sentanten des Windes der Meinung und der Tageslehren". Mit Ver- wunderung folgten die Stände dieser dunklen Rede: glaubte der König wirklich, daß irgend ein Mann sich im politischen Leben dem Winde der Meinung ganz entziehen könne? oder wollte er nur den liberalen Tages- lehren Fehde ansagen? Verdrießlich und enttäuscht ging man ausein- ander. Die vertrauensvolle Stimmung der rheinischen Festtage war ver- schwunden, und sie kehrte nicht wieder. Das Beckersche Rheinlied ver- scholl in Deutschland bald gänzlich und tauchte erst nach langen Jahren in Belgien wieder auf, wo die Vlamen drohend den Franzosen zusangen: zy zullen hem niet temmen, den fieren vlaamschen Leeuw! --
Noch während die Ausschüsse tagten eröffnete der König neue Ver- handlungen über die Fortbildung der ständischen Institutionen. In einer Sitzung des Ministerraths, am 8. Nov. entwickelte er den Verfassungsplan, den er fortan mit stiller Zähigkeit festhielt, aber erst nach vollen vier Jahren ausführte. Er erkannte das Staatsschuldengesetz von 1820 als verbindlich an, und da er den "für Preußen unmöglichen constitutionellen Weg nie zu betreten" entschlossen war, so dachte er der Regel nach mit den Provinzialständen und ihrem Centralorgane, den Vereinigten Aus- schüssen auszukommen. Würde aber in Friedenszeiten eine Anleihe oder die Erhöhung direkter Steuern unvermeidlich, dann wollte er die sämmt- lichen Provinziallandtage als Vereinigten Landtag zusammenberufen -- am besten wohl in eine harmlose Provinzialstadt, etwa nach Brandenburg; denn sein Lehrer Ancillon, der einst die Anfänge der französischen National- versammlung als Augenzeuge mit erlebt, hatte ihm oft beweglich vorge- stellt, wie tief die Drohungen eines hauptstädtischen Pöbels ein Parla- ment entwürdigen könnten. Diesem Vereinigten Landtage beabsichtigte er in solchen Nothfällen das Recht der Steuerbewilligung einzuräumen. Er ging also hochherzig sehr weit über die Versprechungen seines Vaters hinaus. Sein Billigkeitsgefühl sträubte sich dawider, von einem Landtage, der keine Abgaben zu bewilligen hatte, die Bürgschaft für eine Anleihe zu verlangen; auch wußte er wohl, daß die Steuerbewilligung allezeit ein gutes Recht der alten deutschen Stände gewesen war. Während er dergestalt mit der einen Hand den Reichsständen neue Rechte schenkte, nahm er leider mit der anderen mehrere Verheißungen des alten Königs zurück. Er fürchtete den bei der günstigen Lage des Staatsschatzes höchst unwahrscheinlichen Fall, daß schon während der geheimen diplomatischen Vorbereitung für einen Krieg eine Anleihe nöthig würde, und den fast undenkbaren Fall, daß seine Preußen ihm gar während des Krieges eine Anleihe verweigern könnten; darum dachte er den Ständen die Bürgschaft für Kriegsanleihen zu versagen. Ferner wollte er die Versammlung des Vereinigten Landtags ganz in seiner Hand behalten und sich zu keiner periodischen Berufung verpflichten, ob- gleich die Reichsstände auf Grund des Staatsschuldengesetzes alljährlich Rechenschaft von der Schuldenverwaltung verlangen durften. Auch dies
Schluß des Ausſchußtages.
ſentanten des Windes der Meinung und der Tageslehren“. Mit Ver- wunderung folgten die Stände dieſer dunklen Rede: glaubte der König wirklich, daß irgend ein Mann ſich im politiſchen Leben dem Winde der Meinung ganz entziehen könne? oder wollte er nur den liberalen Tages- lehren Fehde anſagen? Verdrießlich und enttäuſcht ging man ausein- ander. Die vertrauensvolle Stimmung der rheiniſchen Feſttage war ver- ſchwunden, und ſie kehrte nicht wieder. Das Beckerſche Rheinlied ver- ſcholl in Deutſchland bald gänzlich und tauchte erſt nach langen Jahren in Belgien wieder auf, wo die Vlamen drohend den Franzoſen zuſangen: zy zullen hem niet temmen, den fieren vlaamſchen Leeuw! —
Noch während die Ausſchüſſe tagten eröffnete der König neue Ver- handlungen über die Fortbildung der ſtändiſchen Inſtitutionen. In einer Sitzung des Miniſterraths, am 8. Nov. entwickelte er den Verfaſſungsplan, den er fortan mit ſtiller Zähigkeit feſthielt, aber erſt nach vollen vier Jahren ausführte. Er erkannte das Staatsſchuldengeſetz von 1820 als verbindlich an, und da er den „für Preußen unmöglichen conſtitutionellen Weg nie zu betreten“ entſchloſſen war, ſo dachte er der Regel nach mit den Provinzialſtänden und ihrem Centralorgane, den Vereinigten Aus- ſchüſſen auszukommen. Würde aber in Friedenszeiten eine Anleihe oder die Erhöhung direkter Steuern unvermeidlich, dann wollte er die ſämmt- lichen Provinziallandtage als Vereinigten Landtag zuſammenberufen — am beſten wohl in eine harmloſe Provinzialſtadt, etwa nach Brandenburg; denn ſein Lehrer Ancillon, der einſt die Anfänge der