Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Verschiebung der alten Allianzen.
kann Oesterreich auf Rußland zählen" --*) ein Versprechen, das er zwölf
Jahre später ritterlich einlöste. Doch ein rückhaltloses Vertrauen zu Metter-
nich hatte er nie gehegt, weil er ihm, sicherlich mit Unrecht, eine geheime
Mitschuld an dem Dekabristenaufstande und der polnischen Revolution
beimaß. Neuerdings fühlte er sich auch persönlich verletzt. Er wünschte
seine schöne Tochter Olga mit dem geistreichen jungen Erzherzog Stephan
zu verheirathen und sendete deßhalb sogar seinen Vertrauten Orlow an
die Donau (1844); der österreichische Hof aber verlangte, stolzer als die
deutschen protestantischen Fürsten, daß die Großfürstin zur katholischen
Kirche übertreten müsse. Daran scheiterte Alles, und Nikolaus sah sich,
da das Geheimniß schlecht gewahrt wurde, ärgerlichen hämischen Nach-
reden ausgesetzt.**) Gegen Frankreich bewahrte er noch den alten Groll,
und seinem preußischen Schwager traute er wenig, schon wegen der reichs-
ständischen Pläne; überhaupt hatte Preußen das hohe Ansehen, das ihm
der alte König in den letzten Jahren verschafft, längst eingebüßt, keine der
großen Mächte bemühte sich ernstlich um die Freundschaft des unberechen-
baren neuen Monarchen.

Für die orientalischen Entwürfe, die den Czaren noch immer unaus-
gesetzt beschäftigten, erschien ihm England als der einzige werthvolle Bundes-
genosse; war diese Macht gewonnen, dann folgten die beiden Ostmächte
von selbst und Frankreich blieb wieder zur Seite liegen. Schon zweimal,
in den Tagen der Navariner Schlacht und soeben wieder durch Brunnow's
Sendung, hatte er die Briten zur Mitwirkung bei seiner orientalischen
Politik verführt; er traute sich's zu, nunmehr auch eine Verständigung
über die Zukunft des osmanischen Reichs zu bewirken. Bald nach dem
Meerengenvertrage überraschte er die Hofburg durch die Anfrage, ob man
nicht wohl thue, dem englischen Hofe einen Beweis rückhaltlosen Ver-
trauens zu geben: der geheime Münchengrätzer Vertrag, der die beiden
Kaisermächte verpflichtete, beim Untergange der Türkei nach gemeinsamem
Plane zu handeln, sollte dem Londoner Cabinet mitgetheilt werden.***)
Metternich aber widersprach; er fürchtete offenbar, eine solche unerwartete
Aufrichtigkeit würde den Argwohn der Briten nur verschärfen, und über-
dies hatte er ja selbst jenem Vertrage nur zugestimmt um Rußland im
Oriente zu überwachen. Darauf entschloß sich Nikolaus, durch den Zauber
seiner persönlichen Erscheinung zu wirken. Im Mai 1844 verbreitete sich
zu Petersburg das Gerücht, der Czar beabsichtige eine große Reise. Ehe
man noch etwas über das Ziel der Fahrt vernahm, erschien er schon

*) Brunnow, Apercu general de nos relations avec les puissances de l'Europe.
Ich kenne aus diesem Apercu nur einige Citate, welche V. Hehn in seiner Denkschrift
"Einblick in die Auswärtige Politik des Kaiser Nikolaus" (Petersburg, März 1857)
mittheilt.
**) Liebermann's Berichte über Orlow's Sendung, 6. Febr. 1844 ff.
***) S. o. IV. 330.

Verſchiebung der alten Allianzen.
