Gesinnung mit dem Hirtenstabe betraut: Weis in Speier, Stahl in Würzburg, Hoffstätter in Passau, Riedel in Regensburg. An der Spitze dieses jungen streitbaren Episcopats stand der Eichstädter Reisach; er wurde jetzt Coadjutor des greisen Erzbischofs von München, bald nachher dessen Nachfolger, und wie er einst mit großem theatralischem Erfolge, zur Er- bauung aller kindlichen Gemüther, als pilgernder Kuttenmann in seine Wilibaldstadt eingezogen war, ebenso gewandt bewegte er sich nunmehr in der vornehmen Gesellschaft der Hauptstadt. Auf dem Lehrstuhle des Kirchen- rechts in München stand Phillips, der preußische Ueberläufer, der sein verlassenes Vaterland mit unauslöschlichem Hasse bekämpfte; er lehrte be- reits, den Concilien gebühre nur eine berathende Stimme, da die Kirche nur durch Petrus Kirche sei, und näherte sich also Schritt für Schritt dem Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit, in dem die clericale Dia- lektik zuletzt nothwendig ausmünden mußte. Der aus Würzburg neu be- rufene Lehrer des Staatsrechts Moy verkündigte in anständigerer Form dieselbe Lehre von der Civitas Dei, welche Droste-Vischering in seiner letzten Streitschrift verfocht; alle Befugnisse der Kirchenhoheit, alle Maje- stätsrechte des Staates galten ihm nur für Erfindungen einer pseudo- liberalen Theorie.
Nicht umsonst ließ der alte Görres den Schlachtruf erschallen: "Hammer oder Amboß ist die Losung des Jahrhunderts!" Ueberall in der Welt erhoben die Clericalen neue, bisher unerhörte Forderungen. Die Mün- chener gelben Blätter verlangten kurzab freie Verfügung der Kirche und ihrer Hirten über die gesammte Wissenschaft und den Unterricht; mit einem Fußtritt sollten alle Segnungen des weltlichen deutschen Schul- wesens, die Arbeit dreier Jahrhunderte über den Haufen geworfen werden. Zugleich begann Graf Montalembert in der französischen Pairskammer hochbegeistert seinen Kampf gegen die Staatsschule. Dem ritterlichen Schwärmer stand außer Zweifel, daß die katholische Kirche nur die Königin oder gar nichts sein könne. Da die Härte der napoleonischen Unterrichts- ordnung, die geistlose Gleichförmigkeit der Lyceen, die Pedanterei "der Man- darinen der Universität" in der That viele Blößen darboten, so glaubte er wirklich für die Freiheit zu kämpfen wenn er die Schulen wieder in das Joch des Clerus spannen wollte und die Söhne der Kreuzfahrer er- mahnte, nicht zurückzuweichen vor den Söhnen Voltaire's. Durch Geburt und Bildung halb Engländer halb Franzose hatte sich Montalembert kürzlich mit einer Tochter des belgischen ultramontanen Parteiführers Felix v. Merode vermählt, und dieser eigenthümliche weltbürgerliche Zug der römischen Partei zeigte sich auch in dem Münchener Kreise. In der Hof- gesellschaft glänzten neben den alteingebürgerten ultramontanen Geschlech- tern Löwenstein, Arco, Cetto, Deuxponts, Rechberg, Seinsheim auch der unglückliche Minister Karl's X. Fürst Polignac, die gleichgesinnten Rohans und das carlistische Haus Lichnowsky. Fürst Felix Lichnowsky erfreute sich
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Abel und ſeine Anhänger.
Geſinnung mit dem Hirtenſtabe betraut: Weis in Speier, Stahl in Würzburg, Hoffſtätter in Paſſau, Riedel in Regensburg. An der Spitze dieſes jungen ſtreitbaren Episcopats ſtand der Eichſtädter Reiſach; er wurde jetzt Coadjutor des greiſen Erzbiſchofs von München, bald nachher deſſen Nachfolger, und wie er einſt mit großem theatraliſchem Erfolge, zur Er- bauung aller kindlichen Gemüther, als pilgernder Kuttenmann in ſeine Wilibaldſtadt eingezogen war, ebenſo gewandt bewegte er ſich nunmehr in der vornehmen Geſellſchaft der Hauptſtadt. Auf dem Lehrſtuhle des Kirchen- rechts in München ſtand Phillips, der preußiſche Ueberläufer, der ſein verlaſſenes Vaterland mit unauslöſchlichem Haſſe bekämpfte; er lehrte be- reits, den Concilien gebühre nur eine berathende Stimme, da die Kirche nur durch Petrus Kirche ſei, und näherte ſich alſo Schritt für Schritt dem Dogma von der päpſtlichen Unfehlbarkeit, in dem die clericale Dia- lektik zuletzt nothwendig ausmünden mußte. Der aus Würzburg neu be- rufene Lehrer des Staatsrechts Moy verkündigte in anſtändigerer Form dieſelbe Lehre von der Civitas Dei, welche Droſte-Viſchering in ſeiner letzten Streitſchrift verfocht; alle Befugniſſe der Kirchenhoheit, alle Maje- ſtätsrechte des Staates galten ihm nur für Erfindungen einer pſeudo- liberalen Theorie.
