bairischen Catilina Friedrich Rohmer nicht zurück hinter den Brüdern Bauer und den Berliner Freien, die einmal beim Saufgelage ein kräftiges Pereat Gott! gröhlten. Einer aus Rohmer's Kreise, A. Widmann, schilderte seine Erlebnisse, sobald er aus dem Taumel erwacht war, in einem Romane "der Tannhäuser"; und als er drei Jahre später, 1850, in der Zeit der politischen Enttäuschung, sein geistreiches Buch herausgab, da konnten die ernüchterten Leser schon kaum mehr begreifen, daß man "dies neue Titanenthum, das unserer Revolution vorausging", jemals be- wundert hätte.
In solchen Tagen besaß das halb poetische halb patriotische Pathos der politischen Lyrik seine volle Berechtigung. Wenn die neuen Zeitpoeten in wohlgereimten Versen die Nation beschworen, fortan das Verseschweißen zu lassen, so bekundeten sie durch den wunderlichen Widerspruch nur was dies thatenarme und thatendurstige Geschlecht wirklich empfand. Sie glaubten den Deutschen etwas völlig Neues zu bringen und betrachteten geringschätzig die von Heine so oft verhöhnte Jünglingspoesie des Be- freiungskriegs. Dennoch sind von ihren feiner und glätter durchgebildeten Gedichten nur sehr wenige so lebenskräftig bis zur Nachwelt durchgedrungen wie die kunstlosen Lieder Arndt's und Körner's, Schenkendorf's und Fou- que's. Die Dichter des großen Völkerkampfes besangen den Krieg, die einzige der künstlerischen Anschauung sofort vertraute politische Thätigkeit; sie erweckten durch ihre patriotische Begeisterung ewige, rein menschliche Gefühle, Waffenlust und Schlachtenzorn, Siegeshoffnung und Sieges- freude; sie verfolgten ein bestimmtes, dem schlichten Sinne verständliches Ziel, die Befreiung des Vaterlandes von den fremden Unterdrückern; sie dichteten mit dramatischer Wahrheit, oft recht eigentlich aus dem Steg- reife, fast im Angesichte des Feindes, und blieben bescheiden, weil in großer Zeit die That das Wort beschämt. Die modernen friedlichen Ideale consti- tutioneller Freiheit, bürgerlicher Gleichberechtigung, nationaler Einheit boten hingegen einen weit spröderen Stoff, der nur durch mächtige Leidenschaft, durch ungewöhnliche Größe des Urtheils künstlerisch bezwungen und gestaltet werden konnte; das leichtere Talent lief hier immer Gefahr, in die Leere der phrasenhaften Allgemeinheit oder in den Kleinsinn des Parteihasses oder in die Prosa der rohen Satire zu verfallen.
Und begreiflich genug, daß die neuen politischen Dichter sich selbst über- schätzten, denn vor glorreichen Thaten brauchten ihre großen Worte nicht zu erröthen; sie hielten sich für die gottbegnadeten Führer der Zeit, weil selbst die Männerwelt ihren Liedern freudig lauschte. So stürmische Huldigungen, wie sie Herwegh auf seiner Triumphreise erlebte, waren einem deutschen Dichter von ernsten Männern kaum je bereitet worden, und fast schien es, als sollte die Dichtung wieder stolz und breit in die Mitte unseres Volks- lebens treten. In Wahrheit war diese Begeisterung rein politisch. Die politischen Lieder klangen den Hörern wie verhaltene Parlamentsreden und
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
bairiſchen Catilina Friedrich Rohmer nicht zurück hinter den Brüdern Bauer und den Berliner Freien, die einmal beim Saufgelage ein kräftiges Pereat Gott! gröhlten. Einer aus Rohmer’s Kreiſe, A. Widmann, ſchilderte ſeine Erlebniſſe, ſobald er aus dem Taumel erwacht war, in einem Romane „der Tannhäuſer“; und als er drei Jahre ſpäter, 1850, in der Zeit der politiſchen Enttäuſchung, ſein geiſtreiches Buch herausgab, da konnten die ernüchterten Leſer ſchon kaum mehr begreifen, daß man „dies neue Titanenthum, das unſerer Revolution vorausging“, jemals be- wundert hätte.
In ſolchen Tagen beſaß das halb poetiſche halb patriotiſche Pathos der politiſchen Lyrik ſeine volle Berechtigung. Wenn die neuen Zeitpoeten in wohlgereimten Verſen die Nation beſchworen, fortan das Verſeſchweißen zu laſſen, ſo bekundeten ſie durch den wunderlichen Widerſpruch nur was dies thatenarme und thatendurſtige Geſchlecht wirklich empfand. Sie glaubten den Deutſchen etwas völlig Neues zu bringen und betrachteten geringſchätzig die von Heine ſo oft verhöhnte Jünglingspoeſie des Be- freiungskriegs. Dennoch ſind von ihren feiner und glätter durchgebildeten Gedichten nur ſehr wenige ſo lebenskräftig bis zur Nachwelt durchgedrungen wie die kunſtloſen Lieder Arndt’s und Körner’s, Schenkendorf’s und Fou- qué’s. Die Dichter des großen Völkerkampfes beſangen den Krieg, die einzige der künſtleriſchen Anſchauung ſofort vertraute politiſche Thätigkeit; ſie erweckten durch ihre patriotiſche Begeiſterung ewige, rein menſchliche Gefühle, Waffenluſt und Schlachtenzorn, Siegeshoffnung und Sieges- freude; ſie verfolgten ein beſtimmtes, dem ſchlichten Sinne verſtändliches Ziel, die Befreiung des Vaterlandes von den fremden Unterdrückern; ſie dichteten mit dramatiſcher Wahrheit, oft recht eigentlich aus dem Steg- reife, faſt im Angeſichte des Feindes, und blieben beſcheiden, weil in großer Zeit die That das Wort beſchämt. Die modernen friedlichen Ideale conſti- tutioneller Freiheit, bürgerlicher Gleichberechtigung, nationaler Einheit boten hingegen einen weit ſpröderen Stoff, der nur durch mächtige Leidenſchaft, durch ungewöhnliche Größe des Urtheils künſtleriſch bezwungen und geſtaltet werden konnte; das leichtere Talent lief hier immer Gefahr, in die Leere der phraſenhaften Allgemeinheit oder in den Kleinſinn des Parteihaſſes oder in die Proſa der rohen Satire zu verfallen.
