnen. Daß Preußen dem mächtigen polnischen Festungsdreieck der Russen einige Bollwerke entgegenstellte, konnte an der Newa billigerweise nicht befremden. In diesem Augenblicke aber erschien die Cabinetsordre wie eine Antwort auf den Petersburger Empfang, und man hielt das Verhältniß zwischen den beiden Nachbarhöfen überall für unfreundlicher als es war.
Auf der Heimreise verweilte der Monarch einige Tage in Königsberg. Er wußte, hier sei "im Volke ein Grund edelster Gesinnung und uralter Treue wie vielleicht in keinem anderen Lande". Darum kam er in den ersten sechs Jahren seiner Regierung fünfmal nach Ostpreußen, in der aus-
*) Liebermann's Bericht, 19. April 1842.
**) Bülow an Rauch, 20. Aug. 1842.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
mit den preußiſchen Schwägern.*) So unſchuldig dachte die deutſche Welt jedoch nicht mehr. Die Königsberger Zeitung forderte ſtürmiſch die Be- feſtigung Oſtpreußens und ſprach von einem möglichen Kriege gegen Ruß- land ſo deutlich, daß der ruſſiſche Geſandte angewieſen wurde, ſich über die Milde der preußiſchen Cenſur zu beſchweren. Unter ſolchen Umſtänden hielt Friedrich Wilhelm für rathſam, der ſilbernen Hochzeit des ruſſiſchen Kaiſerpaares im Juni 1842 ſelber beizuwohnen. Das Familienfeſt ver- lief in guter Freundſchaft, Kaiſerin Charlotte bemühte ſich redlich die beiden Schwäger in heiterer Stimmung zu erhalten. Doch unterdeſſen ſpielten hinten den Kuliſſen unerquickliche politiſche Verhandlungen.
Die für Preußen ſo läſtige, für Rußland ſo vortheilhafte Cartellconven- tion war dem Ablaufe nahe, und die Königsberger Kaufmannſchaft bat den König, den Vertrag nicht zu erneuern, worauf ihr der herriſche, an Ro- chow’s Zeiten erinnernde Beſcheid zuging: ſolche politiſche Fragen lägen über den Geſichtskreis der Unterthanen hinaus. Indeſſen empfand Fried- rich Wilhelm ſelbſt, wie berechtigt die Klagen ſeiner Oſtpreußen waren. Er nahm die Cabinetsräthe Uhden und Müller nach Petersburg mit um in vertraulichen Unterhandlungen eine Milderung der Grenzſperre durch- zuſetzen und unterſtützte beide mit der ganzen Macht ſeiner Beredſam- keit.**) Ein befriedigender Abſchluß wurde noch nicht erreicht, obgleich der Czar ſeinem königlichen Gaſte zu Ehren die nach Sibirien verbannten preußiſchen Schmuggler begnadigte, und man trennte ſich ſchließlich nicht ohne Verſtimmung. Im Auguſt, bald nach der Heimkehr des Königs, befahl eine Cabinetsordre die Befeſtigung Königsbergs und des Städtchens Lötzen in der maſuriſchen Seelandſchaft; auch Memel und einige andere kleine Plätze an der Oſtgrenze ſollten Feſtungswerke erhalten. Der Plan war längſt vorbereitet, denn unleugbar hatte der alte König über der Sorge um Deutſchlands Weſtgrenze die Oſtmarken militäriſch vernachläſſigt; das geſammte preußiſche Land öſtlich der Weichſellinie entbehrte der Feſtungen, und ſobald General Boyen das Kriegsminiſterium übernahm, ſchritt er ſofort daran, das ſeiner geliebten Heimath angethane Unrecht zu ſühnen. Daß Preußen dem mächtigen polniſchen Feſtungsdreieck der Ruſſen einige Bollwerke entgegenſtellte, konnte an der Newa billigerweiſe nicht befremden. In dieſem Augenblicke aber erſchien die Cabinetsordre wie eine Antwort auf den Petersburger Empfang, und man hielt das Verhältniß zwiſchen den beiden Nachbarhöfen überall für unfreundlicher als es war.
