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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Ministerium Blittersdorff. Rotteck's Tod.

Als Anhänger Oesterreichs und geschworener Feind Preußens stand
Minister Blittersdorff den ultramontanen Bestrebungen nahe, wie er denn
auch mit Abel immer vertrauten Verkehr unterhielt. Für seine nächsten
Zwecke aber bedurfte er anderer Machtmittel. Er hoffte durch rücksichts-
losen Gebrauch seiner bureaukratischen Amtsgewalt wiederherzustellen was
er das monarchische System nannte, das Beamtenthum zu schweigendem
Gehorsam zu zwingen und die Opposition im Landtage zu vernichten.
"Ich werde es", sagte er kurzab, "so weit treiben als ich vermag." Weder
der Großherzog noch die übrigen Minister schenkten dem Hoffärtigen volles
Vertrauen; doch seine dreiste Zuversicht schüchterte sie ein, und nach der
correkten Wiener Doctrin war jeder deutsche Hof dem Bunde für das
Wohlverhalten seiner Kammern verantwortlich, der Minister des Aus-
wärtigen also befugt die gesammte Haltung der Regierung zu beaufsichtigen.

Gehässig, mit einem junkerhaften Uebermuth, der von Winter's bürger-
licher Gemüthlichkeit widerlich abstach, trat Blittersdorff den Abgeordneten
entgegen und verhehlte ihnen nicht, daß er, gewöhnt an die erhabenen
Geschäfte des Bundestages, die badischen Kammerhändel als armselige
Kleinmeisterei verachtete. Dies kränkte am tiefsten; denn nirgends in
Deutschland war die Verfassung so fest mit dem Volke verwachsen, nirgends
das Selbstgefühl der Abgeordneten so überkräftig. Da das Beamtenthum
und die Landstände im Drange der Volksbeglückung miteinander wett-
eiferten, so wurden hier die Landtage sehr häufig, fast alljährlich einberufen
und währten sehr lange; das Wahlrecht war wenig beschränkt, selbst die
Masse des Volks verfolgte die Verhandlungen mit Spannung. Nach den
Debatten über die Gründung des Zollvereins verkaufte man auf den
Jahrmärkten des Schwarzwalds Pfeifenköpfe, worauf die Abstimmungen
der Volksvertreter verzeichnet standen. Rotteck's Hinscheiden wurde land-
auf landab als ein nationales Unglück beklagt; die liberalen Zeitungen
nannten ihn einmüthig den ersten Volksmann des Jahrhunderts, auf
seinem Grabsteine prangten die Schiller'schen Verse: "Er ist hin, und
alle Lust des Lebens wimmert hin in ein verlornes Ach!" Maßlos wie
die Bewunderung der Getreuen zeigte sich auch der Haß der Gegner. Als
die Oberländer ihrem tapferen Landsmann ein Standbild errichten wollten,
verbot König Ludwig von Baiern seinem Schwanthaler die Ausführung
des Kunstwerks, weil "Rotteck nicht ein Ehrendenkmal, sondern eine Schand-
säule verdient" hätte. Also ward durch Freund und Feind die von Welcker
verkündigte "große badische Idee" genährt, die Vorstellung, daß hier am
Oberrhein der liberale Musterstaat Deutschlands bestände.

Der Stolz dieser Volksvertretung, die wirklich auf der Höhe der
Weltgeschichte zu stehen glaubte, schien der Regierung schon darum uner-
träglich, weil fast die Hälfte der zweiten Kammer aus Staatsdienern be-
stand und das ohnehin sehr unabhängig gestellte Beamtenthum leicht dahin
gelangen konnte, sich durch parlamentarischen Druck seine eigenen Vor-

Miniſterium Blittersdorff. Rotteck’s Tod.

Als Anhänger Oeſterreichs und geſchworener Feind Preußens ſtand
Miniſter Blittersdorff den ultramontanen Beſtrebungen nahe, wie er denn
auch mit Abel immer vertrauten Verkehr unterhielt. Für ſeine nächſten
Zwecke aber bedurfte er anderer Machtmittel. Er hoffte durch rückſichts-
loſen Gebrauch ſeiner bureaukratiſchen Amtsgewalt wiederherzuſtellen was
er das monarchiſche Syſtem nannte, das Beamtenthum zu ſchweigendem
Gehorſam zu zwingen und die Oppoſition im Landtage zu vernichten.
„Ich werde es“, ſagte er kurzab, „ſo weit treiben als ich vermag.“ Weder
der Großherzog noch die übrigen Miniſter ſchenkten dem Hoffärtigen volles
Vertrauen; doch ſeine dreiſte Zuverſicht ſchüchterte ſie ein, und nach der
correkten Wiener Doctrin war jeder deutſche Hof dem Bunde für das
Wohlverhalten ſeiner Kammern verantwortlich, der Miniſter des Aus-
wärtigen alſo befugt die geſammte Haltung der Regierung zu beaufſichtigen.