Und begreiflich genug, daß die neuen politiſchen Dichter ſich ſelbſt über- ſchätzten, denn vor glorreichen Thaten brauchten ihre großen Worte nicht zu erröthen; ſie hielten ſich für die gottbegnadeten Führer der Zeit, weil ſelbſt die Männerwelt ihren Liedern freudig lauſchte. So ſtürmiſche Huldigungen, wie ſie Herwegh auf ſeiner Triumphreiſe erlebte, waren einem deutſchen Dichter von ernſten Männern kaum je bereitet worden, und faſt ſchien es, als ſollte die Dichtung wieder ſtolz und breit in die Mitte unſeres Volks- lebens treten. In Wahrheit war dieſe Begeiſterung rein politiſch. Die politiſchen Lieder klangen den Hörern wie verhaltene Parlamentsreden und
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V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
bairiſchen Catilina Friedrich Rohmer nicht zurück hinter den Brüdern
Bauer und den Berliner Freien, die einmal beim Saufgelage ein kräftiges
Pereat Gott! gröhlten. Einer aus Rohmer’s Kreiſe, A. Widmann, ſchilderte
ſeine Erlebniſſe, ſobald er aus dem Taumel erwacht war, in einem
Romane „der Tannhäuſer“; und als er drei Jahre ſpäter, 1850, in der
Zeit der politiſchen Enttäuſchung, ſein geiſtreiches Buch herausgab, da
konnten die ernüchterten Leſer ſchon kaum mehr begreifen, daß man „dies
neue Titanenthum, das unſerer Revolution vorausging“, jemals be-
wundert hätte.
In ſolchen Tagen beſaß das halb poetiſche halb patriotiſche Pathos
der politiſchen Lyrik ſeine volle Berechtigung. Wenn die neuen Zeitpoeten
in wohlgereimten Verſen die Nation beſchworen, fortan das Verſeſchweißen
zu laſſen, ſo bekundeten ſie durch den wunderlichen Widerſpruch nur was
dies thatenarme und thatendurſtige Geſchlecht wirklich empfand. Sie
glaubten den Deutſchen etwas völlig Neues zu bringen und betrachteten
geringſchätzig die von Heine ſo oft verhöhnte Jünglingspoeſie des Be-
freiungskriegs. Dennoch ſind von ihren feiner und glätter durchgebildeten
Gedichten nur ſehr wenige ſo lebenskräftig bis zur Nachwelt durchgedrungen
wie die kunſtloſen Lieder Arndt’s und Körner’s, Schenkendorf’s und Fou-
qué’s. Die Dichter des großen Völkerkampfes beſangen den Krieg, die
einzige der künſtleriſchen Anſchauung ſofort vertraute politiſche Thätigkeit;
ſie erweckten durch ihre patriotiſche Begeiſterung ewige, rein menſchliche
Gefühle, Waffenluſt und Schlachtenzorn, Siegeshoffnung und Sieges-
freude; ſie verfolgten ein beſtimmtes, dem ſchlichten Sinne verſtändliches
Ziel, die Befreiung des Vaterlandes von den fremden Unterdrückern; ſie
dichteten mit dramatiſcher Wahrheit, oft recht eigentlich aus dem Steg-
reife, faſt im Angeſichte des Feindes, und blieben beſcheiden, weil in großer
Zeit die That das Wort beſchämt. Die modernen friedlichen Ideale conſti-
tutioneller Freiheit, bürgerlicher Gleichberechtigung, nationaler Einheit boten
hingegen einen weit ſpröderen Stoff, der nur durch mächtige Leidenſchaft,
durch ungewöhnliche Größe des Urtheils künſtleriſch bezwungen und geſtaltet
werden konnte; das leichtere Talent lief hier immer Gefahr, in die Leere
der phraſenhaften Allgemeinheit oder in den Kleinſinn des Parteihaſſes
oder in die Proſa der rohen Satire zu verfallen.
Und begreiflich genug, daß die neuen politiſchen Dichter ſich ſelbſt über-
ſchätzten, denn vor glorreichen Thaten brauchten ihre großen Worte nicht zu
erröthen; ſie hielten ſich für die gottbegnadeten Führer der Zeit, weil ſelbſt
die Männerwelt ihren Liedern freudig lauſchte. So ſtürmiſche Huldigungen,
wie ſie Herwegh auf ſeiner Triumphreiſe erlebte, waren einem deutſchen
Dichter von ernſten Männern kaum je bereitet worden, und faſt ſchien es,
als ſollte die Dichtung wieder ſtolz und breit in die Mitte unſeres Volks-
lebens treten. In Wahrheit war dieſe Begeiſterung rein politiſch. Die
politiſchen Lieder klangen den Hörern wie verhaltene Parlamentsreden und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/386>, abgerufen am 21.11.2024.
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