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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Tschech.
gedruckte Frage: "Tschech?!" Friedrich Wilhelm hatte nach seiner Er-
rettung, die er nur überirdischer Hilfe zuschrieb, von Erdmannsdorf aus
das Bergkirchlein Wang besucht und dort tief zerknirscht, überwältigt von
der Gnade Gottes, seine Dankgebete gehalten. In dieser weichen Stim-
mung wollte er den Verbrecher gern begnadigen; er hielt es für unedel,
gleichsam in eigener Sache zu richten.

Diesmal aber zeigten sich seine Minister endlich einig; sie fühlten alle,
wie schwach die Krone schon geworden war, und wie tief sie sich selbst er-
niedrigte, wenn sie nicht mehr wagte, einem solchen Hochverrath mit dem
ganzen Ernste des Gesetzes entgegenzutreten. In einem gemüthvollen Briefe
hielt der alte Boyen dem Monarchen zuerst diese Mahnung vor und sprach
zugleich tief betrübt, freilich ohne einen greifbaren Rathschlag zu geben, über
den allgemeinen Mißmuth des Volks und die Fehler der Regierung: "Es
ist der größte Irrthum, daß man den Entwicklungsgang der Zeit beliebig
hemmen oder die öffentliche Meinung durch Verweise öffentlich schul meistern
könne."*) Da der Prinz von Preußen nebst sämmtlichen Ministern den
Vorstellungen Boyen's beipflichtete, und die Untersuchung gar nichts an den
Tag brachte, was die That Tschech's irgendwie entschuldigen konnte, so sah
Friedrich Wilhelm endlich ein, daß er der Justiz freien Lauf lassen mußte.
Noch einmal verhieß er, im December, dem Verurtheilten die Begnadigung,
falls er sein Unrecht bekennen wollte. Aber Tschech blieb trotzig. Unter
strömenden Thränen unterzeichnete der König endlich das Todesurtheil
in einem großen Ministerrathe und ließ dem Verbrecher dann noch durch
seinen Vertrauten, den Präsidenten Kleist sagen, daß er für ihn als seinen
christlichen Bruder beten würde.

Die Strenge war nur zu nöthig; denn in dem gebildeten Berlin
herrschte, Dank der giftigen Klatscherei dieser Jahre, eine Liederlichkeit
der Empfindung, die allem Rechte Hohn sprach. Varnhagen und seine
Freunde wollten gar nicht glauben, daß in diesem aufgeklärten Jahr-
hundert die Barbarei einer solchen Hinrichtung möglich wäre; rühr-
same Zeitungsartikel, die unverkennbar großentheils aus diesen Kreisen
herstammten, erinnerten den König an das schöne Vorbild Ludwig Phi-
lipp's und Victoria's, die in ähnlichen Fällen stets begnadigt hatten. Man
wußte kaum noch, daß die Krone der Hohenzollern doch etwas Anderes
war als das Schattenkönigthum jener belobten Westländer. Als nun das
Nothwendige dennoch geschah, da nannte man den König blutbefleckt und
der Pöbel schob wieder alle Schuld auf den Prinzen von Preußen. Ein
offenbar von einem gebildeten Manne verfaßtes Berliner Gassenlied
sagte:

In's Volk fiel's wie ein Donnerkeil,
Daß Tschech mußt' fallen unter'm Beil.
Der fromme König, ach so gut,
*) Boyen an den König, 3. Aug. 1844.

Tſchech.
gedruckte Frage: „Tſchech?!“ Friedrich Wilhelm hatte nach ſeiner Er-
rettung, die er nur überirdiſcher Hilfe zuſchrieb, von Erdmannsdorf aus
das Bergkirchlein Wang beſucht und dort tief zerknirſcht, überwältigt von
der Gnade Gottes, ſeine Dankgebete gehalten. In dieſer weichen Stim-
mung wollte er den Verbrecher gern begnadigen; er hielt es für unedel,
gleichſam in eigener Sache zu richten.

Diesmal aber zeigten ſich ſeine Miniſter endlich einig; ſie fühlten alle,
wie ſchwach die Krone ſchon geworden war, und wie tief ſie ſich ſelbſt er-
niedrigte, wenn ſie nicht mehr wagte, einem ſolchen Hochverrath mit dem
ganzen Ernſte des Geſetzes entgegenzutreten. In einem gemüthvollen Briefe
hielt der alte Boyen dem Monarchen zuerſt dieſe Mahnung vor und ſprach
zugleich tief betrübt, freilich ohne einen greifbaren Rathſchlag zu geben, über
den allgemeinen Mißmuth des Volks und die Fehler der Regierung: „Es
iſt der größte Irrthum, daß man den Entwicklungsgang der Zeit beliebig
hemmen oder die öffentliche Meinung durch Verweiſe öffentlich ſchul meiſtern
könne.“*) Da der Prinz von Preußen nebſt ſämmtlichen Miniſtern den
Vorſtellungen Boyen’s beipflichtete, und die Unterſuchung gar nichts an den
Tag brachte, was die That Tſchech’s irgendwie entſchuldigen konnte, ſo ſah
Friedrich Wilhelm endlich ein, daß er der Juſtiz freien Lauf laſſen mußte.
Noch einmal verhieß er, im December, dem Verurtheilten die Begnadigung,
falls er ſein Unrecht bekennen wollte. Aber Tſchech blieb trotzig. Unter
ſtrömenden Thränen unterzeichnete der König endlich das Todesurtheil
in einem großen Miniſterrathe und ließ dem Verbrecher dann noch durch
ſeinen Vertrauten, den Präſidenten Kleiſt ſagen, daß er für ihn als ſeinen
chriſtlichen Bruder beten würde.

