wurde, so erhob doch die gesammte Presse ein herzbrechendes Geschrei, als wäre noch niemals ein germanischer Nachtwächter geprügelt worden; gesinnungstüchtige Liberale fragten feierlich: hat denn nicht der König selbst befohlen, daß "nur Männer von wissenschaftlicher Bildung und er- probter Rechtschaffenheit" zu Censoren ernannt werden dürfen?
Die Zahl der deutschen Journalisten vermehrte sich in diesen Jahren beträchtlich. Viele aus dem Staatsdienste verdrängte liberale junge Männer flüchteten zu den Zeitungen, so der abgesetzte rheinländische Beamte Karl Heinzen und der entlassene preußische Leutnant Wilhelm Rüstow; dazu die wachsende Schaar der gebildeten Juden, die von der Beamtenlauf- bahn ausgeschlossen, in der Journalistik das einzige Mittel sahen auf den Staat einzuwirken, und sehr bald bemerkten, wie glücklich sich ihre na- türliche Begabung für die leichte Tagesschriftstellerei eignete. Fast alle die österreichischen Literaten in Leipzig waren Juden. Als der Jude A. Ochse-Stern der Kölnischen Zeitung ihre tadelnden Bemerkungen über seine "wehrlosen" Stammverwandten verwies, da erwiderte der Verleger Dumont trocken: diese Wehrlosen sind Besitzer vieler rheinischen Zeitungen! Metternich aber schrieb sorgenvoll an die Gesandtschaft in Berlin: "Sieb- zehn deutsche Blätter werden heute -- und unter den deutschen Produkten nicht die wenigst pikanten -- von Judenjungen redigirt!"
Begreiflich, daß durch solche Elemente der Radicalismus und der Kirchenhaß der Presse oft gefördert wurden. Auch besonnene Journalisten gewöhnten sich in dem ewigen Kampfe gegen die Behörden an eine versteckte und daher um so boshaftere Gehässigkeit; sie wußten in kunstvollen Sätzen ihren Groll halb zu zeigen, halb zu verbergen, und mancher, der damals das Handwerk erlernte, konnte auch nachher in den Tagen der Preßfreiheit den anwinkenden Censurstil nicht mehr ablegen. Indeß war diese Generation deutscher Tagesschriftsteller noch ziemlich reich an wackeren Männern. Das Geschäft warf noch wenig ab, da die Deutschen in der Kunst der Anzeigen und Reclamen weit hinter den Völkern des Westens zurückgeblieben waren, und die Börse jetzt erst, seit der Wucher mit den neuen Eisenbahnaktien aufblühte, ihre Polypenarme nach den Zeitungen auszustrecken begann. Ein großer Theil der Tagesschriftsteller kämpfte ehrlich, ja enthusiastisch um der Sache willen, und nicht wenige unter ihnen betrieben ihre Arbeit mit jener frohmuthigen, jugendlichen Pflichttreue, welche späterhin in Frey- tag's Journalisten ihr Denkmal erhielt. Daneben gab es freilich auch einen eigenthümlichen Menschenschlag von journalistischen Philistern, die sich demüthig in die Willkür der Censur ergeben hatten. Er blühte vornehmlich in Frankfurt, wo alle Bundesregierungen zugleich für die Knebelung der Presse sorgten. Dort erschien ein französisches Journal de Francfort für die diplomatische Welt; sodann die Oberpostamts-Zeitung des Hauses Thurn und Taxis, unter dem guten alten Hofrath Berly, der stets mit der Miene des Tiefeingeweihten einherging und unterweilen von der k. k. Gesandt-
Die Leipziger Journaliſten.
wurde, ſo erhob doch die geſammte Preſſe ein herzbrechendes Geſchrei, als wäre noch niemals ein germaniſcher Nachtwächter geprügelt worden; geſinnungstüchtige Liberale fragten feierlich: hat denn nicht der König ſelbſt befohlen, daß „nur Männer von wiſſenſchaftlicher Bildung und er- probter Rechtſchaffenheit“ zu Cenſoren ernannt werden dürfen?
