Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. innerte, dachte er zu überwinden durch den Atta Troll, einen Sommer-nachtstraum, der phantastisch sein sollte, zwecklos wie die Liebe, wie das Leben. Er überwand sie nicht, obwohl er zu ihrer Verhöhnung das glück- liche Schlagwort erfand "kein Genie, doch ein Charakter"; denn sein eigenes Gemüth empfand längst nicht mehr frei genug um sich unbefangen im Spiele des Humors zu ergehen. Der Atta Troll wurde keineswegs, wie der Dichter meinte, das letzte freie Waldlied der Romantik, sondern grade durch den bewußten Kampf wider die Tendenz selbst ein Tendenz- gedicht; ihm fehlte nicht nur, wie allen größeren Versuchen Heine's, die geschlossene künstlerische Composition, sondern auch die Einheit der Stim- mung. An dem dünnen Faden einer albernen, nicht einmal drolligen Bärengeschichte war allerhand feuilletonistischer Kleinkram aufgereiht: Landschaftsschilderungen aus den Pyrenäen, Zauberbilder von der Hexen- küche und der wilden Jagd, vornehmlich aber politische und literarische Bosheiten jeder Art. Reich an schönen Bildern und bestechenden über- müthigen Witzen wirkte das Ganze doch nicht heiter, nicht befreiend. Der Waldesduft der unschuldigen Märchenwelt vertrug sich nicht mit dem Schwefeläther journalistischer Polemik; die vierfüßigen Trochäen, die nur durch das heroische Pathos spanischer Grandezza Kraft und Feuer ge- winnen können, klangen hier, wo sie einem komischen Stoffe aufgezwängt wurden, eintönig, einschläfernd, wie das Geplätscher aus dem Brunnen- rohre. Weit freier und ehrlicher, aber auch noch schmutziger und frecher gab V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft. innerte, dachte er zu überwinden durch den Atta Troll, einen Sommer-nachtstraum, der phantaſtiſch ſein ſollte, zwecklos wie die Liebe, wie das Leben. Er überwand ſie nicht, obwohl er zu ihrer Verhöhnung das glück- liche Schlagwort erfand „kein Genie, doch ein Charakter“; denn ſein eigenes Gemüth empfand längſt nicht mehr frei genug um ſich unbefangen im Spiele des Humors zu ergehen. Der Atta Troll wurde keineswegs, wie der Dichter meinte, das letzte freie Waldlied der Romantik, ſondern grade durch den bewußten Kampf wider die Tendenz ſelbſt ein Tendenz- gedicht; ihm fehlte nicht nur, wie allen größeren Verſuchen Heine’s, die geſchloſſene künſtleriſche Compoſition, ſondern auch die Einheit der Stim- mung. An dem dünnen Faden einer albernen, nicht einmal drolligen Bärengeſchichte war allerhand feuilletoniſtiſcher Kleinkram aufgereiht: Landſchaftsſchilderungen aus den Pyrenäen, Zauberbilder von der Hexen- küche und der wilden Jagd, vornehmlich aber politiſche und literariſche Bosheiten jeder Art. Reich an ſchönen Bildern und beſtechenden über- müthigen Witzen wirkte das Ganze doch nicht heiter, nicht befreiend. Der Waldesduft der unſchuldigen Märchenwelt vertrug ſich nicht mit dem Schwefeläther journaliſtiſcher Polemik; die vierfüßigen Trochäen, die nur durch das heroiſche Pathos ſpaniſcher Grandezza Kraft und Feuer ge- winnen können, klangen hier, wo ſie einem komiſchen Stoffe aufgezwängt wurden, eintönig, einſchläfernd, wie das Geplätſcher aus dem Brunnen- rohre. Weit freier und ehrlicher, aber auch noch ſchmutziger und frecher gab <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0394" n="380"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 5. 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Dieſe jungen Propheten fühlten ſich zumeiſt doch ſtolz als Söhne<lb/> eines großen Vaterlandes; Heine’s Tendenz aber blieb nach wie vor<lb/> alles deutſche Weſen zu verhöhnen, obgleich ihn dann und wann ein-<lb/> mal ein leiſes Heimweh beſchlich. Er hatte ſich ſeiner Nation ent-<lb/> fremdet und ſtand den neuen Ideen, welche Deutſchland jetzt durch-<lb/> rauſchten, ebenſo verſtändnißlos, ebenſo reaktionär gegenüber, wie einſt Ni-<lb/> colai und die Berliner Aufklärer unſerer jugendlichen claſſiſchen Dichtung.<lb/> Was ihm auch im neuen Deutſchland begegnen mochte, Alles und Jedes<lb/> riß er in den Staub; auf jeder Seite des Wintermärchens kicherte er<lb/> ſchadenfroh: es wird nichts daraus, es kann nichts daraus werden; und<lb/> den Siegern von Dennewitz und Belle Alliance, die in ihrem neuen<lb/> Helmſchmucke ſo bald wieder zum dritten male den alten Siegesweg nach<lb/> Paris ziehen ſollten, ſang er weiſſagend die Warnung zu: „Des Mittel-<lb/> alters ſchwerer Helm könnt’ Euch geniren im Laufen!“ Aber all dieſer<lb/> Hohn und Haß kam unzweifelhaft aus den Tiefen des Herzens. Auch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [380/0394]
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
innerte, dachte er zu überwinden durch den Atta Troll, einen Sommer-
nachtstraum, der phantaſtiſch ſein ſollte, zwecklos wie die Liebe, wie das
Leben. Er überwand ſie nicht, obwohl er zu ihrer Verhöhnung das glück-
liche Schlagwort erfand „kein Genie, doch ein Charakter“; denn ſein
eigenes Gemüth empfand längſt nicht mehr frei genug um ſich unbefangen
im Spiele des Humors zu ergehen. Der Atta Troll wurde keineswegs,
wie der Dichter meinte, das letzte freie Waldlied der Romantik, ſondern
grade durch den bewußten Kampf wider die Tendenz ſelbſt ein Tendenz-
gedicht; ihm fehlte nicht nur, wie allen größeren Verſuchen Heine’s, die
geſchloſſene künſtleriſche Compoſition, ſondern auch die Einheit der Stim-
mung. An dem dünnen Faden einer albernen, nicht einmal drolligen
Bärengeſchichte war allerhand feuilletoniſtiſcher Kleinkram aufgereiht:
Landſchaftsſchilderungen aus den Pyrenäen, Zauberbilder von der Hexen-
küche und der wilden Jagd, vornehmlich aber politiſche und literariſche
Bosheiten jeder Art. Reich an ſchönen Bildern und beſtechenden über-
müthigen Witzen wirkte das Ganze doch nicht heiter, nicht befreiend.
Der Waldesduft der unſchuldigen Märchenwelt vertrug ſich nicht mit dem
Schwefeläther journaliſtiſcher Polemik; die vierfüßigen Trochäen, die nur
durch das heroiſche Pathos ſpaniſcher Grandezza Kraft und Feuer ge-
winnen können, klangen hier, wo ſie einem komiſchen Stoffe aufgezwängt
wurden, eintönig, einſchläfernd, wie das Geplätſcher aus dem Brunnen-
rohre.
Weit freier und ehrlicher, aber auch noch ſchmutziger und frecher gab
ſich Heine in dem Wintermärchen: Deutſchland (1844); er ſchrieb es nieder,
nachdem er, völlig unbeläſtigt durch die Behörden, ſein Vaterland noch
einmal beſucht hatte. Hier war Alles Tendenz; hier zeigte ſich, daß der
Atta Troll durchaus nicht die proſaiſche Herabwürdigung der freien Kunſt
bekämpft hatte, ſondern lediglich die politiſche Richtung der neuen Zeit-
lyriker. Dieſe jungen Propheten fühlten ſich zumeiſt doch ſtolz als Söhne
eines großen Vaterlandes; Heine’s Tendenz aber blieb nach wie vor
alles deutſche Weſen zu verhöhnen, obgleich ihn dann und wann ein-
mal ein leiſes Heimweh beſchlich. Er hatte ſich ſeiner Nation ent-
fremdet und ſtand den neuen Ideen, welche Deutſchland jetzt durch-
rauſchten, ebenſo verſtändnißlos, ebenſo reaktionär gegenüber, wie einſt Ni-
colai und die Berliner Aufklärer unſerer jugendlichen claſſiſchen Dichtung.
Was ihm auch im neuen Deutſchland begegnen mochte, Alles und Jedes
riß er in den Staub; auf jeder Seite des Wintermärchens kicherte er
ſchadenfroh: es wird nichts daraus, es kann nichts daraus werden; und
den Siegern von Dennewitz und Belle Alliance, die in ihrem neuen
Helmſchmucke ſo bald wieder zum dritten male den alten Siegesweg nach
Paris ziehen ſollten, ſang er weiſſagend die Warnung zu: „Des Mittel-
alters ſchwerer Helm könnt’ Euch geniren im Laufen!“ Aber all dieſer
Hohn und Haß kam unzweifelhaft aus den Tiefen des Herzens. Auch
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