franzöſiſchen National- verſammlung als Augenzeuge mit erlebt, hatte ihm oft beweglich vorge- ſtellt, wie tief die Drohungen eines hauptſtädtiſchen Pöbels ein Parla- ment entwürdigen könnten. Dieſem Vereinigten Landtage beabſichtigte er in ſolchen Nothfällen das Recht der Steuerbewilligung einzuräumen. Er ging alſo hochherzig ſehr weit über die Verſprechungen ſeines Vaters hinaus. Sein Billigkeitsgefühl ſträubte ſich dawider, von einem Landtage, der keine Abgaben zu bewilligen hatte, die Bürgſchaft für eine Anleihe zu verlangen; auch wußte er wohl, daß die Steuerbewilligung allezeit ein gutes Recht der alten deutſchen Stände geweſen war. Während er dergeſtalt mit der einen Hand den Reichsſtänden neue Rechte ſchenkte, nahm er leider mit der anderen mehrere Verheißungen des alten Königs zurück. Er fürchtete den bei der günſtigen Lage des Staatsſchatzes höchſt unwahrſcheinlichen Fall, daß ſchon während der geheimen diplomatiſchen Vorbereitung für einen Krieg eine Anleihe nöthig würde, und den faſt undenkbaren Fall, daß ſeine Preußen ihm gar während des Krieges eine Anleihe verweigern könnten; darum dachte er den Ständen die Bürgſchaft für Kriegsanleihen zu verſagen. Ferner wollte er die Verſammlung des Vereinigten Landtags ganz in ſeiner Hand behalten und ſich zu keiner periodiſchen Berufung verpflichten, ob- gleich die Reichsſtände auf Grund des Staatsſchuldengeſetzes alljährlich Rechenſchaft von der Schuldenverwaltung verlangen durften. Auch dies
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Schluß des Ausſchußtages.
ſentanten des Windes der Meinung und der Tageslehren“. Mit Ver-
wunderung folgten die Stände dieſer dunklen Rede: glaubte der König
wirklich, daß irgend ein Mann ſich im politiſchen Leben dem Winde der
Meinung ganz entziehen könne? oder wollte er nur den liberalen Tages-
lehren Fehde anſagen? Verdrießlich und enttäuſcht ging man ausein-
ander. Die vertrauensvolle Stimmung der rheiniſchen Feſttage war ver-
ſchwunden, und ſie kehrte nicht wieder. Das Beckerſche Rheinlied ver-
ſcholl in Deutſchland bald gänzlich und tauchte erſt nach langen Jahren
in Belgien wieder auf, wo die Vlamen drohend den Franzoſen zuſangen:
zy zullen hem niet temmen, den fieren vlaamſchen Leeuw! —
Noch während die Ausſchüſſe tagten eröffnete der König neue Ver-
handlungen über die Fortbildung der ſtändiſchen Inſtitutionen. In einer
Sitzung des Miniſterraths, am 8. Nov. entwickelte er den Verfaſſungsplan,
den er fortan mit ſtiller Zähigkeit feſthielt, aber erſt nach vollen vier
Jahren ausführte. Er erkannte das Staatsſchuldengeſetz von 1820 als
verbindlich an, und da er den „für Preußen unmöglichen conſtitutionellen
Weg nie zu betreten“ entſchloſſen war, ſo dachte er der Regel nach mit
den Provinzialſtänden und ihrem Centralorgane, den Vereinigten Aus-
ſchüſſen auszukommen. Würde aber in Friedenszeiten eine Anleihe oder
die Erhöhung direkter Steuern unvermeidlich, dann wollte er die ſämmt-
lichen Provinziallandtage als Vereinigten Landtag zuſammenberufen —
am beſten wohl in eine harmloſe Provinzialſtadt, etwa nach Brandenburg;
denn ſein Lehrer Ancillon, der einſt die Anfänge der franzöſiſchen National-
verſammlung als Augenzeuge mit erlebt, hatte ihm oft beweglich vorge-
ſtellt, wie tief die Drohungen eines hauptſtädtiſchen Pöbels ein Parla-
ment entwürdigen könnten. Dieſem Vereinigten Landtage beabſichtigte er
in ſolchen Nothfällen das Recht der Steuerbewilligung einzuräumen. Er
ging alſo hochherzig ſehr weit über die Verſprechungen ſeines Vaters hinaus.
Sein Billigkeitsgefühl ſträubte ſich dawider, von einem Landtage, der keine
Abgaben zu bewilligen hatte, die Bürgſchaft für eine Anleihe zu verlangen;
auch wußte er wohl, daß die Steuerbewilligung allezeit ein gutes Recht
der alten deutſchen Stände geweſen war. Während er dergeſtalt mit der
einen Hand den Reichsſtänden neue Rechte ſchenkte, nahm er leider mit der
anderen mehrere Verheißungen des alten Königs zurück. Er fürchtete den
bei der günſtigen Lage des Staatsſchatzes höchſt unwahrſcheinlichen Fall,
daß ſchon während der geheimen diplomatiſchen Vorbereitung für einen Krieg
eine Anleihe nöthig würde, und den faſt undenkbaren Fall, daß ſeine Preußen
ihm gar während des Krieges eine Anleihe verweigern könnten; darum dachte
er den Ständen die Bürgſchaft für Kriegsanleihen zu verſagen. Ferner
wollte er die Verſammlung des Vereinigten Landtags ganz in ſeiner
Hand behalten und ſich zu keiner periodiſchen Berufung verpflichten, ob-
gleich die Reichsſtände auf Grund des Staatsſchuldengeſetzes alljährlich
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/201>, abgerufen am 21.11.2024.
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