die sich in absteigender Linie entwickeln, der unmäßige Beifall war Gift für diese kleine eitle Seele. Die Radicalen hatten ihm nicht verargt, daß er, der Deserteur, in prahlenden Liedern nach "eines Streithengsts Bü- geln" verlangte; aber seine herzbrechende Klage "mein ganzer Reichthum ist mein Lied" vergaßen sie nicht, und als er jetzt, durch eine Heirath reich geworden, in ein träges, nichtsnutziges Wohlleben versank, da wendeten sie sich doch erschrocken ab, denn der ekelhafte Anblick prassender Dema- gogen war den Deutschen noch neu.
Von dichterischer Kraft blieb ihm bald nichts mehr als die Form- gewandtheit. Seine radicale Gesinnung erhitzte sich bis zur lästernden Frechheit, weil er zu faul, zu selbstisch war um von der Zeit zu lernen. Schon vier Jahre vor der Revolution sang er die wüsten Verse:
Keine Steuern, keine Zölle, Des Gedankens Freiverkehr! Keinen Teufel in der Hölle, Keinen Gott im Himmel mehr! Nieder mit dem Blutpokale, Drin der Kirche Wahnwitz kreist! Ein Columb zerbricht die Schale, Wenn er eine Welt beweist.
Und während des polnischen Aufstandes von 1846 schrieb er wüthend:
Ich rufe den Empörern Sieg Und jede Schmach auf deutsche Fahnen!
Als ihm dann endlich, nach kläglichen Heldenthaten im Revolutionsjahre, ein gütiges Geschick beschied, die Tage deutschen Ruhmes zu erleben, da ist er noch lange keifend, schimpfend, höhnend hinter dem Siegeswagen des neuen deutschen Reichs dahergetaumelt, ein Trunkenbold der Phrase, ver- achtet von den Einsichtigen, vergessen von der Mehrheit der Nation. Neben Herwegh's Neuen Gedichten erschienen die losen Spottverse Hoffmann's v. Fallersleben, mit aller ihrer burschikosen Thorheit, doch ehrlich und harmlos; und wie konnte man denn mit ihm rechten, der in guten Stunden seinem Volke so tief in's treue Herz blickte, der, selber ohne Haus und Heerd, in seinen Kinderliedern das holde Dämmerglück der deutschen Kinder- welt so warm, so wahr, so einfältig, ohne einen einzigen falschen Ton moderner Niedlichkeit, besang?
Aus feinerem Thone geformt war der dritte der beliebten Zeitpoeten, der kosmopolitische Nachtwächter Franz Dingelstedt. Man feierte ihn weniger laut als jene Beiden, weil die jüdischen Zeitungskritiker ihm grollten und seine oft an Platen's Formenstrenge erinnernden Gedichte sich nicht singen ließen. Dennoch übertraf er sie durch Geist und Witz, durch die scharfe Welt- und Menschenkenntniß, die dem politischen Dichter so un- entbehrlich ist wie dem Historiker. Die leeren Allgemeinheiten verschmähend suchte er die grellen Widersprüche des deutschen Lebens zu anschaulichen Bildern zu gestalten und schilderte bald mit übermüthigem Spott die
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
die ſich in abſteigender Linie entwickeln, der unmäßige Beifall war Gift für dieſe kleine eitle Seele. Die Radicalen hatten ihm nicht verargt, daß er, der Deſerteur, in prahlenden Liedern nach „eines Streithengſts Bü- geln“ verlangte; aber ſeine herzbrechende Klage „mein ganzer Reichthum iſt mein Lied“ vergaßen ſie nicht, und als er jetzt, durch eine Heirath reich geworden, in ein träges, nichtsnutziges Wohlleben verſank, da wendeten ſie ſich doch erſchrocken ab, denn der ekelhafte Anblick praſſender Dema- gogen war den Deutſchen noch neu.
Von dichteriſcher Kraft blieb ihm bald nichts mehr als die Form- gewandtheit. Seine radicale Geſinnung erhitzte ſich bis zur läſternden Frechheit, weil er zu faul, zu ſelbſtiſch war um von der Zeit zu lernen. Schon vier Jahre vor der Revolution ſang er die wüſten Verſe:
Keine Steuern, keine Zölle, Des Gedankens Freiverkehr! Keinen Teufel in der Hölle, Keinen Gott im Himmel mehr! Nieder mit dem Blutpokale, Drin der Kirche Wahnwitz kreiſt! Ein Columb zerbricht die Schale, Wenn er eine Welt beweiſt.
Und während des polniſchen Aufſtandes von 1846 ſchrieb er wüthend:
Ich rufe den Empörern Sieg Und jede Schmach auf deutſche Fahnen!
