theologischen Facultäten des Staates Gutachten erstatten, die er sofort veröffentlichte. Der Entlassene aber stiftete alsbald in Berlin mit seinem Bruder Edgar und einigen anderen Wortführern der souveränen Kritik einen Bund "der Freien", der durch seine bodenlose Frechheit, seine Lästerungen, Zoten und Unfläthereien selbst den Ekel des radicalen Ruge erregte. Gleichwohl wurde Bauer in allen Zeitungen als edler Dulder gepriesen.
Leider konnte der König selbst in seiner nervösen Reizbarkeit die akademische Freiheit am wenigsten ertragen; er hatte sich ganz nach eigenem Ermessen eine Grenze vorgezeichnet, welche das freie Wort nicht über- schreiten sollte. Im Nov. 1843 schrieb er an Thile: "Lösen Sie mir das Räthsel, wie der p. Nauwerck, ein bekannter patentirter Revolutionär hier an der Universität Privatdocent geworden ist, und wie man ihm den größten Hörsaal, d. h. Schelling's und Savigny's Katheder einräumt!!!!!!! Ich bin tief betrübt über diesen entsetzlichen Mißgriff, der den wer- denden guten Geist der Studenten wieder sehr ernst gefährdet. Es muß endlich in meinem Geist verfahren werden. Revolutionäre dürfen in Preußen keine Freistätte unter den Fittigen der Regierung finden."*) Nauwerck war ein gewöhnlicher radicaler Schwätzer, der mit Mühe ein mittelmäßiges Buch über die Geschichte des Bundestags zu Stande brachte. Seine sofort gedruckte Antrittsvorlesung über die Theilnahme am Staat enthielt nicht viel mehr als Gemeinplätze, und wenn man dies dürftige Lichtlein ruhig brennen ließ, so wäre es wohl bald von selbst erloschen. Diesmal wagte Eichhorn, der solche Aufwallungen des Monar- chen schon oft beschwichtigt hatte, nicht zu widerstehen; Nauwerck mußte den Lehrstuhl verlassen und erlangte für einige Zeit einen ganz unver- dienten Ruhm.
Weit härter noch bestrafte sich die Entlassung Hoffmann's von Fallers- leben in Breslau. Wer kannte ihn nicht, den frohmuthigen fahrenden Sänger, der überall mit dabei war, wo man auf fremde Kosten Wein trinken konnte? Die Zeche zahlte er doch redlich; denn Alles jubelte ihm zu, wenn der Recke mit kräftiger Stimme seine heiteren, wohlgereimten Gesellschaftslieder bald singend bald declamirend vortrug. Ein tüchtiger Ger- manist, deutsch durch und durch bis zur Ungerechtigkeit gegen alles Fremde, kannte er namentlich unser Volkslied aus dem Grunde und verstand sehr geschickt, scheinbar kunstlos seine eigenen Gedichte alten volksbeliebten Texten und Melodien einzufügen. Solche muthwillig über den Strang schlagende Wildfänge kann ein großer Staat unter der Masse seiner Beamten noch am leichtesten ertragen, und von dem kunstsinnigen Könige ließ sich wohl einige Nachsicht erwarten für den weinseligen Poeten, der neben vielen leichten, mit der Lust des Zechens verwehenden Liedern dem deutschen
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 30. Nov. 1843.
Abſetzungen. B. Bauer. Nauwerck.
theologiſchen Facultäten des Staates Gutachten erſtatten, die er ſofort veröffentlichte. Der Entlaſſene aber ſtiftete alsbald in Berlin mit ſeinem Bruder Edgar und einigen anderen Wortführern der ſouveränen Kritik einen Bund „der Freien“, der durch ſeine bodenloſe Frechheit, ſeine Läſterungen, Zoten und Unfläthereien ſelbſt den Ekel des radicalen Ruge erregte. Gleichwohl wurde Bauer in allen Zeitungen als edler Dulder geprieſen.
Leider konnte der König ſelbſt in ſeiner nervöſen Reizbarkeit die akademiſche Freiheit am wenigſten ertragen; er hatte ſich ganz nach eigenem Ermeſſen eine Grenze vorgezeichnet, welche das freie Wort nicht über- ſchreiten ſollte. Im Nov. 1843 ſchrieb er an Thile: „Löſen Sie mir das Räthſel, wie der p. Nauwerck, ein bekannter patentirter Revolutionär hier an der Univerſität Privatdocent geworden iſt, und wie man ihm den größten Hörſaal, d. h. Schelling’s und Savigny’s Katheder einräumt!!!!!!! Ich bin tief betrübt über dieſen entſetzlichen Mißgriff, der den wer- denden guten Geiſt der Studenten wieder ſehr ernſt gefährdet. Es muß endlich in meinem Geiſt verfahren werden. Revolutionäre dürfen in Preußen keine Freiſtätte unter den Fittigen der Regierung finden.“*) Nauwerck war ein gewöhnlicher radicaler Schwätzer, der mit Mühe ein mittelmäßiges Buch über die Geſchichte des Bundestags zu Stande brachte. Seine ſofort gedruckte Antrittsvorleſung über die Theilnahme am Staat enthielt nicht viel mehr als Gemeinplätze, und wenn man dies dürftige Lichtlein ruhig brennen ließ, ſo wäre es wohl bald von ſelbſt erloſchen. Diesmal wagte Eichhorn, der ſolche Aufwallungen des Monar- chen ſchon oft beſchwichtigt hatte, nicht zu widerſtehen; Nauwerck mußte den Lehrſtuhl verlaſſen und erlangte für einige Zeit einen ganz unver- dienten Ruhm.