kann Oeſterreich auf Rußland zählen“ —*) ein Verſprechen, das er zwölf
Jahre ſpäter ritterlich einlöſte. Doch ein rückhaltloſes Vertrauen zu Metter-
nich hatte er nie gehegt, weil er ihm, ſicherlich mit Unrecht, eine geheime
Mitſchuld an dem Dekabriſtenaufſtande und der polniſchen Revolution
beimaß. Neuerdings fühlte er ſich auch perſönlich verletzt. Er wünſchte
ſeine ſchöne Tochter Olga mit dem geiſtreichen jungen Erzherzog Stephan
zu verheirathen und ſendete deßhalb ſogar ſeinen Vertrauten Orlow an
die Donau (1844); der öſterreichiſche Hof aber verlangte, ſtolzer als die
deutſchen proteſtantiſchen Fürſten, daß die Großfürſtin zur katholiſchen
Kirche übertreten müſſe. Daran ſcheiterte Alles, und Nikolaus ſah ſich,
da das Geheimniß ſchlecht gewahrt wurde, ärgerlichen hämiſchen Nach-
reden ausgeſetzt.**) Gegen Frankreich bewahrte er noch den alten Groll,
und ſeinem preußiſchen Schwager traute er wenig, ſchon wegen der reichs-
ſtändiſchen Pläne; überhaupt hatte Preußen das hohe Anſehen, das ihm
der alte König in den letzten Jahren verſchafft, längſt eingebüßt, keine der
großen Mächte bemühte ſich ernſtlich um die Freundſchaft des unberechen-
baren neuen Monarchen.

Für die orientaliſchen Entwürfe, die den Czaren noch immer unaus-
geſetzt beſchäftigten, erſchien ihm England als der einzige werthvolle Bundes-
genoſſe; war dieſe Macht gewonnen, dann folgten die beiden Oſtmächte
von ſelbſt und Frankreich blieb wieder zur Seite liegen. Schon zweimal,
in den Tagen der Navariner Schlacht und ſoeben wieder durch Brunnow’s
Sendung, hatte er die Briten zur Mitwirkung bei ſeiner orientaliſchen
Politik verführt; er traute ſich’s zu, nunmehr auch eine Verſtändigung
über die Zukunft des osmaniſchen Reichs zu bewirken. Bald nach dem
Meerengenvertrage überraſchte er die Hofburg durch die Anfrage, ob man
nicht wohl thue, dem engliſchen Hofe einen Beweis rückhaltloſen Ver-
trauens zu geben: der geheime Münchengrätzer Vertrag, der die beiden
Kaiſermächte verpflichtete, beim Untergange der Türkei nach gemeinſamem
Plane zu handeln, ſollte dem Londoner Cabinet mitgetheilt werden.***)
Metternich aber widerſprach; er fürchtete offenbar, eine ſolche unerwartete
Aufrichtigkeit würde den Argwohn der Briten nur verſchärfen, und über-
dies hatte er ja ſelbſt jenem Vertrage nur zugeſtimmt um Rußland im
Oriente zu überwachen. Darauf entſchloß ſich Nikolaus, durch den Zauber
ſeiner perſönlichen Erſcheinung zu wirken. Im Mai 1844 verbreitete ſich
zu Petersburg das Gerücht, der Czar beabſichtige eine große Reiſe. Ehe
man noch etwas über das Ziel der Fahrt vernahm, erſchien er ſchon

*) Brunnow, Aperçu général de nos relations avec les puissances de l’Europe.
Ich kenne aus dieſem Aperçu nur einige Citate, welche V. Hehn in ſeiner Denkſchrift
„Einblick in die Auswärtige Politik des Kaiſer Nikolaus“ (Petersburg, März 1857)
mittheilt.
