Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Vielen als die Sache der evangelischen Freiheit; in solchem Sinne redeteein Aufruf aus Halle, der die Unterschriften Max Duncker's, des Philo- sophen Hinrichs und vieler anderen gemäßigten Männer trug. Selbst der alte Marheineke -- so seltsam verwirrten sich die Parteien -- hieß jetzt ein Liberaler, weil er Eichhorn's Kirchenpolitik literarisch bekämpfte, auch als Hegelianer den Rationalisten nahe stand; und er hatte doch einst im Namen der allmächtigen Staatsgewalt die liturgischen Schriften Schleier- macher's ebenso lebhaft befehdet. Neue Verfolgungen schärften den Un- willen. In Breslau wurde Consistorialrath David Schulz entlassen, weil er die Adresse der Stadt mit unterschrieben hatte; in Magdeburg konnte Erler, ein weit milderer Rationalist, die Bestätigung als Super- intendent nicht erlangen, weil er an Versammlungen der Lichtfreunde theil- genommen und dadurch das Vertrauen des Königs verloren hatte;*) in Halle mußte Karl Schwarz, ein gelehrter, keineswegs unkirchlicher junger Theolog, seine Vorlesungen einstweilen, bis auf bessere Erkenntniß, ein- stellen; in Königsberg schloß die reformirte Gemeinde selbst ihre Kirche, nachdem das Consistorium statt des Pfarrers Detroit, der die Symbole nicht verlesen wollte, einen anderen Geistlichen berufen hatte, und als der Berliner Michelet den Vorfall in einem parteiischen Zeitungsartikel besprach, da wurde selbst dieser schon längst unschädliche, ganz in seinen dialectischen Formeln eingerostete Hegelianer mit Absetzung bedroht. Das Alles geschah auf ausdrücklichen Befehl des Königs, der eigenhändig verfügte: "Die Frech- heit der Feinde des Evangelii wird nachgrade zu arg. Es muß und es soll auf's Würdigste und Aller-Entschiedenste gegen sie eingeschritten werden, sowohl in Königsberg, als in Halle, Magdeburg, Nordhausen, Berlin oder wo immer der Abfall von Gott vorbereitet wird um bald vom König abfallen zu können."**) Der Partei Hengstenberg's genügten diese kleinen Quälereien noch nicht, und auf der weiten Welt fand Friedrich Wilhelm's Kirchenpolitik nur einen einzigen namhaften Vertheidiger: Thomas Carlyle, den Namensvetter des Historikers, einen der zwölf Apostel der schottischen Irvingianer, der in seiner Schrift "Deutschlands moralische Phänomene" den christlichen Monarchen nicht ohne Geist, aber ohne Sach- kenntniß verherrlichte. Die krankhafte, unsern Tagen fast unbegreifliche Reizbarkeit der Zeit *) Zwei Cabinetsordres an Eichhorn, Ende Dec. 1845. **) König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Jan. 1847.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Vielen als die Sache der evangeliſchen Freiheit; in ſolchem Sinne redeteein Aufruf aus Halle, der die Unterſchriften Max Duncker’s, des Philo- ſophen Hinrichs und vieler anderen gemäßigten Männer trug. Selbſt der alte Marheineke — ſo ſeltſam verwirrten ſich die Parteien — hieß jetzt ein Liberaler, weil er Eichhorn’s Kirchenpolitik literariſch bekämpfte, auch als Hegelianer den Rationaliſten nahe ſtand; und er hatte doch einſt im Namen der allmächtigen Staatsgewalt die liturgiſchen Schriften Schleier- macher’s ebenſo lebhaft befehdet. Neue Verfolgungen ſchärften den Un- willen. In Breslau wurde Conſiſtorialrath David Schulz entlaſſen, weil er die Adreſſe der Stadt mit unterſchrieben hatte; in Magdeburg konnte Erler, ein weit milderer Rationaliſt, die Beſtätigung als Super- intendent nicht erlangen, weil er an Verſammlungen der Lichtfreunde theil- genommen und dadurch das Vertrauen des Königs verloren hatte;*) in Halle mußte Karl Schwarz, ein gelehrter, keineswegs unkirchlicher junger Theolog, ſeine Vorleſungen einſtweilen, bis auf beſſere Erkenntniß, ein- ſtellen; in Königsberg ſchloß die reformirte Gemeinde ſelbſt ihre Kirche, nachdem das Conſiſtorium ſtatt des Pfarrers Detroit, der die Symbole nicht verleſen wollte, einen anderen Geiſtlichen berufen hatte, und