Die Strenge war nur zu nöthig; denn in dem gebildeten Berlin
herrſchte, Dank der giftigen Klatſcherei dieſer Jahre, eine Liederlichkeit
der Empfindung, die allem Rechte Hohn ſprach. Varnhagen und ſeine
Freunde wollten gar nicht glauben, daß in dieſem aufgeklärten Jahr-
hundert die Barbarei einer ſolchen Hinrichtung möglich wäre; rühr-
ſame Zeitungsartikel, die unverkennbar großentheils aus dieſen Kreiſen
herſtammten, erinnerten den König an das ſchöne Vorbild Ludwig Phi-
lipp’s und Victoria’s, die in ähnlichen Fällen ſtets begnadigt hatten. Man
wußte kaum noch, daß die Krone der Hohenzollern doch etwas Anderes
war als das Schattenkönigthum jener belobten Weſtländer. Als nun das
Nothwendige dennoch geſchah, da nannte man den König blutbefleckt und
der Pöbel ſchob wieder alle Schuld auf den Prinzen von Preußen. Ein
offenbar von einem gebildeten Manne verfaßtes Berliner Gaſſenlied
ſagte:

In’s Volk fiel’s wie ein Donnerkeil,
Daß Tſchech mußt’ fallen unter’m Beil.
Der fromme König, ach ſo gut,
*) Boyen an den König, 3. Aug. 1844.
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[269/0283] Tſchech. gedruckte Frage: „Tſchech?!“ Friedrich Wilhelm hatte nach ſeiner Er- rettung, die er nur überirdiſcher Hilfe zuſchrieb, von Erdmannsdorf aus das Bergkirchlein Wang beſucht und dort tief zerknirſcht, überwältigt von der Gnade Gottes, ſeine Dankgebete gehalten. In dieſer weichen Stim- mung wollte er den Verbrecher gern begnadigen; er hielt es für unedel, gleichſam in eigener Sache zu richten. Diesmal aber zeigten ſich ſeine Miniſter endlich einig; ſie fühlten alle, wie ſchwach die Krone ſchon geworden war, und wie tief ſie ſich ſelbſt er- niedrigte, wenn ſie nicht mehr wagte, einem ſolchen Hochverrath mit dem ganzen Ernſte des Geſetzes entgegenzutreten. In einem gemüthvollen Briefe hielt der alte Boyen dem Monarchen zuerſt dieſe Mahnung vor und ſprach zugleich tief betrübt, freilich ohne einen greifbaren Rathſchlag zu geben, über den allgemeinen Mißmuth des Volks und die Fehler der Regierung: „Es iſt der größte Irrthum, daß man den Entwicklungsgang der Zeit beliebig hemmen oder die öffentliche Meinung durch Verweiſe öffentlich ſchul meiſtern könne.“ *) Da der Prinz von Preußen nebſt ſämmtlichen Miniſtern den Vorſtellungen Boyen’s beipflichtete, und die Unterſuchung gar nichts an den Tag brachte, was die That Tſchech’s irgendwie entſchuldigen konnte, ſo ſah Friedrich Wilhelm endlich ein, daß er der Juſtiz freien Lauf laſſen mußte. Noch einmal verhieß er, im December, dem Verurtheilten die Begnadigung, falls er ſein Unrecht bekennen wollte. Aber Tſchech blieb trotzig. Unter ſtrömenden Thränen unterzeichnete der König endlich das Todesurtheil in einem großen Miniſterrathe und ließ dem Verbrecher dann noch durch ſeinen Vertrauten, den Präſidenten Kleiſt ſagen, daß er für ihn als ſeinen chriſtlichen Bruder beten würde. Die Strenge war nur zu nöthig; denn in dem gebildeten Berlin herrſchte, Dank der giftigen Klatſcherei dieſer Jahre, eine Liederlichkeit der Empfindung, die allem Rechte Hohn ſprach. Varnhagen und ſeine Freunde wollten gar nicht glauben, daß in dieſem aufgeklärten Jahr- hundert die Barbarei einer ſolchen Hinrichtung möglich wäre; rühr- ſame Zeitungsartikel, die unverkennbar großentheils aus dieſen Kreiſen herſtammten, erinnerten den König an das ſchöne Vorbild Ludwig Phi- lipp’s und Victoria’s, die in ähnlichen Fällen ſtets begnadigt hatten. Man wußte kaum noch, daß die Krone der Hohenzollern doch etwas Anderes war als das Schattenkönigthum jener belobten Weſtländer. Als nun das Nothwendige dennoch geſchah, da nannte man den König blutbefleckt und der Pöbel ſchob wieder alle Schuld auf den Prinzen von Preußen. Ein offenbar von einem gebildeten Manne verfaßtes Berliner Gaſſenlied ſagte: In’s Volk fiel’s wie ein Donnerkeil, Daß Tſchech mußt’ fallen unter’m Beil. Der fromme König, ach ſo gut, *) Boyen an den König, 3. Aug. 1844.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/283>, abgerufen am 21.11.2024.