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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Eisenbahnen in den kleinen Staaten.
Privatcapital sich muthlos zeigte. Sie verfuhr fortan mit großem Eifer,
erklärte sich entschieden gegen "die Corruption, die neue Feudalität" der
Privateisenbahnen und wagte sogar, wenige Meilen von der Linie Augs-
burg-Lindau eine Parallelbahn Ulm-Friedrichshafen zu bauen, damit Baiern
den Verkehr des Bodensees nicht an sich risse. Auch in Baiern ver-
mochten die kleinen Gesellschaften, welche die Theilstrecken der Linie Augs-
burg-Hof übernommen hatten, sich nicht zu halten, und der Staat mußte
selbst eintreten; nur die wohlhabenden, unternehmenden Pfälzer bauten
sich ihre Bahnen durch Privatgesellschaften.

Die sächsische Regierung, die auf diesem Gebiete die reichsten Er-
fahrungen besaß, wollte sich zunächst die Vortheile des Durchfuhrverkehrs
sichern und entwarf einen wohldurchdachten Plan für Bahnverbindungen
mit Schlesien, Böhmen, Baiern; doch selbst in diesem gewerbreichen Lande
konnte das Privatcapital nur die einträgliche Leipzig-Dresdner Linie, nicht die
anderen minder ergiebigen Bahnen festhalten, und nach einigen Jahren sah
sich der Staat auch hier gezwungen die Neubauten zu übernehmen. Hannover
dagegen besaß, Dank seiner erleuchteten Handelspolitik, noch gar keine großen
industriellen Capitalien und mußte daher von Haus aus den Staatsbau
wagen. Er wurde eifrig, aber planlos betrieben; die beiden wichtigen Bahnen
von Hamburg und Bremen mündeten nicht in der Hauptstadt, sondern
einige Stunden entfernt in Lehrte und Wunstorf. Man wußte noch nicht
und konnte nur durch die Erfahrung lernen, was ein Knotenpunkt im
Bahnverkehr bedeutet. Die Kurhessen trugen sich schon seit vielen Jahren mit
großen Bahnplänen, sie hofften, daß Cassel den Mittelpunkt des deutschen
Eisenbahnnetzes bilden sollte. Der Prinzregent aber verzögerte Alles durch
Trägheit und bösen Willen. Endlich durfte eine Aktiengesellschaft zur Ver-
bindung von Thüringen und Westphalen zusammentreten; sie gewann die
Gnade des Landesherrn, weil sie den stolzen Namen der Friedrich-Wilhelms-
Nordbahn annahm. Die Main-Weserbahn zwischen Cassel und Frankfurt
sollte auf Staatskosten, gemeinsam mit Hessen-Darmstadt, gebaut werden;
der Landtag bewilligte dazu eine Anleihe von 6 Mill. Thlr. Das Haus
Rothschild, das diese Anleihe aufzulegen hatte, überschritt die vereinbarte
Summe um 750,000 Thlr. und beanspruchte diesen Ueberschuß von
121/2 Procent für sich selbst als sauer verdiente Provision. Es war ein
öffentliches Geheimniß, wie der preußische Gesandte Graf Galen sagte,
daß der getreue Hofbankier sich mit dem Kurprinzen in den Gewinn theilte,
"daß auf Kosten des Landes der Regent in jüdischer Gemeinschaft gute
Geldgeschäfte machte."*) Darum richtete der ehrliche Abgeordnete Wipper-
mann nichts aus, als er in der Kammer den Gaunerstreich Rothschild's
zur Sprache brachte.

Von Kiel nach Altona beförderte die königlich dänische Post auf der

*) Galen's Bericht, 4. Juli 1846.
32*

Eiſenbahnen in den kleinen Staaten.
Privatcapital ſich muthlos zeigte. Sie verfuhr fortan mit großem Eifer,
erklärte ſich entſchieden gegen „die Corruption, die neue Feudalität“ der
Privateiſenbahnen und wagte ſogar, wenige Meilen von der Linie Augs-
burg-Lindau eine Parallelbahn Ulm-Friedrichshafen zu bauen, damit Baiern
den Verkehr des Bodenſees nicht an ſich riſſe. Auch in Baiern ver-
mochten die kleinen Geſellſchaften, welche die Theilſtrecken der Linie Augs-
burg-Hof übernommen hatten, ſich nicht zu halten, und der Staat mußte
ſelbſt eintreten; nur die wohlhabenden, unternehmenden Pfälzer bauten
ſich ihre Bahnen durch Privatgeſellſchaften.