als der Berliner Michelet den Vorfall in einem parteiiſchen Zeitungsartikel beſprach, da wurde ſelbſt dieſer ſchon längſt unſchädliche, ganz in ſeinen dialectiſchen Formeln eingeroſtete Hegelianer mit Abſetzung bedroht. Das Alles geſchah auf ausdrücklichen Befehl des Königs, der eigenhändig verfügte: „Die Frech- heit der Feinde des Evangelii wird nachgrade zu arg. Es muß und es ſoll auf’s Würdigſte und Aller-Entſchiedenſte gegen ſie eingeſchritten werden, ſowohl in Königsberg, als in Halle, Magdeburg, Nordhauſen, Berlin oder wo immer der Abfall von Gott vorbereitet wird um bald vom König abfallen zu können.“**) Der Partei Hengſtenberg’s genügten dieſe kleinen Quälereien noch nicht, und auf der weiten Welt fand Friedrich Wilhelm’s Kirchenpolitik nur einen einzigen namhaften Vertheidiger: Thomas Carlyle, den Namensvetter des Hiſtorikers, einen der zwölf Apoſtel der ſchottiſchen Irvingianer, der in ſeiner Schrift „Deutſchlands moraliſche Phänomene“ den chriſtlichen Monarchen nicht ohne Geiſt, aber ohne Sach- kenntniß verherrlichte. Die krankhafte, unſern Tagen faſt unbegreifliche Reizbarkeit der Zeit *) Zwei Cabinetsordres an Eichhorn, Ende Dec. 1845. **) König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Jan. 1847.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0370" n="356"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/> Vielen als die Sache der evangeliſchen Freiheit; in ſolchem Sinne redete<lb/> ein Aufruf aus Halle, der die Unterſchriften Max Duncker’s, des Philo-<lb/> ſophen Hinrichs und vieler anderen gemäßigten Männer trug. Selbſt der<lb/> alte Marheineke — ſo ſeltſam verwirrten ſich die Parteien — hieß jetzt<lb/> ein Liberaler, weil er Eichhorn’s Kirchenpolitik literariſch bekämpfte, auch<lb/> als Hegelianer den Rationaliſten nahe ſtand; und er hatte doch einſt im<lb/> Namen der allmächtigen Staatsgewalt die liturgiſchen Schriften Schleier-<lb/> macher’s ebenſo lebhaft befehdet. Neue Verfolgungen ſchärften den Un-<lb/> willen. In Breslau wurde Conſiſtorialrath David Schulz entlaſſen,<lb/> weil er die Adreſſe der Stadt mit unterſchrieben hatte; in Magdeburg<lb/> konnte Erler, ein weit milderer Rationaliſt, die Beſtätigung als Super-<lb/> intendent nicht erlangen, weil er an Verſammlungen der Lichtfreunde theil-<lb/> genommen und dadurch das Vertrauen des Königs verloren hatte;<note place="foot" n="*)">Zwei Cabinetsordres an Eichhorn, Ende Dec. 1845.</note> in<lb/> Halle mußte Karl Schwarz, ein gelehrter, keineswegs unkirchlicher junger<lb/> Theolog, ſeine Vorleſungen einſtweilen, bis auf beſſere Erkenntniß, ein-<lb/> ſtellen; in Königsberg ſchloß die reformirte Gemeinde ſelbſt ihre Kirche,<lb/> nachdem das Conſiſtorium ſtatt des Pfarrers Detroit, der die Symbole nicht<lb/> verleſen wollte, einen anderen Geiſtlichen berufen hatte, und als der Berliner<lb/> Michelet den Vorfall in einem parteiiſchen Zeitungsartikel beſprach, da wurde<lb/> ſelbſt dieſer ſchon längſt unſchädliche, ganz in ſeinen dialectiſchen Formeln<lb/> eingeroſtete Hegelianer mit Abſetzung bedroht. Das Alles geſchah auf<lb/> ausdrücklichen Befehl des Königs, der eigenhändig verfügte: „Die Frech-<lb/> heit der Feinde des Evangelii wird nachgrade zu arg. Es <hi rendition="#g">muß</hi> und es<lb/><hi rendition="#b">ſoll</hi> auf’s <hi rendition="#g">Würdigſte</hi> und <hi rendition="#b">Aller-Entſchiedenſte</hi> gegen ſie eingeſchritten<lb/> werden, ſowohl in Königsberg, als in Halle, Magdeburg, Nordhauſen,<lb/> Berlin oder wo immer der Abfall von Gott vorbereitet wird um bald vom<lb/> König abfallen zu können.“<note place="foot" n="**)">König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Jan. 1847.</note> Der Partei Hengſtenberg’s genügten dieſe<lb/> kleinen Quälereien noch nicht, und auf der weiten Welt fand Friedrich<lb/> Wilhelm’s Kirchenpolitik nur einen einzigen namhaften Vertheidiger: Thomas<lb/> Carlyle, den Namensvetter des Hiſtorikers, einen der zwölf Apoſtel der<lb/> ſchottiſchen Irvingianer, der in ſeiner Schrift „Deutſchlands moraliſche<lb/> Phänomene“ den chriſtlichen Monarchen nicht ohne Geiſt, aber ohne Sach-<lb/> kenntniß verherrlichte.