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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
großen Königs entscheidend, auf seine philosophische Ueberzeugung mit-
bestimmend eingewirkt, der preußischen Politik wurde er unnachsichtlich
immer fern gehalten. Humboldt konnte auf die längst fertige Weltan-
schauung seines königlichen Freundes schon darum keinen Einfluß ge-
winnen, weil er halb unter halb über ihr stand. Dem Jünger der alten
Aufklärung, der schon in seinen jungen Tagen den preußischen Beamten
zu Baireuth für einen Jacobiner gegolten hatte, fehlte jedes Verständniß
für das neue religiöse Leben, das den Deutschen tagte und von dem
Könige so freudig begrüßt wurde; andererseits würdigte er weit unbefangener
als Friedrich Wilhelm die liberalen Ideen des emporsteigenden Mittel-
standes. Also fast in Allem verschieden fanden sich die Beiden nur zu-
sammen in der leidenschaftlichen Freude des Forschens und Erkennens.
Humboldt fühlte bald heraus, daß dieser König kein Mann des Handelns
sei und das Glück, dessen er doch bedurfte, niemals finden würde; darum
beschied er sich, auf dem einzigen Gebiete der Politik, das ihm offen blieb,
Segen zu stiften, die mäcenatischen Neigungen des Königs zu nähren,
alle aufstrebenden Kräfte deutscher Kunst und Wissenschaft wirksamer zu
fördern als es unter dem sparsamen, schwer zugänglichen alten Herrn mög-
lich gewesen. Mit ungewöhnlicher Offenheit sprach er sich darüber ein-
mal gegen Bunsen aus: "Ich habe die Schwachheit zu wollen, daß die,
deren Talent ich früh erkannt und verehrt habe, etwas Großes hervor-
bringen. Dadurch hält man sich gegenseitig in der Welt und trägt dazu
bei die Achtung vor geistigen Bestrebungen wie ein heiliges Feuer zu
nähren und zu bewahren."

Er wollte der anerkannte Fürst sein im Reiche des Wissens, aber
diese Macht auch in großem Sinne gebrauchen, um das perikleische Staats-
ideal zu verwirklichen, das ihm so hoch stand wie seinem Bruder Wilhelm;
ohne die Pflege des Wahren und des Schönen war ihm selbst der stark-
gerüstete und wohlgeordnete Staat werthlos. An Allem was Friedrich
Wilhelm für die Wissenschaft that hatte Humboldt seinen reichen Antheil.
Das alte Familienhaus in der Oranienburger Straße ward ein Wall-
fahrtsort für alle jungen Talente. Dort fanden Hermann Helmholtz und
manche andere vielverheißende Anfänger Rath und Hilfe. Dort saß der
kleine Greis unter Thürmen von Büchern, Karten, Briefen und Sen-
dungen jeder Art, die ihm aus allen Theilen der Erde zuflogen -- ihm
gegenüber auf der grünen Wand die große Weltkarte -- und schrieb die
langen Nächte hindurch, über sein Knie gebückt, bald an seinem Kosmos,
bald Entwürfe für wissenschaftliche Anstalten oder auch ungezählte Empfeh-
lungsbriefe; es war, als ob alle Fäden aus dem unermeßlichen Reiche der
Forschung in der Hand des alten Zauberers zusammenliefen. Der König
überschüttete ihn mit Ehren und Geschenken, ohne doch hindern zu können,
daß der aller Wirthschaft Unkundige schließlich der Schuldknecht seines
eigenen Hausdieners wurde. In den Briefen an seinen theuersten Alexan-

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
großen Königs entſcheidend, auf ſeine philoſophiſche Ueberzeugung mit-
beſtimmend eingewirkt, der preußiſchen Politik wurde er unnachſichtlich
immer fern gehalten. Humboldt konnte auf die längſt fertige Weltan-
ſchauung ſeines königlichen Freundes ſchon darum keinen Einfluß ge-
winnen, weil er halb unter halb über ihr ſtand. Dem Jünger der alten
Aufklärung, der ſchon in ſeinen jungen Tagen den preußiſchen Beamten
zu Baireuth für einen Jacobiner gegolten hatte, fehlte jedes Verſtändniß
für das neue religiöſe Leben, das den Deutſchen tagte und von dem
Könige ſo freudig begrüßt wurde; andererſeits würdigte er weit unbefangener
als Friedrich Wilhelm die liberalen Ideen des emporſteigenden Mittel-
ſtandes. Alſo faſt in Allem verſchieden fanden ſich die Beiden nur zu-
ſammen in der leidenſchaftlichen Freude des Forſchens und Erkennens.
Humboldt fühlte bald heraus, daß dieſer König kein Mann des Handelns
ſei und das Glück, deſſen er doch bedurfte, niemals finden würde; darum
beſchied er ſich, auf dem einzigen Gebiete der Politik, das ihm offen blieb,
Segen zu ſtiften, die mäcenatiſchen Neigungen des Königs zu nähren,
alle aufſtrebenden Kräfte deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft wirkſamer zu
fördern als es unter dem ſparſamen, ſchwer zugänglichen alten Herrn mög-
lich geweſen. Mit ungewöhnlicher Offenheit ſprach er ſich darüber ein-
mal gegen Bunſen aus: „Ich habe die Schwachheit zu wollen, daß die,
deren Talent ich früh erkannt und verehrt habe, etwas Großes hervor-
bringen. Dadurch hält man ſich gegenſeitig in der Welt und trägt dazu
bei die Achtung vor geiſtigen Beſtrebungen wie ein heiliges Feuer zu
nähren und zu bewahren.“