Die ſächſiſche Regierung, die auf dieſem Gebiete die reichſten Er-
fahrungen beſaß, wollte ſich zunächſt die Vortheile des Durchfuhrverkehrs
ſichern und entwarf einen wohldurchdachten Plan für Bahnverbindungen
mit Schleſien, Böhmen, Baiern; doch ſelbſt in dieſem gewerbreichen Lande
konnte das Privatcapital nur die einträgliche Leipzig-Dresdner Linie, nicht die
anderen minder ergiebigen Bahnen feſthalten, und nach einigen Jahren ſah
ſich der Staat auch hier gezwungen die Neubauten zu übernehmen. Hannover
dagegen beſaß, Dank ſeiner erleuchteten Handelspolitik, noch gar keine großen
induſtriellen Capitalien und mußte daher von Haus aus den Staatsbau
wagen. Er wurde eifrig, aber planlos betrieben; die beiden wichtigen Bahnen
von Hamburg und Bremen mündeten nicht in der Hauptſtadt, ſondern
einige Stunden entfernt in Lehrte und Wunſtorf. Man wußte noch nicht
und konnte nur durch die Erfahrung lernen, was ein Knotenpunkt im
Bahnverkehr bedeutet. Die Kurheſſen trugen ſich ſchon ſeit vielen Jahren mit
großen Bahnplänen, ſie hofften, daß Caſſel den Mittelpunkt des deutſchen
Eiſenbahnnetzes bilden ſollte. Der Prinzregent aber verzögerte Alles durch
Trägheit und böſen Willen. Endlich durfte eine Aktiengeſellſchaft zur Ver-
bindung von Thüringen und Weſtphalen zuſammentreten; ſie gewann die
Gnade des Landesherrn, weil ſie den ſtolzen Namen der Friedrich-Wilhelms-
Nordbahn annahm. Die Main-Weſerbahn zwiſchen Caſſel und Frankfurt
ſollte auf Staatskoſten, gemeinſam mit Heſſen-Darmſtadt, gebaut werden;
der Landtag bewilligte dazu eine Anleihe von 6 Mill. Thlr. Das Haus
Rothſchild, das dieſe Anleihe aufzulegen hatte, überſchritt die vereinbarte
Summe um 750,000 Thlr. und beanſpruchte dieſen Ueberſchuß von
12½ Procent für ſich ſelbſt als ſauer verdiente Proviſion. Es war ein
öffentliches Geheimniß, wie der preußiſche Geſandte Graf Galen ſagte,
daß der getreue Hofbankier ſich mit dem Kurprinzen in den Gewinn theilte,
„daß auf Koſten des Landes der Regent in jüdiſcher Gemeinſchaft gute
Geldgeſchäfte machte.“*) Darum richtete der ehrliche Abgeordnete Wipper-
mann nichts aus, als er in der Kammer den Gaunerſtreich Rothſchild’s
zur Sprache brachte.

Von Kiel nach Altona beförderte die königlich däniſche Poſt auf der

*) Galen’s Bericht, 4. Juli 1846.
32*
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[499/0513] Eiſenbahnen in den kleinen Staaten. Privatcapital ſich muthlos zeigte. Sie verfuhr fortan mit großem Eifer, erklärte ſich entſchieden gegen „die Corruption, die neue Feudalität“ der Privateiſenbahnen und wagte ſogar, wenige Meilen von der Linie Augs- burg-Lindau eine Parallelbahn Ulm-Friedrichshafen zu bauen, damit Baiern den Verkehr des Bodenſees nicht an ſich riſſe. Auch in Baiern ver- mochten die kleinen Geſellſchaften, welche die Theilſtrecken der Linie Augs- burg-Hof übernommen hatten, ſich nicht zu halten, und der Staat mußte ſelbſt eintreten; nur die wohlhabenden, unternehmenden Pfälzer bauten ſich ihre Bahnen durch Privatgeſellſchaften. Die ſächſiſche Regierung, die auf dieſem Gebiete die reichſten Er- fahrungen beſaß, wollte ſich zunächſt die Vortheile des Durchfuhrverkehrs ſichern und entwarf einen wohldurchdachten Plan für Bahnverbindungen mit Schleſien, Böhmen, Baiern; doch ſelbſt in dieſem gewerbreichen Lande konnte das Privatcapital nur die einträgliche Leipzig-Dresdner Linie, nicht die anderen minder ergiebigen Bahnen feſthalten, und nach einigen Jahren ſah ſich der Staat auch hier gezwungen die Neubauten zu übernehmen. Hannover dagegen beſaß, Dank ſeiner erleuchteten Handelspolitik, noch gar keine großen induſtriellen Capitalien und mußte daher von Haus aus den Staatsbau wagen. Er wurde eifrig, aber planlos betrieben; die beiden wichtigen Bahnen von Hamburg und Bremen mündeten nicht in der Hauptſtadt, ſondern einige Stunden entfernt in Lehrte und Wunſtorf. Man wußte noch nicht und konnte nur durch die Erfahrung lernen, was ein Knotenpunkt im Bahnverkehr bedeutet. Die Kurheſſen trugen ſich ſchon ſeit vielen Jahren mit großen Bahnplänen, ſie hofften, daß Caſſel den Mittelpunkt des deutſchen Eiſenbahnnetzes bilden ſollte. Der Prinzregent aber verzögerte Alles durch Trägheit und böſen Willen. Endlich durfte eine Aktiengeſellſchaft zur Ver- bindung von Thüringen und Weſtphalen zuſammentreten; ſie gewann die Gnade des Landesherrn, weil ſie den ſtolzen Namen der Friedrich-Wilhelms- Nordbahn annahm. Die Main-Weſerbahn zwiſchen Caſſel und Frankfurt ſollte auf Staatskoſten, gemeinſam mit Heſſen-Darmſtadt, gebaut werden; der Landtag bewilligte dazu eine Anleihe von 6 Mill. Thlr. Das Haus Rothſchild, das dieſe Anleihe aufzulegen hatte, überſchritt die vereinbarte Summe um 750,000 Thlr. und beanſpruchte dieſen Ueberſchuß von 12½ Procent für ſich ſelbſt als ſauer verdiente Proviſion. Es war ein öffentliches Geheimniß, wie der preußiſche Geſandte Graf Galen ſagte, daß der getreue Hofbankier ſich mit dem Kurprinzen in den Gewinn theilte, „daß auf Koſten des Landes der Regent in jüdiſcher Gemeinſchaft gute Geldgeſchäfte machte.“ *) Darum richtete der ehrliche Abgeordnete Wipper- mann nichts aus, als er in der Kammer den Gaunerſtreich Rothſchild’s zur Sprache brachte. Von Kiel nach Altona beförderte die königlich däniſche Poſt auf der *) Galen’s Bericht, 4. Juli 1846. 32*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/513>, abgerufen am 22.11.2024.