</p><lb/> <p>Die krankhafte, unſern Tagen faſt unbegreifliche Reizbarkeit der Zeit<lb/> zeigte ſich grell, als Friedrich v. Raumer im Jan. 1847 in Gegenwart<lb/> des Königs eine akademiſche Gedächtnißrede auf Friedrich <hi rendition="#aq">II.</hi> hielt. Der<lb/> nach Form und Inhalt gleich werthloſe Vortrag war erſichtlich veranlaßt<lb/> durch Tholuck’s Predigt über den großen König und ſollte wohl auch der<lb/> gegenwärtigen Regierung einige leiſe Mahnungen andeuten; dieſe polemiſche<lb/> Abſicht ließ ſich aber kaum bemerken, da der Redner in platter Behaglich-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [356/0370]
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Vielen als die Sache der evangeliſchen Freiheit; in ſolchem Sinne redete
ein Aufruf aus Halle, der die Unterſchriften Max Duncker’s, des Philo-
ſophen Hinrichs und vieler anderen gemäßigten Männer trug. Selbſt der
alte Marheineke — ſo ſeltſam verwirrten ſich die Parteien — hieß jetzt
ein Liberaler, weil er Eichhorn’s Kirchenpolitik literariſch bekämpfte, auch
als Hegelianer den Rationaliſten nahe ſtand; und er hatte doch einſt im
Namen der allmächtigen Staatsgewalt die liturgiſchen Schriften Schleier-
macher’s ebenſo lebhaft befehdet. Neue Verfolgungen ſchärften den Un-
willen. In Breslau wurde Conſiſtorialrath David Schulz entlaſſen,
weil er die Adreſſe der Stadt mit unterſchrieben hatte; in Magdeburg
konnte Erler, ein weit milderer Rationaliſt, die Beſtätigung als Super-
intendent nicht erlangen, weil er an Verſammlungen der Lichtfreunde theil-
genommen und dadurch das Vertrauen des Königs verloren hatte; *) in
Halle mußte Karl Schwarz, ein gelehrter, keineswegs unkirchlicher junger
Theolog, ſeine Vorleſungen einſtweilen, bis auf beſſere Erkenntniß, ein-
ſtellen; in Königsberg ſchloß die reformirte Gemeinde ſelbſt ihre Kirche,
nachdem das Conſiſtorium ſtatt des Pfarrers Detroit, der die Symbole nicht
verleſen wollte, einen anderen Geiſtlichen berufen hatte, und als der Berliner
Michelet den Vorfall in einem parteiiſchen Zeitungsartikel beſprach, da wurde
ſelbſt dieſer ſchon längſt unſchädliche, ganz in ſeinen dialectiſchen Formeln
eingeroſtete Hegelianer mit Abſetzung bedroht. Das Alles geſchah auf
ausdrücklichen Befehl des Königs, der eigenhändig verfügte: „Die Frech-
heit der Feinde des Evangelii wird nachgrade zu arg. Es muß und es
ſoll auf’s Würdigſte und Aller-Entſchiedenſte gegen ſie eingeſchritten
werden, ſowohl in Königsberg, als in Halle, Magdeburg, Nordhauſen,
Berlin oder wo immer der Abfall von Gott vorbereitet wird um bald vom
König abfallen zu können.“ **) Der Partei Hengſtenberg’s genügten dieſe
kleinen Quälereien noch nicht, und auf der weiten Welt fand Friedrich
Wilhelm’s Kirchenpolitik nur einen einzigen namhaften Vertheidiger: Thomas
Carlyle, den Namensvetter des Hiſtorikers, einen der zwölf Apoſtel der
ſchottiſchen Irvingianer, der in ſeiner Schrift „Deutſchlands moraliſche
Phänomene“ den chriſtlichen Monarchen nicht ohne Geiſt, aber ohne Sach-
kenntniß verherrlichte.
Die krankhafte, unſern Tagen faſt unbegreifliche Reizbarkeit der Zeit
zeigte ſich grell, als Friedrich v. Raumer im Jan. 1847 in Gegenwart
des Königs eine akademiſche Gedächtnißrede auf Friedrich II. hielt. Der
nach Form und Inhalt gleich werthloſe Vortrag war erſichtlich veranlaßt
durch Tholuck’s Predigt über den großen König und ſollte wohl auch der
gegenwärtigen Regierung einige leiſe Mahnungen andeuten; dieſe polemiſche
Abſicht ließ ſich aber kaum bemerken, da der Redner in platter Behaglich-
*) Zwei Cabinetsordres an Eichhorn, Ende Dec. 1845.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Jan. 1847.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |