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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Anschluß Braunschweigs.
schen Staatsstreich vertheidigt hatte und jetzt wieder unter dem Namen
eines Dr. Faber "Politische Dachpredigten" zur Vertheidigung Ernst Au-
gust's schrieb. Der verhehlte gar nicht, daß der Welfenhof die Gesinnungen,
aus denen einst der Mitteldeutsche Handelsverein entsprungen war, noch
keineswegs aufgegeben hatte und den Zollverein selbst bekämpfte; er mahnte
die Deutschen, Rücksicht zu nehmen auf "das mächtige Ausland", zumal
auf England, und sagte plump: "Ich halte sämmtliche Vertheidiger einer
zweiten Einheit Deutschlands, neben oder außer der im Bunde, entweder
für gutmüthige Häute oder schlaue Füchse." Diese groben Angriffe
nöthigten auch den Berliner Hof sich noch offener als bisher über den
nationalen Zweck seiner Handelspolitik auszusprechen. Die amtliche Preußi-
sche Allgemeine Zeitung erklärte rund heraus: Preußens Aufgabe im Zoll-
vereine wird dann erfüllt sein, wenn der Zollverein das ganze Bundes-
gebiet umfaßt und also die im Art. 19 der Bundesakte verheißene Han-
delseinheit vollendet ist. Dabei ward freilich vorsichtig verschwiegen, daß
Oesterreich dem Zollvereine nicht beitreten sollte. An dieser unerläßlichen
Bedingung hielt auch König Friedrich Wilhelm für jetzt noch fest. Als
sein Gesandter in Wien mit Metternich über den schwebenden Streit ge-
sprochen hatte, erging aus Berlin sofort die gemessene Weisung: ein freund-
liches Wort Oesterreichs in Hannover kann nichts schaden; doch irgend
eine Vermittlung in Zollvereinssachen werden wir dem kaiserlichen Hofe
nie erlauben.*)

Nach fast drei Jahren, zu Anfang 1844 wurden die widerwärtigen
Verhandlungen abgebrochen. Braunschweig trat nunmehr mit seinen
sämmtlichen Kreisen dem Zollvereine bei, und der Steuerverein blieb be-
stehen, obgleich sein Gebiet zerrissen war. Abermals nach häßlichem Streite
erneuerte man dann auch das Zollcartell. Die drei nächstbetheiligten
Cabinette suchten ihr Verhalten durch veröffentlichte Staatsschriften zu
rechtfertigen, und erbaulich war es nicht, wie die beiden ergrimmten
Welfenhöfe ihre schwarze Wäsche vor aller Welt wuschen. Ruhiger redete
die preußische Staatsschrift; ihre streng sachliche Darstellung überzeugte
ganz Deutschland, nur nicht die unbelehrbaren Hannoveraner und Hansen.
Ernst August aber hatte mittlerweile sein altes Vaterland wieder besucht
und sogar, nach Ableistung des üblichen Eides, seinen Sitz im Oberhause
wieder eingenommen, obgleich Aberdeen selbst ihm vorstellte, dazu hätte
sich weder König Leopold noch Prinz Albert je herabgelassen. Sein Ver-
hältniß zu dem englischen Hofe blieb sehr kühl, weil die Königin argwöhnte,
ihr feindseliger Oheim würde die Lords gegen sie aufwiegeln. Indeß
verabredete er mit den Ministern insgeheim einen Schachzug gegen
Preußen.**) Am 22. Juli 1844 schloß er mit England einen Schifffahrts-

*) Bülow, Weisung an Canitz, 17. März 1844.
**) Bunsen's Berichte, 10. Juni, 10. Aug. 1843.

Anſchluß Braunſchweigs.
ſchen Staatsſtreich vertheidigt hatte und jetzt wieder unter dem Namen
eines Dr. Faber „Politiſche Dachpredigten“ zur Vertheidigung Ernſt Au-
guſt’s ſchrieb. Der verhehlte gar nicht, daß der Welfenhof die Geſinnungen,
aus denen einſt der Mitteldeutſche Handelsverein entſprungen war, noch
keineswegs aufgegeben hatte und den Zollverein ſelbſt bekämpfte; er mahnte
die Deutſchen, Rückſicht zu nehmen auf „das mächtige Ausland“, zumal
auf England, und ſagte plump: „Ich halte ſämmtliche Vertheidiger einer
zweiten Einheit Deutſchlands, neben oder außer der im Bunde, entweder
für gutmüthige Häute oder ſchlaue Füchſe.“ Dieſe groben Angriffe
nöthigten auch den Berliner Hof ſich noch offener als bisher über den
nationalen Zweck ſeiner Handelspolitik auszuſprechen. Die amtliche Preußi-
ſche Allgemeine Zeitung erklärte rund heraus: Preußens Aufgabe im Zoll-
vereine wird dann erfüllt ſein, wenn der Zollverein das ganze Bundes-
gebiet umfaßt und alſo die im Art. 19 der Bundesakte verheißene Han-
delseinheit vollendet iſt. Dabei ward freilich vorſichtig verſchwiegen, daß
Oeſterreich dem Zollvereine nicht beitreten ſollte. An dieſer unerläßlichen
Bedingung hielt auch König Friedrich Wilhelm für jetzt noch feſt. Als
ſein Geſandter in Wien mit Metternich über den ſchwebenden Streit ge-
ſprochen hatte, erging aus Berlin ſofort die gemeſſene Weiſung: ein freund-
liches Wort Oeſterreichs in Hannover kann nichts ſchaden; doch irgend
eine Vermittlung in Zollvereinsſachen werden wir dem kaiſerlichen Hofe
nie erlauben.*)

