holte Anfrage des Petersburger Hofes, ob man sich über die Abgrenzung der beiden asiatischen Machtbereiche friedlich verständigen könne, wurde in London stets zurückgewiesen, weil die Briten dort im Osten ebenso uner- sättlich um sich griffen wie ihre Nebenbuhler.
In der Türkei ließ sich dem russischen Hofe sein vertragsmäßiges Schutzrecht über die christlichen Vasallenstaaten nicht mehr bestreiten, und Nikolaus gebrauchte es mit hartem Uebermuthe. Als die Serben (1842) ihren Fürsten Michael Obrenowitsch abgesetzt und den Alexander Kara- georgewitsch auf den Thron erhoben hatten, da schrieb der Czar dem Sultan eigenhändig: "Es ist mir sehr schmerzlich zu sehen, wie die Hohe Pforte von dem Wege, welchen die bestimmtesten Satzungen unserer Verträge ihr vorzeichnen, sich entfernt, wie sie der billigen Rücksichten vergißt, die eine Macht mit Recht erwarten konnte, welche soeben erst dem Osmanischen Reiche inmitten der es umringenden Gefahren so glänzende Dienste ge- leistet hat -- und dies um den Triumph der Revolution anzuerkennen, um die Wahl eines Fürsten zu genehmigen, welchen aufrührerische Unter- thanen die Frechheit gehabt haben mit den Waffen in der Hand auszu- rufen, endlich um dem gefährlichsten Beispiel die verhängnißvollste Ermu- thigung zu geben!" Der ganze Wortschwall bezweckte lediglich die Pforte nachdrücklich an ihre Abhängigkeit zu erinnern; der serbische Thronwechsel selbst war dem russischen Hofe gleichgiltig. Der geängstigte Padischah mußte nunmehr den entthronten Fürsten feierlich absetzen; dann wurde der neue Fürst, der inzwischen abgedankt hatte, abermals gewählt. Oester- reich aber wagte so wenig wie die Westmächte dies höhnische Possenspiel zu verhindern.*)
Am Bosporus selbst war die russische Diplomatie weniger glücklich. Als Gönner der Aegypter und der Griechen mußte Frankreich der Pforte immer verdächtig bleiben. Oesterreich und Preußen vermochten in Pera nicht viel; Metternich war ganz zufrieden, wenn sein geliebter Großtürke nur un- behelligt blieb, er sagte beruhigt: "der Fall der Türkei ist nicht so nahe wie man glaubt."**) Die aufdringlichen russischen Beschützer aber wurden aus der Gunst des Sultans bald ganz verdrängt durch den neuen britischen Ge- sandten Stratford Canning, den tüchtigsten Mann, welcher England je im Oriente vertreten hat. Ein geborener Herrscher, menschenkundig, fest, willens- kräftig und doch nicht so ungestüm wie sein Vorgänger Ponsonby, hieß Strat- ford bei den Osmanen der große Elchi, der erste aller Gesandten, und bemächtigte sich gänzlich des nichtigen jungen Padischah, von dem er auf- richtig sagte: ein Mündel ist mir lieber als ein Nebenbuhler; die Pforte vermag ihren eigenen Vortheil nicht zu beurtheilen. Gleich vielen seiner Landsleute hatte er einst philhellenische Träume gehegt und dann enttäuscht
*) Czar Nikolaus an Sultan Abdul Medschid, 19. Oct. (a. St.) 1842. Canitz's Bericht, Wien, 7. Aug. 1843.
**) Canitz's Bericht, 13. Dec. 1843.
Die Türkei und die Mächte. Stratford Canning.
holte Anfrage des Petersburger Hofes, ob man ſich über die Abgrenzung der beiden aſiatiſchen Machtbereiche friedlich verſtändigen könne, wurde in London ſtets zurückgewieſen, weil die Briten dort im Oſten ebenſo uner- ſättlich um ſich griffen wie ihre Nebenbuhler.
In der Türkei ließ ſich dem ruſſiſchen Hofe ſein vertragsmäßiges Schutzrecht über die chriſtlichen Vaſallenſtaaten nicht mehr beſtreiten, und Nikolaus gebrauchte es mit hartem Uebermuthe. Als die Serben (1842) ihren Fürſten Michael Obrenowitſch abgeſetzt und den Alexander Kara- georgewitſch auf den Thron erhoben hatten, da ſchrieb der Czar dem Sultan eigenhändig: „Es iſt mir ſehr ſchmerzlich zu ſehen, wie die Hohe Pforte von dem Wege, welchen die beſtimmteſten Satzungen unſerer Verträge ihr vorzeichnen, ſich entfernt, wie ſie der billigen Rückſichten vergißt, die eine Macht mit Recht erwarten konnte, welche ſoeben erſt dem Osmaniſchen Reiche inmitten der es umringenden Gefahren ſo glänzende Dienſte ge- leiſtet hat — und dies um den Triumph der Revolution anzuerkennen, um die Wahl eines Fürſten zu genehmigen, welchen aufrühreriſche Unter- thanen die Frechheit gehabt haben mit den Waffen in der Hand auszu- rufen, endlich um dem gefährlichſten Beiſpiel die verhängnißvollſte Ermu- thigung zu geben!“ Der ganze Wortſchwall bezweckte lediglich die Pforte nachdrücklich an ihre Abhängigkeit zu erinnern; der ſerbiſche Thronwechſel ſelbſt war dem ruſſiſchen Hofe gleichgiltig. Der geängſtigte Padiſchah mußte nunmehr den entthronten Fürſten feierlich abſetzen; dann wurde der neue Fürſt, der inzwiſchen abgedankt hatte, abermals gewählt. Oeſter- reich aber wagte ſo wenig wie die Weſtmächte dies höhniſche Poſſenſpiel zu verhindern.*)
Am Bosporus ſelbſt war die ruſſiſche Diplomatie weniger glücklich. Als Gönner der Aegypter und der Griechen mußte Frankreich der Pforte immer verdächtig bleiben. Oeſterreich und Preußen vermochten in Pera nicht viel; Metternich war ganz zufrieden, wenn ſein geliebter Großtürke nur un- behelligt blieb, er ſagte beruhigt: „der Fall der Türkei iſt nicht ſo nahe wie man glaubt.“**) Die aufdringlichen ruſſiſchen Beſchützer aber wurden aus der Gunſt des Sultans bald ganz verdrängt durch den neuen britiſchen Ge- ſandten Stratford Canning, den tüchtigſten Mann, welcher England je im Oriente vertreten hat. Ein geborener Herrſcher, menſchenkundig, feſt, willens- kräftig und doch nicht ſo ungeſtüm wie ſein Vorgänger Ponſonby, hieß Strat- ford bei den Osmanen der große Elchi, der erſte aller Geſandten, und bemächtigte ſich gänzlich des nichtigen jungen Padiſchah, von dem er auf- richtig ſagte: ein Mündel iſt mir lieber als ein Nebenbuhler; die Pforte vermag ihren eigenen Vortheil nicht zu beurtheilen. Gleich vielen ſeiner Landsleute hatte er einſt philhelleniſche Träume gehegt und dann enttäuſcht
*) Czar Nikolaus an Sultan Abdul Medſchid, 19. Oct. (a. St.) 1842. Canitz’s Bericht, Wien, 7. Aug. 1843.