Auf der Heimreiſe verweilte der Monarch einige Tage in Königsberg. Er wußte, hier ſei „im Volke ein Grund edelſter Geſinnung und uralter Treue wie vielleicht in keinem anderen Lande“. Darum kam er in den erſten ſechs Jahren ſeiner Regierung fünfmal nach Oſtpreußen, in der aus-
*) Liebermann’s Bericht, 19. April 1842.
**) Bülow an Rauch, 20. Aug. 1842.
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mit den preußiſchen Schwägern. *) So unſchuldig dachte die deutſche Welt
jedoch nicht mehr. Die Königsberger Zeitung forderte ſtürmiſch die Be-
feſtigung Oſtpreußens und ſprach von einem möglichen Kriege gegen Ruß-
land ſo deutlich, daß der ruſſiſche Geſandte angewieſen wurde, ſich über
die Milde der preußiſchen Cenſur zu beſchweren. Unter ſolchen Umſtänden
hielt Friedrich Wilhelm für rathſam, der ſilbernen Hochzeit des ruſſiſchen
Kaiſerpaares im Juni 1842 ſelber beizuwohnen. Das Familienfeſt ver-
lief in guter Freundſchaft, Kaiſerin Charlotte bemühte ſich redlich die
beiden Schwäger in heiterer Stimmung zu erhalten. Doch unterdeſſen
ſpielten hinten den Kuliſſen unerquickliche politiſche Verhandlungen.
Die für Preußen ſo läſtige, für Rußland ſo vortheilhafte Cartellconven-
tion war dem Ablaufe nahe, und die Königsberger Kaufmannſchaft bat den
König, den Vertrag nicht zu erneuern, worauf ihr der herriſche, an Ro-
chow’s Zeiten erinnernde Beſcheid zuging: ſolche politiſche Fragen lägen
über den Geſichtskreis der Unterthanen hinaus. Indeſſen empfand Fried-
rich Wilhelm ſelbſt, wie berechtigt die Klagen ſeiner Oſtpreußen waren.
Er nahm die Cabinetsräthe Uhden und Müller nach Petersburg mit um
in vertraulichen Unterhandlungen eine Milderung der Grenzſperre durch-
zuſetzen und unterſtützte beide mit der ganzen Macht ſeiner Beredſam-
keit. **) Ein befriedigender Abſchluß wurde noch nicht erreicht, obgleich der
Czar ſeinem königlichen Gaſte zu Ehren die nach Sibirien verbannten
preußiſchen Schmuggler begnadigte, und man trennte ſich ſchließlich nicht
ohne Verſtimmung. Im Auguſt, bald nach der Heimkehr des Königs,
befahl eine Cabinetsordre die Befeſtigung Königsbergs und des Städtchens
Lötzen in der maſuriſchen Seelandſchaft; auch Memel und einige andere
kleine Plätze an der Oſtgrenze ſollten Feſtungswerke erhalten. Der Plan
war längſt vorbereitet, denn unleugbar hatte der alte König über der Sorge
um Deutſchlands Weſtgrenze die Oſtmarken militäriſch vernachläſſigt; das
geſammte preußiſche Land öſtlich der Weichſellinie entbehrte der Feſtungen,
und ſobald General Boyen das Kriegsminiſterium übernahm, ſchritt er
ſofort daran, das ſeiner geliebten Heimath angethane Unrecht zu ſühnen.
Daß Preußen dem mächtigen polniſchen Feſtungsdreieck der Ruſſen einige
Bollwerke entgegenſtellte, konnte an der Newa billigerweiſe nicht befremden.
In dieſem Augenblicke aber erſchien die Cabinetsordre wie eine Antwort
auf den Petersburger Empfang, und man hielt das Verhältniß zwiſchen
den beiden Nachbarhöfen überall für unfreundlicher als es war.
Auf der Heimreiſe verweilte der Monarch einige Tage in Königsberg.
Er wußte, hier ſei „im Volke ein Grund edelſter Geſinnung und uralter
Treue wie vielleicht in keinem anderen Lande“. Darum kam er in den
erſten ſechs Jahren ſeiner Regierung fünfmal nach Oſtpreußen, in der aus-
*) Liebermann’s Bericht, 19. April 1842.
**) Bülow an Rauch, 20. Aug. 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/184>, abgerufen am 23.11.2024.
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