Nach faſt drei Jahren, zu Anfang 1844 wurden die widerwärtigen
Verhandlungen abgebrochen. Braunſchweig trat nunmehr mit ſeinen
ſämmtlichen Kreiſen dem Zollvereine bei, und der Steuerverein blieb be-
ſtehen, obgleich ſein Gebiet zerriſſen war. Abermals nach häßlichem Streite
erneuerte man dann auch das Zollcartell. Die drei nächſtbetheiligten
Cabinette ſuchten ihr Verhalten durch veröffentlichte Staatsſchriften zu
rechtfertigen, und erbaulich war es nicht, wie die beiden ergrimmten
Welfenhöfe ihre ſchwarze Wäſche vor aller Welt wuſchen. Ruhiger redete
die preußiſche Staatsſchrift; ihre ſtreng ſachliche Darſtellung überzeugte
ganz Deutſchland, nur nicht die unbelehrbaren Hannoveraner und Hanſen.
Ernſt Auguſt aber hatte mittlerweile ſein altes Vaterland wieder beſucht
und ſogar, nach Ableiſtung des üblichen Eides, ſeinen Sitz im Oberhauſe
wieder eingenommen, obgleich Aberdeen ſelbſt ihm vorſtellte, dazu hätte
ſich weder König Leopold noch Prinz Albert je herabgelaſſen. Sein Ver-
hältniß zu dem engliſchen Hofe blieb ſehr kühl, weil die Königin argwöhnte,
ihr feindſeliger Oheim würde die Lords gegen ſie aufwiegeln. Indeß
verabredete er mit den Miniſtern insgeheim einen Schachzug gegen
Preußen.**) Am 22. Juli 1844 ſchloß er mit England einen Schifffahrts-

*) Bülow, Weiſung an Canitz, 17. März 1844.
**) Bunſen’s Berichte, 10. Juni, 10. Aug. 1843.
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[447/0461] Anſchluß Braunſchweigs. ſchen Staatsſtreich vertheidigt hatte und jetzt wieder unter dem Namen eines Dr. Faber „Politiſche Dachpredigten“ zur Vertheidigung Ernſt Au- guſt’s ſchrieb. Der verhehlte gar nicht, daß der Welfenhof die Geſinnungen, aus denen einſt der Mitteldeutſche Handelsverein entſprungen war, noch keineswegs aufgegeben hatte und den Zollverein ſelbſt bekämpfte; er mahnte die Deutſchen, Rückſicht zu nehmen auf „das mächtige Ausland“, zumal auf England, und ſagte plump: „Ich halte ſämmtliche Vertheidiger einer zweiten Einheit Deutſchlands, neben oder außer der im Bunde, entweder für gutmüthige Häute oder ſchlaue Füchſe.“ Dieſe groben Angriffe nöthigten auch den Berliner Hof ſich noch offener als bisher über den nationalen Zweck ſeiner Handelspolitik auszuſprechen. Die amtliche Preußi- ſche Allgemeine Zeitung erklärte rund heraus: Preußens Aufgabe im Zoll- vereine wird dann erfüllt ſein, wenn der Zollverein das ganze Bundes- gebiet umfaßt und alſo die im Art. 19 der Bundesakte verheißene Han- delseinheit vollendet iſt. Dabei ward freilich vorſichtig verſchwiegen, daß Oeſterreich dem Zollvereine nicht beitreten ſollte. An dieſer unerläßlichen Bedingung hielt auch König Friedrich Wilhelm für jetzt noch feſt. Als ſein Geſandter in Wien mit Metternich über den ſchwebenden Streit ge- ſprochen hatte, erging aus Berlin ſofort die gemeſſene Weiſung: ein freund- liches Wort Oeſterreichs in Hannover kann nichts ſchaden; doch irgend eine Vermittlung in Zollvereinsſachen werden wir dem kaiſerlichen Hofe nie erlauben. *) Nach faſt drei Jahren, zu Anfang 1844 wurden die widerwärtigen Verhandlungen abgebrochen. Braunſchweig trat nunmehr mit ſeinen ſämmtlichen Kreiſen dem Zollvereine bei, und der Steuerverein blieb be- ſtehen, obgleich ſein Gebiet zerriſſen war. Abermals nach häßlichem Streite erneuerte man dann auch das Zollcartell. Die drei nächſtbetheiligten Cabinette ſuchten ihr Verhalten durch veröffentlichte Staatsſchriften zu rechtfertigen, und erbaulich war es nicht, wie die beiden ergrimmten Welfenhöfe ihre ſchwarze Wäſche vor aller Welt wuſchen. Ruhiger redete die preußiſche Staatsſchrift; ihre ſtreng ſachliche Darſtellung überzeugte ganz Deutſchland, nur nicht die unbelehrbaren Hannoveraner und Hanſen. Ernſt Auguſt aber hatte mittlerweile ſein altes Vaterland wieder beſucht und ſogar, nach Ableiſtung des üblichen Eides, ſeinen Sitz im Oberhauſe wieder eingenommen, obgleich Aberdeen ſelbſt ihm vorſtellte, dazu hätte ſich weder König Leopold noch Prinz Albert je herabgelaſſen. Sein Ver- hältniß zu dem engliſchen Hofe blieb ſehr kühl, weil die Königin argwöhnte, ihr feindſeliger Oheim würde die Lords gegen ſie aufwiegeln. Indeß verabredete er mit den Miniſtern insgeheim einen Schachzug gegen Preußen. **) Am 22. Juli 1844 ſchloß er mit England einen Schifffahrts- *) Bülow, Weiſung an Canitz, 17. März 1844. **) Bunſen’s Berichte, 10. Juni, 10. Aug. 1843.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/461>, abgerufen am 22.11.2024.