Gehäſſig, mit einem junkerhaften Uebermuth, der von Winter’s bürger-
licher Gemüthlichkeit widerlich abſtach, trat Blittersdorff den Abgeordneten
entgegen und verhehlte ihnen nicht, daß er, gewöhnt an die erhabenen
Geſchäfte des Bundestages, die badiſchen Kammerhändel als armſelige
Kleinmeiſterei verachtete. Dies kränkte am tiefſten; denn nirgends in
Deutſchland war die Verfaſſung ſo feſt mit dem Volke verwachſen, nirgends
das Selbſtgefühl der Abgeordneten ſo überkräftig. Da das Beamtenthum
und die Landſtände im Drange der Volksbeglückung miteinander wett-
eiferten, ſo wurden hier die Landtage ſehr häufig, faſt alljährlich einberufen
und währten ſehr lange; das Wahlrecht war wenig beſchränkt, ſelbſt die
Maſſe des Volks verfolgte die Verhandlungen mit Spannung. Nach den
Debatten über die Gründung des Zollvereins verkaufte man auf den
Jahrmärkten des Schwarzwalds Pfeifenköpfe, worauf die Abſtimmungen
der Volksvertreter verzeichnet ſtanden. Rotteck’s Hinſcheiden wurde land-
auf landab als ein nationales Unglück beklagt; die liberalen Zeitungen
nannten ihn einmüthig den erſten Volksmann des Jahrhunderts, auf
ſeinem Grabſteine prangten die Schiller’ſchen Verſe: „Er iſt hin, und
alle Luſt des Lebens wimmert hin in ein verlornes Ach!“ Maßlos wie
die Bewunderung der Getreuen zeigte ſich auch der Haß der Gegner. Als
die Oberländer ihrem tapferen Landsmann ein Standbild errichten wollten,
verbot König Ludwig von Baiern ſeinem Schwanthaler die Ausführung
des Kunſtwerks, weil „Rotteck nicht ein Ehrendenkmal, ſondern eine Schand-
ſäule verdient“ hätte. Alſo ward durch Freund und Feind die von Welcker
verkündigte „große badiſche Idee“ genährt, die Vorſtellung, daß hier am
Oberrhein der liberale Muſterſtaat Deutſchlands beſtände.

Der Stolz dieſer Volksvertretung, die wirklich auf der Höhe der
Weltgeſchichte zu ſtehen glaubte, ſchien der Regierung ſchon darum uner-
träglich, weil faſt die Hälfte der zweiten Kammer aus Staatsdienern be-
ſtand und das ohnehin ſehr unabhängig geſtellte Beamtenthum leicht dahin
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[327/0341] Miniſterium Blittersdorff. Rotteck’s Tod. Als Anhänger Oeſterreichs und geſchworener Feind Preußens ſtand Miniſter Blittersdorff den ultramontanen Beſtrebungen nahe, wie er denn auch mit Abel immer vertrauten Verkehr unterhielt. Für ſeine nächſten Zwecke aber bedurfte er anderer Machtmittel. Er hoffte durch rückſichts- loſen Gebrauch ſeiner bureaukratiſchen Amtsgewalt wiederherzuſtellen was er das monarchiſche Syſtem nannte, das Beamtenthum zu ſchweigendem Gehorſam zu zwingen und die Oppoſition im Landtage zu vernichten. „Ich werde es“, ſagte er kurzab, „ſo weit treiben als ich vermag.“ Weder der Großherzog noch die übrigen Miniſter ſchenkten dem Hoffärtigen volles Vertrauen; doch ſeine dreiſte Zuverſicht ſchüchterte ſie ein, und nach der correkten Wiener Doctrin war jeder deutſche Hof dem Bunde für das Wohlverhalten ſeiner Kammern verantwortlich, der Miniſter des Aus- wärtigen alſo befugt die geſammte Haltung der Regierung zu beaufſichtigen. Gehäſſig, mit einem junkerhaften Uebermuth, der von Winter’s bürger- licher Gemüthlichkeit widerlich abſtach, trat Blittersdorff den Abgeordneten entgegen und verhehlte ihnen nicht, daß er, gewöhnt an die erhabenen Geſchäfte des Bundestages, die badiſchen Kammerhändel als armſelige Kleinmeiſterei verachtete. Dies kränkte am tiefſten; denn nirgends in Deutſchland war die Verfaſſung ſo feſt mit dem Volke verwachſen, nirgends das Selbſtgefühl der Abgeordneten ſo überkräftig. Da das Beamtenthum und die Landſtände im Drange der Volksbeglückung miteinander wett- eiferten, ſo wurden hier die Landtage ſehr häufig, faſt alljährlich einberufen und währten ſehr lange; das Wahlrecht war wenig beſchränkt, ſelbſt die Maſſe des Volks verfolgte die Verhandlungen mit Spannung. Nach den Debatten über die Gründung des Zollvereins verkaufte man auf den Jahrmärkten des Schwarzwalds Pfeifenköpfe, worauf die Abſtimmungen der Volksvertreter verzeichnet ſtanden. Rotteck’s Hinſcheiden wurde land- auf landab als ein nationales Unglück beklagt; die liberalen Zeitungen nannten ihn einmüthig den erſten Volksmann des Jahrhunderts, auf ſeinem Grabſteine prangten die Schiller’ſchen Verſe: „Er iſt hin, und alle Luſt des Lebens wimmert hin in ein verlornes Ach!“ Maßlos wie die Bewunderung der Getreuen zeigte ſich auch der Haß der Gegner. Als die Oberländer ihrem tapferen Landsmann ein Standbild errichten wollten, verbot König Ludwig von Baiern ſeinem Schwanthaler die Ausführung des Kunſtwerks, weil „Rotteck nicht ein Ehrendenkmal, ſondern eine Schand- ſäule verdient“ hätte. Alſo ward durch Freund und Feind die von Welcker verkündigte „große badiſche Idee“ genährt, die Vorſtellung, daß hier am Oberrhein der liberale Muſterſtaat Deutſchlands beſtände. Der Stolz dieſer Volksvertretung, die wirklich auf der Höhe der Weltgeſchichte zu ſtehen glaubte, ſchien der Regierung ſchon darum uner- träglich, weil faſt die Hälfte der zweiten Kammer aus Staatsdienern be- ſtand und das ohnehin ſehr unabhängig geſtellte Beamtenthum leicht dahin gelangen konnte, ſich durch parlamentariſchen Druck ſeine eigenen Vor-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/341>, abgerufen am 21.11.2024.