Nicht umſonſt ließ der alte Görres den Schlachtruf erſchallen: „Hammer oder Amboß iſt die Loſung des Jahrhunderts!“ Ueberall in der Welt erhoben die Clericalen neue, bisher unerhörte Forderungen. Die Mün- chener gelben Blätter verlangten kurzab freie Verfügung der Kirche und ihrer Hirten über die geſammte Wiſſenſchaft und den Unterricht; mit einem Fußtritt ſollten alle Segnungen des weltlichen deutſchen Schul- weſens, die Arbeit dreier Jahrhunderte über den Haufen geworfen werden. Zugleich begann Graf Montalembert in der franzöſiſchen Pairskammer hochbegeiſtert ſeinen Kampf gegen die Staatsſchule. Dem ritterlichen Schwärmer ſtand außer Zweifel, daß die katholiſche Kirche nur die Königin oder gar nichts ſein könne. Da die Härte der napoleoniſchen Unterrichts- ordnung, die geiſtloſe Gleichförmigkeit der Lyceen, die Pedanterei „der Man- darinen der Univerſität“ in der That viele Blößen darboten, ſo glaubte er wirklich für die Freiheit zu kämpfen wenn er die Schulen wieder in das Joch des Clerus ſpannen wollte und die Söhne der Kreuzfahrer er- mahnte, nicht zurückzuweichen vor den Söhnen Voltaire’s. Durch Geburt und Bildung halb Engländer halb Franzoſe hatte ſich Montalembert kürzlich mit einer Tochter des belgiſchen ultramontanen Parteiführers Felix v. Merode vermählt, und dieſer eigenthümliche weltbürgerliche Zug der römiſchen Partei zeigte ſich auch in dem Münchener Kreiſe. In der Hof- geſellſchaft glänzten neben den alteingebürgerten ultramontanen Geſchlech- tern Löwenſtein, Arco, Cetto, Deuxponts, Rechberg, Seinsheim auch der unglückliche Miniſter Karl’s X. Fürſt Polignac, die gleichgeſinnten Rohans und das carliſtiſche Haus Lichnowsky. Fürſt Felix Lichnowsky erfreute ſich
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Abel und ſeine Anhänger.
Geſinnung mit dem Hirtenſtabe betraut: Weis in Speier, Stahl in
Würzburg, Hoffſtätter in Paſſau, Riedel in Regensburg. An der Spitze
dieſes jungen ſtreitbaren Episcopats ſtand der Eichſtädter Reiſach; er wurde
jetzt Coadjutor des greiſen Erzbiſchofs von München, bald nachher deſſen
Nachfolger, und wie er einſt mit großem theatraliſchem Erfolge, zur Er-
bauung aller kindlichen Gemüther, als pilgernder Kuttenmann in ſeine
Wilibaldſtadt eingezogen war, ebenſo gewandt bewegte er ſich nunmehr in
der vornehmen Geſellſchaft der Hauptſtadt. Auf dem Lehrſtuhle des Kirchen-
rechts in München ſtand Phillips, der preußiſche Ueberläufer, der ſein
verlaſſenes Vaterland mit unauslöſchlichem Haſſe bekämpfte; er lehrte be-
reits, den Concilien gebühre nur eine berathende Stimme, da die Kirche
nur durch Petrus Kirche ſei, und näherte ſich alſo Schritt für Schritt
dem Dogma von der päpſtlichen Unfehlbarkeit, in dem die clericale Dia-
lektik zuletzt nothwendig ausmünden mußte. Der aus Würzburg neu be-
rufene Lehrer des Staatsrechts Moy verkündigte in anſtändigerer Form
dieſelbe Lehre von der Civitas Dei, welche Droſte-Viſchering in ſeiner
letzten Streitſchrift verfocht; alle Befugniſſe der Kirchenhoheit, alle Maje-
ſtätsrechte des Staates galten ihm nur für Erfindungen einer pſeudo-
liberalen Theorie.
Nicht umſonſt ließ der alte Görres den Schlachtruf erſchallen: „Hammer
oder Amboß iſt die Loſung des Jahrhunderts!“ Ueberall in der Welt
erhoben die Clericalen neue, bisher unerhörte Forderungen. Die Mün-
chener gelben Blätter verlangten kurzab freie Verfügung der Kirche und
ihrer Hirten über die geſammte Wiſſenſchaft und den Unterricht; mit
einem Fußtritt ſollten alle Segnungen des weltlichen deutſchen Schul-
weſens, die Arbeit dreier Jahrhunderte über den Haufen geworfen werden.
Zugleich begann Graf Montalembert in der franzöſiſchen Pairskammer
hochbegeiſtert ſeinen Kampf gegen die Staatsſchule. Dem ritterlichen
Schwärmer ſtand außer Zweifel, daß die katholiſche Kirche nur die Königin
oder gar nichts ſein könne. Da die Härte der napoleoniſchen Unterrichts-
ordnung, die geiſtloſe Gleichförmigkeit der Lyceen, die Pedanterei „der Man-
darinen der Univerſität“ in der That viele Blößen darboten, ſo glaubte
er wirklich für die Freiheit zu kämpfen wenn er die Schulen wieder in
das Joch des Clerus ſpannen wollte und die Söhne der Kreuzfahrer er-
mahnte, nicht zurückzuweichen vor den Söhnen Voltaire’s. Durch Geburt
und Bildung halb Engländer halb Franzoſe hatte ſich Montalembert
kürzlich mit einer Tochter des belgiſchen ultramontanen Parteiführers Felix
v. Merode vermählt, und dieſer eigenthümliche weltbürgerliche Zug der
römiſchen Partei zeigte ſich auch in dem Münchener Kreiſe. In der Hof-
geſellſchaft glänzten neben den alteingebürgerten ultramontanen Geſchlech-
tern Löwenſtein, Arco, Cetto, Deuxponts, Rechberg, Seinsheim auch der
unglückliche Miniſter Karl’s X. Fürſt Polignac, die gleichgeſinnten Rohans
und das carliſtiſche Haus Lichnowsky. Fürſt Felix Lichnowsky erfreute ſich
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/321>, abgerufen am 18.06.2024.
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