teien, die eine voll Furcht, die andere voll Hoffnung; die Nation muß wissen woran sie ist.*) Zuletzt beschloß man, die Versammlung zu eröffnen ohne ein Manifest und ohne eine feierliche Anrede des Monarchen; denn die ständischen Entwürfe, mit denen der König sich noch trug, waren seinen Räthen noch nicht mitgetheilt, und er wollte davon für jetzt nichts öffent- lich verlauten lassen.
Am Jahrestage der Leipziger Schlacht traten die Ausschüsse im Schlosse zu Berlin zusammen. Von der gehobenen Stimmung, welche der große Erinnerungstag erwecken sollte, zeigte sich keine Spur. Wohl sagte Arnim in seiner Eröffnungsrede, dies sei für immer ein glorreicher Tag in der Regierung des Königs. Die Versammlung aber fühlte sich unsicher, denn sie sah keinen Rechtsboden unter ihren Füßen; um so ängstlicher mußte sie sich hüten, in die Rechte der Provinziallandtage oder des künftigen Reichstags einzugreifen. Sie bestand aus 98 Mitgliedern, 46 von den Standesherren und der Ritterschaft, 32 städtischen, 20 bäuerlichen Abge- ordneten. Jeder Ueberhebung war durch eine überaus kleinliche Geschäfts- ordnung vorgebeugt. Minister Bodelschwingh erlaubte den Ausschüssen nicht einmal, dem Monarchen in einer Adresse für die Einberufung zu danken; sie mußten ihren Dank in den Protokollen niederlegen. Diese wurden gedruckt und enthielten -- wieder ein kleines Zugeständniß -- sogar die Namen der Redner, aber sie durften nur zum Gebrauche der Mitglieder selbst dienen. Nach langem Suchen hatte das Ministerium endlich drei Fragen aufgefunden, welche den Ausschüssen zur Begutachtung vorgelegt wurden. Die erste betraf den beabsichtigten Steuererlaß von 2 Mill. Thlr. und war im Grunde überflüssig. Denn von vornherein hatte das Finanz- ministerium gerathen, nur eine Steuer, die bei den kleinen Leuten ver- haßte Salzsteuer zu ermäßigen, damit der Beweis königlicher Gnade Jedem in die Augen fiele**); dieser Vorschlag war von der großen Mehrzahl der Provinziallandtage angenommen worden, und den Ausschüssen blieb nur übrig das schon Beschlossene nochmals zu genehmigen. Noch weniger po- litische Bedeutung hatte die dritte Frage wegen der Benutzung der Privat- flüsse; dieser Gesetzentwurf konnte nur technische Erörterungen hervorrufen.
Sehr peinlich aber war der Eindruck, als die Regierung ihre zweite Frage stellte: ob die Ausschüsse die baldige Ausführung eines umfassen- den, die Provinzen unter sich und mit der Hauptstadt verbindenden Eisen- bahnsystems für nothwendig hielten? Die Frage wurde mit großer Mehrheit bejaht, seit dem glücklichen Gelingen der Leipzig-Dresdener Eisenbahn begannen den Preußen die Augen aufzugehen. Von allen Seiten ward anerkannt, das germanische Preußen müsse "der Führer
*) Protokolle des Staatsministeriums, 6. 8. 10. Oct. 1842.
**) Denkschriften über den Steuererlaß, von Alvensleben Aug. 1840, von Patow 24. Jan. 1842.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
teien, die eine voll Furcht, die andere voll Hoffnung; die Nation muß wiſſen woran ſie iſt.*) Zuletzt beſchloß man, die Verſammlung zu eröffnen ohne ein Manifeſt und ohne eine feierliche Anrede des Monarchen; denn die ſtändiſchen Entwürfe, mit denen der König ſich noch trug, waren ſeinen Räthen noch nicht mitgetheilt, und er wollte davon für jetzt nichts öffent- lich verlauten laſſen.
Am Jahrestage der Leipziger Schlacht traten die Ausſchüſſe im Schloſſe zu Berlin zuſammen. Von der gehobenen Stimmung, welche der große Erinnerungstag erwecken ſollte, zeigte ſich keine Spur. Wohl ſagte Arnim in ſeiner Eröffnungsrede, dies ſei für immer ein glorreicher Tag in der Regierung des Königs. Die Verſammlung aber fühlte ſich unſicher, denn ſie ſah keinen Rechtsboden unter ihren Füßen; um ſo ängſtlicher mußte ſie ſich hüten, in die Rechte der Provinziallandtage oder des künftigen Reichstags einzugreifen. Sie beſtand aus 98 Mitgliedern, 46 von den Standesherren und der Ritterſchaft, 32 ſtädtiſchen, 20 bäuerlichen Abge- ordneten. Jeder Ueberhebung war durch eine überaus kleinliche Geſchäfts- ordnung vorgebeugt. Miniſter Bodelſchwingh erlaubte den Ausſchüſſen nicht einmal, dem Monarchen in einer Adreſſe für die Einberufung zu danken; ſie mußten ihren Dank in den Protokollen niederlegen. Dieſe wurden gedruckt und enthielten — wieder ein kleines Zugeſtändniß — ſogar die Namen der Redner, aber ſie durften nur zum Gebrauche der Mitglieder ſelbſt dienen. Nach langem Suchen hatte das Miniſterium endlich drei Fragen aufgefunden, welche den Ausſchüſſen zur Begutachtung vorgelegt wurden. Die erſte betraf den beabſichtigten Steuererlaß von 2 Mill. Thlr. und war im Grunde überflüſſig. Denn von vornherein hatte das Finanz- miniſterium gerathen, nur eine Steuer, die bei den kleinen Leuten ver- haßte Salzſteuer zu ermäßigen, damit der Beweis königlicher Gnade Jedem in die Augen fiele**); dieſer Vorſchlag war von der großen Mehrzahl der Provinziallandtage angenommen worden, und den Ausſchüſſen blieb nur übrig das ſchon Beſchloſſene nochmals zu genehmigen. Noch weniger po- litiſche Bedeutung hatte die dritte Frage wegen der Benutzung der Privat- flüſſe; dieſer Geſetzentwurf konnte nur techniſche Erörterungen hervorrufen.