Weit härter noch beſtrafte ſich die Entlaſſung Hoffmann’s von Fallers- leben in Breslau. Wer kannte ihn nicht, den frohmuthigen fahrenden Sänger, der überall mit dabei war, wo man auf fremde Koſten Wein trinken konnte? Die Zeche zahlte er doch redlich; denn Alles jubelte ihm zu, wenn der Recke mit kräftiger Stimme ſeine heiteren, wohlgereimten Geſellſchaftslieder bald ſingend bald declamirend vortrug. Ein tüchtiger Ger- maniſt, deutſch durch und durch bis zur Ungerechtigkeit gegen alles Fremde, kannte er namentlich unſer Volkslied aus dem Grunde und verſtand ſehr geſchickt, ſcheinbar kunſtlos ſeine eigenen Gedichte alten volksbeliebten Texten und Melodien einzufügen. Solche muthwillig über den Strang ſchlagende Wildfänge kann ein großer Staat unter der Maſſe ſeiner Beamten noch am leichteſten ertragen, und von dem kunſtſinnigen Könige ließ ſich wohl einige Nachſicht erwarten für den weinſeligen Poeten, der neben vielen leichten, mit der Luſt des Zechens verwehenden Liedern dem deutſchen
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 30. Nov. 1843.
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theologiſchen Facultäten des Staates Gutachten erſtatten, die er ſofort
veröffentlichte. Der Entlaſſene aber ſtiftete alsbald in Berlin mit ſeinem
Bruder Edgar und einigen anderen Wortführern der ſouveränen Kritik
einen Bund „der Freien“, der durch ſeine bodenloſe Frechheit, ſeine
Läſterungen, Zoten und Unfläthereien ſelbſt den Ekel des radicalen Ruge
erregte. Gleichwohl wurde Bauer in allen Zeitungen als edler Dulder
geprieſen.
Leider konnte der König ſelbſt in ſeiner nervöſen Reizbarkeit die
akademiſche Freiheit am wenigſten ertragen; er hatte ſich ganz nach eigenem
Ermeſſen eine Grenze vorgezeichnet, welche das freie Wort nicht über-
ſchreiten ſollte. Im Nov. 1843 ſchrieb er an Thile: „Löſen Sie mir das
Räthſel, wie der p. Nauwerck, ein bekannter patentirter Revolutionär hier
an der Univerſität Privatdocent geworden iſt, und wie man ihm den
größten Hörſaal, d. h. Schelling’s und Savigny’s Katheder einräumt!!!!!!!
Ich bin tief betrübt über dieſen entſetzlichen Mißgriff, der den wer-
denden guten Geiſt der Studenten wieder ſehr ernſt gefährdet. Es
muß endlich in meinem Geiſt verfahren werden. Revolutionäre dürfen
in Preußen keine Freiſtätte unter den Fittigen der Regierung finden.“ *)
Nauwerck war ein gewöhnlicher radicaler Schwätzer, der mit Mühe ein
mittelmäßiges Buch über die Geſchichte des Bundestags zu Stande
brachte. Seine ſofort gedruckte Antrittsvorleſung über die Theilnahme
am Staat enthielt nicht viel mehr als Gemeinplätze, und wenn man dies
dürftige Lichtlein ruhig brennen ließ, ſo wäre es wohl bald von ſelbſt
erloſchen. Diesmal wagte Eichhorn, der ſolche Aufwallungen des Monar-
chen ſchon oft beſchwichtigt hatte, nicht zu widerſtehen; Nauwerck mußte
den Lehrſtuhl verlaſſen und erlangte für einige Zeit einen ganz unver-
dienten Ruhm.
Weit härter noch beſtrafte ſich die Entlaſſung Hoffmann’s von Fallers-
leben in Breslau. Wer kannte ihn nicht, den frohmuthigen fahrenden
Sänger, der überall mit dabei war, wo man auf fremde Koſten Wein
trinken konnte? Die Zeche zahlte er doch redlich; denn Alles jubelte ihm
zu, wenn der Recke mit kräftiger Stimme ſeine heiteren, wohlgereimten
Geſellſchaftslieder bald ſingend bald declamirend vortrug. Ein tüchtiger Ger-
maniſt, deutſch durch und durch bis zur Ungerechtigkeit gegen alles Fremde,
kannte er namentlich unſer Volkslied aus dem Grunde und verſtand ſehr
geſchickt, ſcheinbar kunſtlos ſeine eigenen Gedichte alten volksbeliebten Texten
und Melodien einzufügen. Solche muthwillig über den Strang ſchlagende
Wildfänge kann ein großer Staat unter der Maſſe ſeiner Beamten noch
am leichteſten ertragen, und von dem kunſtſinnigen Könige ließ ſich wohl
einige Nachſicht erwarten für den weinſeligen Poeten, der neben vielen
leichten, mit der Luſt des Zechens verwehenden Liedern dem deutſchen
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 30. Nov. 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/247>, abgerufen am 21.11.2024.
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