Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Blittersdorff's Sturz. Briefe oder ließ ihn durch seinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be-fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz warnte vor Staatsstreichen, er ermuthigte den gequälten Fürsten zum Ausharren, wenn dieser unterweilen an Abdankung dachte, und ver- hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an- sah. Doch niemals begriff er, was die Verfassung für dies Land be- deutete. Das ganze bureaukratisch-constitutionelle Staatsleben des Südens ekelte ihn an; "die Umwandlung deutsch-fürstlicher Herrschaften in moderne Souveränitäten" blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für rathsam die Verfassung in wesentlichen Punkten umzugestalten, freilich nur mit gesetzlichen Mitteln -- was doch bei der Stimmung des badischen Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politisches Bünd- niß zwischen dem Hof und dem Erzbischof, damit eine conservative Partei "mit specifisch katholischem Charakter" sich bilden könne. Daß eine solche Partei der Krone Preußen feind sein mußte, ahnte er nicht.*) Den Ultramontanen zerstörte Blittersdorff's Sturz manche stille Ueberall in der Welt nahm der römische Stuhl seine alten Ansprüche *) Radowitz's Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Dessen Denkschrift
über Baden, 10. Dec. 1846. Blittersdorff’s Sturz. Briefe oder ließ ihn durch ſeinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be-fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz warnte vor Staatsſtreichen, er ermuthigte den gequälten Fürſten zum Ausharren, wenn dieſer unterweilen an Abdankung dachte, und ver- hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an- ſah. Doch niemals begriff er, was die Verfaſſung für dies Land be- deutete. Das ganze bureaukratiſch-conſtitutionelle Staatsleben des Südens ekelte ihn an; „die Umwandlung deutſch-fürſtlicher Herrſchaften in moderne Souveränitäten“ blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für rathſam die Verfaſſung in weſentlichen Punkten umzugeſtalten, freilich nur mit geſetzlichen Mitteln — was doch bei der Stimmung des badiſchen Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politiſches Bünd- niß zwiſchen dem Hof und dem Erzbiſchof, damit eine conſervative Partei „mit ſpecifiſch katholiſchem Charakter“ ſich bilden könne. Daß eine ſolche Partei der Krone Preußen feind ſein mußte, ahnte er nicht.*) Den Ultramontanen zerſtörte Blittersdorff’s Sturz manche ſtille Ueberall in der Welt nahm der römiſche Stuhl ſeine alten Anſprüche *) Radowitz’s Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Deſſen Denkſchrift
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Blittersdorff’s Sturz.
Briefe oder ließ ihn durch ſeinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be-
fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz
warnte vor Staatsſtreichen, er ermuthigte den gequälten Fürſten zum
Ausharren, wenn dieſer unterweilen an Abdankung dachte, und ver-
hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an-
ſah. Doch niemals begriff er, was die Verfaſſung für dies Land be-
deutete. Das ganze bureaukratiſch-conſtitutionelle Staatsleben des Südens
ekelte ihn an; „die Umwandlung deutſch-fürſtlicher Herrſchaften in moderne
Souveränitäten“ blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für
rathſam die Verfaſſung in weſentlichen Punkten umzugeſtalten, freilich
nur mit geſetzlichen Mitteln — was doch bei der Stimmung des badiſchen
Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politiſches Bünd-
niß zwiſchen dem Hof und dem Erzbiſchof, damit eine conſervative Partei
„mit ſpecifiſch katholiſchem Charakter“ ſich bilden könne. Daß eine ſolche
Partei der Krone Preußen feind ſein mußte, ahnte er nicht. *)
Den Ultramontanen zerſtörte Blittersdorff’s Sturz manche ſtille
Hoffnungen. Indeß zeigte ſich die Regierung ſo zerfahren und rathlos, daß
man wohl noch einen Vorſtoß wagen konnte. Vicari, der Nachfolger des
friedfertigen Demeter auf dem erzbiſchöflichen Stuhle, war ein ſchwacher,
freundlicher, leicht zu beherrſchender Greis, und bald genug ließ ſich die
Wirkſamkeit jener geheimnißvollen weltlichen und geiſtlichen Gäſte erkennen,
welche ſich am Freiburger Münſterplatze zur wohlbeſetzten Prälatentafel
einzufinden pflegten. Von Rom her ermuthigt, auch durch mehrere Peti-
tionen der Seeſchwaben aufgeſtachelt, befahl der Erzbiſchof plötzlich (1845),
daß bei der Einſegnung gemiſchter Ehen fortan wie in Preußen die katho-
liſche Erziehung der Kinder gefordert werden müſſe; und er ſetzte ſeinen
Willen durch, obgleich die Regierung lebhaft widerſprach, auch ein Theil
des Clerus ſelbſt bei dem milderen alten Brauche verharren wollte. So
begann ein kirchenpolitiſcher Kampf, der ſich durch ein Vierteljahrhundert
hinziehen ſollte. —
Ueberall in der Welt nahm der römiſche Stuhl ſeine alten Anſprüche
wieder auf, ſeit er in dem Kölniſchen Handel ſo unerwartet geſiegt hatte.
Auch Württemberg, das alle paritätiſchen Staaten Deutſchlands bisher um
ſeinen kirchlichen Frieden beneidet hatten, erlebte jetzt den erſten Anſturm
der Ultramontanen. Hier wurde das alte ſtaatskirchliche Syſtem, das in
ſämmtlichen Staaten der oberrheiniſchen Kirchenprovinz herrſchte, mit beſon-
derer Strenge gehandhabt. Die königliche Oberaufſichtsbehörde, der katho-
liſche Kirchenrath behütete alle Rechte der Kirchenhoheit ſo wachſam, daß
König Wilhelm nach ſeinen Erfahrungen wohl berechtigt war der Krone
Preußen die Nachbildung dieſer Behörde zu empfehlen. Selbſt in das innere
*) Radowitz’s Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Deſſen Denkſchrift
über Baden, 10. Dec. 1846.
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