Er wollte der anerkannte Fürſt ſein im Reiche des Wiſſens, aber
dieſe Macht auch in großem Sinne gebrauchen, um das perikleiſche Staats-
ideal zu verwirklichen, das ihm ſo hoch ſtand wie ſeinem Bruder Wilhelm;
ohne die Pflege des Wahren und des Schönen war ihm ſelbſt der ſtark-
gerüſtete und wohlgeordnete Staat werthlos. An Allem was Friedrich
Wilhelm für die Wiſſenſchaft that hatte Humboldt ſeinen reichen Antheil.
Das alte Familienhaus in der Oranienburger Straße ward ein Wall-
fahrtsort für alle jungen Talente. Dort fanden Hermann Helmholtz und
manche andere vielverheißende Anfänger Rath und Hilfe. Dort ſaß der
kleine Greis unter Thürmen von Büchern, Karten, Briefen und Sen-
dungen jeder Art, die ihm aus allen Theilen der Erde zuflogen — ihm
gegenüber auf der grünen Wand die große Weltkarte — und ſchrieb die
langen Nächte hindurch, über ſein Knie gebückt, bald an ſeinem Kosmos,
bald Entwürfe für wiſſenſchaftliche Anſtalten oder auch ungezählte Empfeh-
lungsbriefe; es war, als ob alle Fäden aus dem unermeßlichen Reiche der
Forſchung in der Hand des alten Zauberers zuſammenliefen. Der König
überſchüttete ihn mit Ehren und Geſchenken, ohne doch hindern zu können,
daß der aller Wirthſchaft Unkundige ſchließlich der Schuldknecht ſeines
eigenen Hausdieners wurde. In den Briefen an ſeinen theuerſten Alexan-

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[28/0042] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. großen Königs entſcheidend, auf ſeine philoſophiſche Ueberzeugung mit- beſtimmend eingewirkt, der preußiſchen Politik wurde er unnachſichtlich immer fern gehalten. Humboldt konnte auf die längſt fertige Weltan- ſchauung ſeines königlichen Freundes ſchon darum keinen Einfluß ge- winnen, weil er halb unter halb über ihr ſtand. Dem Jünger der alten Aufklärung, der ſchon in ſeinen jungen Tagen den preußiſchen Beamten zu Baireuth für einen Jacobiner gegolten hatte, fehlte jedes Verſtändniß für das neue religiöſe Leben, das den Deutſchen tagte und von dem Könige ſo freudig begrüßt wurde; andererſeits würdigte er weit unbefangener als Friedrich Wilhelm die liberalen Ideen des emporſteigenden Mittel- ſtandes. Alſo faſt in Allem verſchieden fanden ſich die Beiden nur zu- ſammen in der leidenſchaftlichen Freude des Forſchens und Erkennens. Humboldt fühlte bald heraus, daß dieſer König kein Mann des Handelns ſei und das Glück, deſſen er doch bedurfte, niemals finden würde; darum beſchied er ſich, auf dem einzigen Gebiete der Politik, das ihm offen blieb, Segen zu ſtiften, die mäcenatiſchen Neigungen des Königs zu nähren, alle aufſtrebenden Kräfte deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft wirkſamer zu fördern als es unter dem ſparſamen, ſchwer zugänglichen alten Herrn mög- lich geweſen. Mit ungewöhnlicher Offenheit ſprach er ſich darüber ein- mal gegen Bunſen aus: „Ich habe die Schwachheit zu wollen, daß die, deren Talent ich früh erkannt und verehrt habe, etwas Großes hervor- bringen. Dadurch hält man ſich gegenſeitig in der Welt und trägt dazu bei die Achtung vor geiſtigen Beſtrebungen wie ein heiliges Feuer zu nähren und zu bewahren.“ Er wollte der anerkannte Fürſt ſein im Reiche des Wiſſens, aber dieſe Macht auch in großem Sinne gebrauchen, um das perikleiſche Staats- ideal zu verwirklichen, das ihm ſo hoch ſtand wie ſeinem Bruder Wilhelm; ohne die Pflege des Wahren und des Schönen war ihm ſelbſt der ſtark- gerüſtete und wohlgeordnete Staat werthlos. An Allem was Friedrich Wilhelm für die Wiſſenſchaft that hatte Humboldt ſeinen reichen Antheil. Das alte Familienhaus in der Oranienburger Straße ward ein Wall- fahrtsort für alle jungen Talente. Dort fanden Hermann Helmholtz und manche andere vielverheißende Anfänger Rath und Hilfe. Dort ſaß der kleine Greis unter Thürmen von Büchern, Karten, Briefen und Sen- dungen jeder Art, die ihm aus allen Theilen der Erde zuflogen — ihm gegenüber auf der grünen Wand die große Weltkarte — und ſchrieb die langen Nächte hindurch, über ſein Knie gebückt, bald an ſeinem Kosmos, bald Entwürfe für wiſſenſchaftliche Anſtalten oder auch ungezählte Empfeh- lungsbriefe; es war, als ob alle Fäden aus dem unermeßlichen Reiche der Forſchung in der Hand des alten Zauberers zuſammenliefen. Der König überſchüttete ihn mit Ehren und Geſchenken, ohne doch hindern zu können, daß der aller Wirthſchaft Unkundige ſchließlich der Schuldknecht ſeines eigenen Hausdieners wurde. In den Briefen an ſeinen theuerſten Alexan-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/42>, abgerufen am 21.11.2024.