**) Liebermann’s Berichte über Orlow’s Sendung, 6. Febr. 1844 ff.
***) S. o. IV. 330.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0541" n="527"/><fw place="top" type="header">Ver&#x017F;chiebung der alten Allianzen.</fw><lb/>
kann Oe&#x017F;terreich auf Rußland zählen&#x201C; &#x2014;<note place="foot" n="*)">Brunnow, <hi rendition="#aq">Aperçu général de nos relations avec les puissances de l&#x2019;Europe.</hi><lb/>
Ich kenne aus die&#x017F;em <hi rendition="#aq">Aperçu</hi> nur einige Citate, welche V. Hehn in &#x017F;einer Denk&#x017F;chrift<lb/>
&#x201E;Einblick in die Auswärtige Politik des Kai&#x017F;er Nikolaus&#x201C; (Petersburg, März 1857)<lb/>
mittheilt.</note> ein Ver&#x017F;prechen, das er zwölf<lb/>
Jahre &#x017F;päter ritterlich einlö&#x017F;te. Doch ein rückhaltlo&#x017F;es Vertrauen zu Metter-<lb/>
nich hatte er nie gehegt, weil er ihm, &#x017F;icherlich mit Unrecht, eine geheime<lb/>
Mit&#x017F;chuld an dem Dekabri&#x017F;tenauf&#x017F;tande und der polni&#x017F;chen Revolution<lb/>
beimaß. Neuerdings fühlte er &#x017F;ich auch per&#x017F;önlich verletzt. Er wün&#x017F;chte<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;chöne Tochter Olga mit dem gei&#x017F;treichen jungen Erzherzog Stephan<lb/>
zu verheirathen und &#x017F;endete deßhalb &#x017F;ogar &#x017F;einen Vertrauten Orlow an<lb/>
die Donau (1844); der ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Hof aber verlangte, &#x017F;tolzer als die<lb/>
deut&#x017F;chen prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Für&#x017F;ten, daß die Großfür&#x017F;tin zur katholi&#x017F;chen<lb/>
Kirche übertreten mü&#x017F;&#x017F;e. Daran &#x017F;cheiterte Alles, und Nikolaus &#x017F;ah &#x017F;ich,<lb/>
da das Geheimniß &#x017F;chlecht gewahrt wurde, ärgerlichen hämi&#x017F;chen Nach-<lb/>
reden ausge&#x017F;etzt.<note place="foot" n="**)">Liebermann&#x2019;s Berichte über Orlow&#x2019;s Sendung, 6. Febr. 1844 ff.</note> Gegen Frankreich bewahrte er noch den alten Groll,<lb/>
und &#x017F;einem preußi&#x017F;chen Schwager traute er wenig, &#x017F;chon wegen der reichs-<lb/>
&#x017F;tändi&#x017F;chen Pläne; überhaupt hatte Preußen das hohe An&#x017F;ehen, das ihm<lb/>
der alte König in den letzten Jahren ver&#x017F;chafft, läng&#x017F;t eingebüßt, keine der<lb/>
großen Mächte bemühte &#x017F;ich ern&#x017F;tlich um die Freund&#x017F;chaft des unberechen-<lb/>
baren neuen Monarchen.</p><lb/>
          <p>Für die orientali&#x017F;chen Entwürfe, die den Czaren noch immer unaus-<lb/>
ge&#x017F;etzt be&#x017F;chäftigten, er&#x017F;chien ihm England als der einzige werthvolle Bundes-<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;e; war die&#x017F;e Macht gewonnen, dann folgten die beiden O&#x017F;tmächte<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t und Frankreich blieb wieder zur Seite liegen. Schon zweimal,<lb/>
in den Tagen der Navariner Schlacht und &#x017F;oeben wieder durch Brunnow&#x2019;s<lb/>
Sendung, hatte er die Briten zur Mitwirkung bei &#x017F;einer orientali&#x017F;chen<lb/>
Politik verführt; er traute &#x017F;ich&#x2019;s zu, nunmehr auch eine Ver&#x017F;tändigung<lb/>
über die Zukunft des osmani&#x017F;chen Reichs zu bewirken. Bald nach dem<lb/>
Meerengenvertrage überra&#x017F;chte er die Hofburg durch die Anfrage, ob man<lb/>
nicht wohl thue, dem engli&#x017F;chen Hofe einen Beweis rückhaltlo&#x017F;en Ver-<lb/>
trauens zu geben: der geheime Münchengrätzer Vertrag, der die beiden<lb/>
Kai&#x017F;ermächte verpflichtete, beim Untergange der Türkei nach gemein&#x017F;amem<lb/>
Plane zu handeln, &#x017F;ollte dem Londoner Cabinet mitgetheilt werden.<note place="foot" n="***)">S. o. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 330.</note><lb/>