Als ihm dann endlich, nach kläglichen Heldenthaten im Revolutionsjahre, ein gütiges Geſchick beſchied, die Tage deutſchen Ruhmes zu erleben, da iſt er noch lange keifend, ſchimpfend, höhnend hinter dem Siegeswagen des neuen deutſchen Reichs dahergetaumelt, ein Trunkenbold der Phraſe, ver- achtet von den Einſichtigen, vergeſſen von der Mehrheit der Nation. Neben Herwegh’s Neuen Gedichten erſchienen die loſen Spottverſe Hoffmann’s v. Fallersleben, mit aller ihrer burſchikoſen Thorheit, doch ehrlich und harmlos; und wie konnte man denn mit ihm rechten, der in guten Stunden ſeinem Volke ſo tief in’s treue Herz blickte, der, ſelber ohne Haus und Heerd, in ſeinen Kinderliedern das holde Dämmerglück der deutſchen Kinder- welt ſo warm, ſo wahr, ſo einfältig, ohne einen einzigen falſchen Ton moderner Niedlichkeit, beſang?
Aus feinerem Thone geformt war der dritte der beliebten Zeitpoeten, der kosmopolitiſche Nachtwächter Franz Dingelſtedt. Man feierte ihn weniger laut als jene Beiden, weil die jüdiſchen Zeitungskritiker ihm grollten und ſeine oft an Platen’s Formenſtrenge erinnernden Gedichte ſich nicht ſingen ließen. Dennoch übertraf er ſie durch Geiſt und Witz, durch die ſcharfe Welt- und Menſchenkenntniß, die dem politiſchen Dichter ſo un- entbehrlich iſt wie dem Hiſtoriker. Die leeren Allgemeinheiten verſchmähend ſuchte er die grellen Widerſprüche des deutſchen Lebens zu anſchaulichen Bildern zu geſtalten und ſchilderte bald mit übermüthigem Spott die
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für dieſe kleine eitle Seele. Die Radicalen hatten ihm nicht verargt, daß
er, der Deſerteur, in prahlenden Liedern nach „eines Streithengſts Bü-
geln“ verlangte; aber ſeine herzbrechende Klage „mein ganzer Reichthum
iſt mein Lied“ vergaßen ſie nicht, und als er jetzt, durch eine Heirath
reich geworden, in ein träges, nichtsnutziges Wohlleben verſank, da wendeten
ſie ſich doch erſchrocken ab, denn der ekelhafte Anblick praſſender Dema-
gogen war den Deutſchen noch neu.
Von dichteriſcher Kraft blieb ihm bald nichts mehr als die Form-
gewandtheit. Seine radicale Geſinnung erhitzte ſich bis zur läſternden
Frechheit, weil er zu faul, zu ſelbſtiſch war um von der Zeit zu lernen.
Schon vier Jahre vor der Revolution ſang er die wüſten Verſe:
Keine Steuern, keine Zölle,
Des Gedankens Freiverkehr!
Keinen Teufel in der Hölle,
Keinen Gott im Himmel mehr!
Nieder mit dem Blutpokale,
Drin der Kirche Wahnwitz kreiſt!
Ein Columb zerbricht die Schale,
Wenn er eine Welt beweiſt.
Und während des polniſchen Aufſtandes von 1846 ſchrieb er wüthend:
Ich rufe den Empörern Sieg
Und jede Schmach auf deutſche Fahnen!
Als ihm dann endlich, nach kläglichen Heldenthaten im Revolutionsjahre,
ein gütiges Geſchick beſchied, die Tage deutſchen Ruhmes zu erleben, da iſt
er noch lange keifend, ſchimpfend, höhnend hinter dem Siegeswagen des
neuen deutſchen Reichs dahergetaumelt, ein Trunkenbold der Phraſe, ver-
achtet von den Einſichtigen, vergeſſen von der Mehrheit der Nation. Neben
Herwegh’s Neuen Gedichten erſchienen die loſen Spottverſe Hoffmann’s
v. Fallersleben, mit aller ihrer burſchikoſen Thorheit, doch ehrlich und
harmlos; und wie konnte man denn mit ihm rechten, der in guten Stunden
ſeinem Volke ſo tief in’s treue Herz blickte, der, ſelber ohne Haus und
Heerd, in ſeinen Kinderliedern das holde Dämmerglück der deutſchen Kinder-
welt ſo warm, ſo wahr, ſo einfältig, ohne einen einzigen falſchen Ton
moderner Niedlichkeit, beſang?
Aus feinerem Thone geformt war der dritte der beliebten Zeitpoeten,
der kosmopolitiſche Nachtwächter Franz Dingelſtedt. Man feierte ihn
weniger laut als jene Beiden, weil die jüdiſchen Zeitungskritiker ihm grollten
und ſeine oft an Platen’s Formenſtrenge erinnernden Gedichte ſich nicht
ſingen ließen. Dennoch übertraf er ſie durch Geiſt und Witz, durch die
ſcharfe Welt- und Menſchenkenntniß, die dem politiſchen Dichter ſo un-
entbehrlich iſt wie dem Hiſtoriker. Die leeren Allgemeinheiten verſchmähend
ſuchte er die grellen Widerſprüche des deutſchen Lebens zu anſchaulichen
Bildern zu geſtalten und ſchilderte bald mit übermüthigem Spott die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/388>, abgerufen am 21.11.2024.
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