**) Canitz’s Bericht, 13. Dec. 1843.
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Die Türkei und die Mächte. Stratford Canning.
holte Anfrage des Petersburger Hofes, ob man ſich über die Abgrenzung
der beiden aſiatiſchen Machtbereiche friedlich verſtändigen könne, wurde in
London ſtets zurückgewieſen, weil die Briten dort im Oſten ebenſo uner-
ſättlich um ſich griffen wie ihre Nebenbuhler.
In der Türkei ließ ſich dem ruſſiſchen Hofe ſein vertragsmäßiges
Schutzrecht über die chriſtlichen Vaſallenſtaaten nicht mehr beſtreiten, und
Nikolaus gebrauchte es mit hartem Uebermuthe. Als die Serben (1842)
ihren Fürſten Michael Obrenowitſch abgeſetzt und den Alexander Kara-
georgewitſch auf den Thron erhoben hatten, da ſchrieb der Czar dem Sultan
eigenhändig: „Es iſt mir ſehr ſchmerzlich zu ſehen, wie die Hohe Pforte
von dem Wege, welchen die beſtimmteſten Satzungen unſerer Verträge ihr
vorzeichnen, ſich entfernt, wie ſie der billigen Rückſichten vergißt, die eine
Macht mit Recht erwarten konnte, welche ſoeben erſt dem Osmaniſchen
Reiche inmitten der es umringenden Gefahren ſo glänzende Dienſte ge-
leiſtet hat — und dies um den Triumph der Revolution anzuerkennen,
um die Wahl eines Fürſten zu genehmigen, welchen aufrühreriſche Unter-
thanen die Frechheit gehabt haben mit den Waffen in der Hand auszu-
rufen, endlich um dem gefährlichſten Beiſpiel die verhängnißvollſte Ermu-
thigung zu geben!“ Der ganze Wortſchwall bezweckte lediglich die Pforte
nachdrücklich an ihre Abhängigkeit zu erinnern; der ſerbiſche Thronwechſel
ſelbſt war dem ruſſiſchen Hofe gleichgiltig. Der geängſtigte Padiſchah
mußte nunmehr den entthronten Fürſten feierlich abſetzen; dann wurde
der neue Fürſt, der inzwiſchen abgedankt hatte, abermals gewählt. Oeſter-
reich aber wagte ſo wenig wie die Weſtmächte dies höhniſche Poſſenſpiel
zu verhindern. *)
Am Bosporus ſelbſt war die ruſſiſche Diplomatie weniger glücklich.
Als Gönner der Aegypter und der Griechen mußte Frankreich der Pforte
immer verdächtig bleiben. Oeſterreich und Preußen vermochten in Pera nicht
viel; Metternich war ganz zufrieden, wenn ſein geliebter Großtürke nur un-
behelligt blieb, er ſagte beruhigt: „der Fall der Türkei iſt nicht ſo nahe wie
man glaubt.“ **) Die aufdringlichen ruſſiſchen Beſchützer aber wurden aus
der Gunſt des Sultans bald ganz verdrängt durch den neuen britiſchen Ge-
ſandten Stratford Canning, den tüchtigſten Mann, welcher England je im
Oriente vertreten hat. Ein geborener Herrſcher, menſchenkundig, feſt, willens-
kräftig und doch nicht ſo ungeſtüm wie ſein Vorgänger Ponſonby, hieß Strat-
ford bei den Osmanen der große Elchi, der erſte aller Geſandten, und
bemächtigte ſich gänzlich des nichtigen jungen Padiſchah, von dem er auf-
richtig ſagte: ein Mündel iſt mir lieber als ein Nebenbuhler; die Pforte
vermag ihren eigenen Vortheil nicht zu beurtheilen. Gleich vielen ſeiner
Landsleute hatte er einſt philhelleniſche Träume gehegt und dann enttäuſcht
*) Czar Nikolaus an Sultan Abdul Medſchid, 19. Oct. (a. St.) 1842. Canitz’s
Bericht, Wien, 7. Aug. 1843.
**) Canitz’s Bericht, 13. Dec. 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/551>, abgerufen am 22.11.2024.
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