Metternich aber wider&#x017F;prach; er fürchtete offenbar, eine &#x017F;olche unerwartete<lb/>
Aufrichtigkeit würde den Argwohn der Briten nur ver&#x017F;chärfen, und über-<lb/>
dies hatte er ja &#x017F;elb&#x017F;t jenem Vertrage nur zuge&#x017F;timmt um Rußland im<lb/>
Oriente zu überwachen. Darauf ent&#x017F;chloß &#x017F;ich Nikolaus, durch den Zauber<lb/>
&#x017F;einer per&#x017F;önlichen Er&#x017F;cheinung zu wirken. Im Mai 1844 verbreitete &#x017F;ich<lb/>
zu Petersburg das Gerücht, der Czar beab&#x017F;ichtige eine große Rei&#x017F;e. Ehe<lb/>
man noch etwas über das Ziel der Fahrt vernahm, er&#x017F;chien er &#x017F;chon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[527/0541] Verſchiebung der alten Allianzen. kann Oeſterreich auf Rußland zählen“ — *) ein Verſprechen, das er zwölf Jahre ſpäter ritterlich einlöſte. Doch ein rückhaltloſes Vertrauen zu Metter- nich hatte er nie gehegt, weil er ihm, ſicherlich mit Unrecht, eine geheime Mitſchuld an dem Dekabriſtenaufſtande und der polniſchen Revolution beimaß. Neuerdings fühlte er ſich auch perſönlich verletzt. Er wünſchte ſeine ſchöne Tochter Olga mit dem geiſtreichen jungen Erzherzog Stephan zu verheirathen und ſendete deßhalb ſogar ſeinen Vertrauten Orlow an die Donau (1844); der öſterreichiſche Hof aber verlangte, ſtolzer als die deutſchen proteſtantiſchen Fürſten, daß die Großfürſtin zur katholiſchen Kirche übertreten müſſe. Daran ſcheiterte Alles, und Nikolaus ſah ſich, da das Geheimniß ſchlecht gewahrt wurde, ärgerlichen hämiſchen Nach- reden ausgeſetzt. **) Gegen Frankreich bewahrte er noch den alten Groll, und ſeinem preußiſchen Schwager traute er wenig, ſchon wegen der reichs- ſtändiſchen Pläne; überhaupt hatte Preußen das hohe Anſehen, das ihm der alte König in den letzten Jahren verſchafft, längſt eingebüßt, keine der großen Mächte bemühte ſich ernſtlich um die Freundſchaft des unberechen- baren neuen Monarchen. Für die orientaliſchen Entwürfe, die den Czaren noch immer unaus- geſetzt beſchäftigten, erſchien ihm England als der einzige werthvolle Bundes- genoſſe; war dieſe Macht gewonnen, dann folgten die beiden Oſtmächte von ſelbſt und Frankreich blieb wieder zur Seite liegen. Schon zweimal, in den Tagen der Navariner Schlacht und ſoeben wieder durch Brunnow’s Sendung, hatte er die Briten zur Mitwirkung bei ſeiner orientaliſchen Politik verführt; er traute ſich’s zu, nunmehr auch eine Verſtändigung über die Zukunft des osmaniſchen Reichs zu bewirken. Bald nach dem Meerengenvertrage überraſchte er die Hofburg durch die Anfrage, ob man nicht wohl thue, dem engliſchen Hofe einen Beweis rückhaltloſen Ver- trauens zu geben: der geheime Münchengrätzer Vertrag, der die beiden Kaiſermächte verpflichtete, beim Untergange der Türkei nach gemeinſamem Plane zu handeln, ſollte dem Londoner Cabinet mitgetheilt werden. ***) Metternich aber widerſprach; er fürchtete offenbar, eine ſolche unerwartete Aufrichtigkeit würde den Argwohn der Briten nur verſchärfen, und über- dies hatte er ja ſelbſt jenem Vertrage nur zugeſtimmt um Rußland im Oriente zu überwachen. Darauf entſchloß ſich Nikolaus, durch den Zauber ſeiner perſönlichen Erſcheinung zu wirken. Im Mai 1844 verbreitete ſich zu Petersburg das Gerücht, der Czar beabſichtige eine große Reiſe. Ehe man noch etwas über das Ziel der Fahrt vernahm, erſchien er ſchon *) Brunnow, Aperçu général de nos relations avec les puissances de l’Europe. Ich kenne aus dieſem Aperçu nur einige Citate, welche V. Hehn in ſeiner Denkſchrift „Einblick in die Auswärtige Politik des Kaiſer Nikolaus“ (Petersburg, März 1857) mittheilt. **) Liebermann’s Berichte über Orlow’s Sendung, 6. Febr. 1844 ff. ***) S. o. IV. 330.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/541
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/541>, abgerufen am 22.11.2024.