Sehr peinlich aber war der Eindruck, als die Regierung ihre zweite Frage ſtellte: ob die Ausſchüſſe die baldige Ausführung eines umfaſſen- den, die Provinzen unter ſich und mit der Hauptſtadt verbindenden Eiſen- bahnſyſtems für nothwendig hielten? Die Frage wurde mit großer Mehrheit bejaht, ſeit dem glücklichen Gelingen der Leipzig-Dresdener Eiſenbahn begannen den Preußen die Augen aufzugehen. Von allen Seiten ward anerkannt, das germaniſche Preußen müſſe „der Führer
*) Protokolle des Staatsminiſteriums, 6. 8. 10. Oct. 1842.
**) Denkſchriften über den Steuererlaß, von Alvensleben Aug. 1840, von Patow 24. Jan. 1842.
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teien, die eine voll Furcht, die andere voll Hoffnung; die Nation muß wiſſen
woran ſie iſt. *) Zuletzt beſchloß man, die Verſammlung zu eröffnen ohne
ein Manifeſt und ohne eine feierliche Anrede des Monarchen; denn die
ſtändiſchen Entwürfe, mit denen der König ſich noch trug, waren ſeinen
Räthen noch nicht mitgetheilt, und er wollte davon für jetzt nichts öffent-
lich verlauten laſſen.
Am Jahrestage der Leipziger Schlacht traten die Ausſchüſſe im Schloſſe
zu Berlin zuſammen. Von der gehobenen Stimmung, welche der große
Erinnerungstag erwecken ſollte, zeigte ſich keine Spur. Wohl ſagte Arnim
in ſeiner Eröffnungsrede, dies ſei für immer ein glorreicher Tag in der
Regierung des Königs. Die Verſammlung aber fühlte ſich unſicher, denn
ſie ſah keinen Rechtsboden unter ihren Füßen; um ſo ängſtlicher mußte
ſie ſich hüten, in die Rechte der Provinziallandtage oder des künftigen
Reichstags einzugreifen. Sie beſtand aus 98 Mitgliedern, 46 von den
Standesherren und der Ritterſchaft, 32 ſtädtiſchen, 20 bäuerlichen Abge-
ordneten. Jeder Ueberhebung war durch eine überaus kleinliche Geſchäfts-
ordnung vorgebeugt. Miniſter Bodelſchwingh erlaubte den Ausſchüſſen nicht
einmal, dem Monarchen in einer Adreſſe für die Einberufung zu danken;
ſie mußten ihren Dank in den Protokollen niederlegen. Dieſe wurden
gedruckt und enthielten — wieder ein kleines Zugeſtändniß — ſogar die
Namen der Redner, aber ſie durften nur zum Gebrauche der Mitglieder
ſelbſt dienen. Nach langem Suchen hatte das Miniſterium endlich drei
Fragen aufgefunden, welche den Ausſchüſſen zur Begutachtung vorgelegt
wurden. Die erſte betraf den beabſichtigten Steuererlaß von 2 Mill. Thlr.
und war im Grunde überflüſſig. Denn von vornherein hatte das Finanz-
miniſterium gerathen, nur eine Steuer, die bei den kleinen Leuten ver-
haßte Salzſteuer zu ermäßigen, damit der Beweis königlicher Gnade Jedem
in die Augen fiele **); dieſer Vorſchlag war von der großen Mehrzahl der
Provinziallandtage angenommen worden, und den Ausſchüſſen blieb nur
übrig das ſchon Beſchloſſene nochmals zu genehmigen. Noch weniger po-
litiſche Bedeutung hatte die dritte Frage wegen der Benutzung der Privat-
flüſſe; dieſer Geſetzentwurf konnte nur techniſche Erörterungen hervorrufen.
Sehr peinlich aber war der Eindruck, als die Regierung ihre zweite
Frage ſtellte: ob die Ausſchüſſe die baldige Ausführung eines umfaſſen-
den, die Provinzen unter ſich und mit der Hauptſtadt verbindenden Eiſen-
bahnſyſtems für nothwendig hielten? Die Frage wurde mit großer
Mehrheit bejaht, ſeit dem glücklichen Gelingen der Leipzig-Dresdener
Eiſenbahn begannen den Preußen die Augen aufzugehen. Von allen
Seiten ward anerkannt, das germaniſche Preußen müſſe „der Führer
*) Protokolle des Staatsminiſteriums, 6. 8. 10. Oct. 1842.
**) Denkſchriften über den Steuererlaß, von Alvensleben Aug. 1840, von Patow
24. Jan. 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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