Die Zahl der deutſchen Journaliſten vermehrte ſich in dieſen Jahren beträchtlich. Viele aus dem Staatsdienſte verdrängte liberale junge Männer flüchteten zu den Zeitungen, ſo der abgeſetzte rheinländiſche Beamte Karl Heinzen und der entlaſſene preußiſche Leutnant Wilhelm Rüſtow; dazu die wachſende Schaar der gebildeten Juden, die von der Beamtenlauf- bahn ausgeſchloſſen, in der Journaliſtik das einzige Mittel ſahen auf den Staat einzuwirken, und ſehr bald bemerkten, wie glücklich ſich ihre na- türliche Begabung für die leichte Tagesſchriftſtellerei eignete. Faſt alle die öſterreichiſchen Literaten in Leipzig waren Juden. Als der Jude A. Ochſe-Stern der Kölniſchen Zeitung ihre tadelnden Bemerkungen über ſeine „wehrloſen“ Stammverwandten verwies, da erwiderte der Verleger Dumont trocken: dieſe Wehrloſen ſind Beſitzer vieler rheiniſchen Zeitungen! Metternich aber ſchrieb ſorgenvoll an die Geſandtſchaft in Berlin: „Sieb- zehn deutſche Blätter werden heute — und unter den deutſchen Produkten nicht die wenigſt pikanten — von Judenjungen redigirt!“
Begreiflich, daß durch ſolche Elemente der Radicalismus und der Kirchenhaß der Preſſe oft gefördert wurden. Auch beſonnene Journaliſten gewöhnten ſich in dem ewigen Kampfe gegen die Behörden an eine verſteckte und daher um ſo boshaftere Gehäſſigkeit; ſie wußten in kunſtvollen Sätzen ihren Groll halb zu zeigen, halb zu verbergen, und mancher, der damals das Handwerk erlernte, konnte auch nachher in den Tagen der Preßfreiheit den anwinkenden Cenſurſtil nicht mehr ablegen. Indeß war dieſe Generation deutſcher Tagesſchriftſteller noch ziemlich reich an wackeren Männern. Das Geſchäft warf noch wenig ab, da die Deutſchen in der Kunſt der Anzeigen und Reclamen weit hinter den Völkern des Weſtens zurückgeblieben waren, und die Börſe jetzt erſt, ſeit der Wucher mit den neuen Eiſenbahnaktien aufblühte, ihre Polypenarme nach den Zeitungen auszuſtrecken begann. Ein großer Theil der Tagesſchriftſteller kämpfte ehrlich, ja enthuſiaſtiſch um der Sache willen, und nicht wenige unter ihnen betrieben ihre Arbeit mit jener frohmuthigen, jugendlichen Pflichttreue, welche ſpäterhin in Frey- tag’s Journaliſten ihr Denkmal erhielt. Daneben gab es freilich auch einen eigenthümlichen Menſchenſchlag von journaliſtiſchen Philiſtern, die ſich demüthig in die Willkür der Cenſur ergeben hatten. Er blühte vornehmlich in Frankfurt, wo alle Bundesregierungen zugleich für die Knebelung der Preſſe ſorgten. Dort erſchien ein franzöſiſches Journal de Francfort für die diplomatiſche Welt; ſodann die Oberpoſtamts-Zeitung des Hauſes Thurn und Taxis, unter dem guten alten Hofrath Berly, der ſtets mit der Miene des Tiefeingeweihten einherging und unterweilen von der k. k. Geſandt-
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[197/0211]
Die Leipziger Journaliſten.
wurde, ſo erhob doch die geſammte Preſſe ein herzbrechendes Geſchrei,
als wäre noch niemals ein germaniſcher Nachtwächter geprügelt worden;
geſinnungstüchtige Liberale fragten feierlich: hat denn nicht der König
ſelbſt befohlen, daß „nur Männer von wiſſenſchaftlicher Bildung und er-
probter Rechtſchaffenheit“ zu Cenſoren ernannt werden dürfen?
Die Zahl der deutſchen Journaliſten vermehrte ſich in dieſen Jahren
beträchtlich. Viele aus dem Staatsdienſte verdrängte liberale junge Männer
flüchteten zu den Zeitungen, ſo der abgeſetzte rheinländiſche Beamte Karl
Heinzen und der entlaſſene preußiſche Leutnant Wilhelm Rüſtow; dazu
die wachſende Schaar der gebildeten Juden, die von der Beamtenlauf-
bahn ausgeſchloſſen, in der Journaliſtik das einzige Mittel ſahen auf den
Staat einzuwirken, und ſehr bald bemerkten, wie glücklich ſich ihre na-
türliche Begabung für die leichte Tagesſchriftſtellerei eignete. Faſt alle
die öſterreichiſchen Literaten in Leipzig waren Juden. Als der Jude A.
Ochſe-Stern der Kölniſchen Zeitung ihre tadelnden Bemerkungen über
ſeine „wehrloſen“ Stammverwandten verwies, da erwiderte der Verleger
Dumont trocken: dieſe Wehrloſen ſind Beſitzer vieler rheiniſchen Zeitungen!
Metternich aber ſchrieb ſorgenvoll an die Geſandtſchaft in Berlin: „Sieb-
zehn deutſche Blätter werden heute — und unter den deutſchen Produkten
nicht die wenigſt pikanten — von Judenjungen redigirt!“
Begreiflich, daß durch ſolche Elemente der Radicalismus und der
Kirchenhaß der Preſſe oft gefördert wurden. Auch beſonnene Journaliſten
gewöhnten ſich in dem ewigen Kampfe gegen die Behörden an eine verſteckte
und daher um ſo boshaftere Gehäſſigkeit; ſie wußten in kunſtvollen Sätzen
ihren Groll halb zu zeigen, halb zu verbergen, und mancher, der damals das
Handwerk erlernte, konnte auch nachher in den Tagen der Preßfreiheit den
anwinkenden Cenſurſtil nicht mehr ablegen. Indeß war dieſe Generation
deutſcher Tagesſchriftſteller noch ziemlich reich an wackeren Männern. Das
Geſchäft warf noch wenig ab, da die Deutſchen in der Kunſt der Anzeigen
und Reclamen weit hinter den Völkern des Weſtens zurückgeblieben waren,
und die Börſe jetzt erſt, ſeit der Wucher mit den neuen Eiſenbahnaktien
aufblühte, ihre Polypenarme nach den Zeitungen auszuſtrecken begann.
Ein großer Theil der Tagesſchriftſteller kämpfte ehrlich, ja enthuſiaſtiſch um
der Sache willen, und nicht wenige unter ihnen betrieben ihre Arbeit mit
jener frohmuthigen, jugendlichen Pflichttreue, welche ſpäterhin in Frey-
tag’s Journaliſten ihr Denkmal erhielt. Daneben gab es freilich auch
einen eigenthümlichen Menſchenſchlag von journaliſtiſchen Philiſtern, die ſich
demüthig in die Willkür der Cenſur ergeben hatten. Er blühte vornehmlich
in Frankfurt, wo alle Bundesregierungen zugleich für die Knebelung der
Preſſe ſorgten. Dort erſchien ein franzöſiſches Journal de Francfort für die
diplomatiſche Welt; ſodann die Oberpoſtamts-Zeitung des Hauſes Thurn
und Taxis, unter dem guten alten Hofrath Berly, der ſtets mit der Miene
des Tiefeingeweihten einherging und unterweilen von der k. k. Geſandt-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/211>, abgerufen am 21.11.2024.
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