nen des Vaters, anzukündigen. Inzwischen hatte er seine Absicht geändert, und da er jetzt mit leeren Händen kam, so verschuldete er selbst was er doch verhindern wollte: daß die Krone von ihrem treuen Volke gedrängt wurde.
Schön eröffnete den Landtag als königlicher Commissar. Er gedachte zunächst des verstorbenen Königs und der jedem ostpreußischen Herzen theueren Reformperiode, welche "den letzten Rest der Sklaverei" vernichtet habe. In seiner klug berechneten Rede, die er überdies noch durch eine Denkschrift näher begründete, legte er sodann den Ständen die Antwort in den Mund, welche sie auf die Fragen des neuen Herrschers zu geben hätten: er rieth ihnen, dem Könige, nach ihrem alten Ehrenrechte, das herkömm- liche Huldigungsgeschenk von 100,000 Gulden anzubieten, dagegen auf die Vertretung eines besonderen Herrenstandes zu verzichten, auch auf die Bestätigung ihrer alten, aus der trüben Zeit der Klöster und der Zünfte stammenden Privilegien keinen Werth zu legen. Diese Rathschläge des mächtigen Oberpräsidenten eigneten sich die Landstände fast wörtlich an. Da er durch Brünneck, die Brüder Auerswald und andere Getreue die Versammlung vollkommen beherrschte, so läßt sich mit Sicherheit annehmen, daß er auch an Allem was nun folgte, insgeheim theilnahm; den Schein der amtlichen Zurückhaltung wußte er freilich so vorsichtig zu wahren, daß er nachher jede Mitwirkung in Abrede stellen konnte. Der Kaufmann Heinrich aus Königsberg, ein wohlmeinender, gemäßigt liberaler Mann, der nur dies eine mal eine Rolle in der Geschichte Preußens spielen und nachher bald wieder vergessen werden sollte, beantragte nunmehr, den König um die Erfüllung der alten Verfassungsversprechen zu bitten. Im Sinne dieses Antrags wurde darauf eine ständische Denkschrift ausgearbeitet. Die Feder führte der ritterschaftliche Abgeordnete Alfred v. Auerswald, ein Sohn jenes wackeren alten Oberpräsidenten, der einst, noch vor der be- freienden Gesetzgebung des Staates, zuerst die Hörigkeit auf seinen Gütern aufgehoben hatte. Wie sein Bruder, der jetzt als Oberbürgermeister der Lan- deshauptstadt ebenfalls dem Landtage angehörte, war Alfred Auerswald vor Jahren auf dem Schloßhofe der alten Königsberger Ordensburg der tägliche Spielgefährte der königlichen Prinzen gewesen und ihnen seitdem in treuer Freundschaft verbunden geblieben.
In diesen Brüdern Auerswald, in dem zweiten Landtagsmarschall Saucken-Tarputschen, in Brünneck, Bardeleben und der großen Mehr- zahl der anderen adlichen Landstände Altpreußens offenbarte sich zur all- gemeinen Ueberraschung eine neue politische Kraft, die man seither ganz übersehen hatte, weil sie sich im Stillleben der Provinziallandtage verlor. Die alten Adelsgeschlechter des Südens hatten bisher in ihrer großen Mehrzahl sich entweder dem neuen politischen Leben der Nation grollend fern gehalten oder sich der ultramontanen Partei angeschlossen, weil sie die Gewaltthaten der rheinbündischen Tage nicht verschmerzen konnten;
Der Königsberger Landtag.
nen des Vaters, anzukündigen. Inzwiſchen hatte er ſeine Abſicht geändert, und da er jetzt mit leeren Händen kam, ſo verſchuldete er ſelbſt was er doch verhindern wollte: daß die Krone von ihrem treuen Volke gedrängt wurde.
Schön eröffnete den Landtag als königlicher Commiſſar. Er gedachte zunächſt des verſtorbenen Königs und der jedem oſtpreußiſchen Herzen theueren Reformperiode, welche „den letzten Reſt der Sklaverei“ vernichtet habe. In ſeiner klug berechneten Rede, die er überdies noch durch eine Denkſchrift näher begründete, legte er ſodann den Ständen die Antwort in den Mund, welche ſie auf die Fragen des neuen Herrſchers zu geben hätten: er rieth ihnen, dem Könige, nach ihrem alten Ehrenrechte, das herkömm- liche Huldigungsgeſchenk von 100,000 Gulden anzubieten, dagegen auf die Vertretung eines beſonderen Herrenſtandes zu verzichten, auch auf die Beſtätigung ihrer alten, aus der trüben Zeit der Klöſter und der Zünfte ſtammenden Privilegien keinen Werth zu legen. Dieſe Rathſchläge des mächtigen Oberpräſidenten eigneten ſich die Landſtände faſt wörtlich an. Da er durch Brünneck, die Brüder Auerswald und andere Getreue die Verſammlung vollkommen beherrſchte, ſo läßt ſich mit Sicherheit annehmen, daß er auch an Allem was nun folgte, insgeheim theilnahm; den Schein der amtlichen Zurückhaltung wußte er freilich ſo vorſichtig zu wahren, daß er nachher jede Mitwirkung in Abrede ſtellen konnte. Der Kaufmann Heinrich aus Königsberg, ein wohlmeinender, gemäßigt liberaler Mann, der nur dies eine mal eine Rolle in der Geſchichte Preußens ſpielen und nachher bald wieder vergeſſen werden ſollte, beantragte nunmehr, den König um die Erfüllung der alten Verfaſſungsverſprechen zu bitten. Im Sinne dieſes Antrags wurde darauf eine ſtändiſche Denkſchrift ausgearbeitet. Die Feder führte der ritterſchaftliche Abgeordnete Alfred v. Auerswald, ein Sohn jenes wackeren alten Oberpräſidenten, der einſt, noch vor der be- freienden Geſetzgebung des Staates, zuerſt die Hörigkeit auf ſeinen Gütern aufgehoben hatte. Wie ſein Bruder, der jetzt als Oberbürgermeiſter der Lan- deshauptſtadt ebenfalls dem Landtage angehörte, war Alfred Auerswald vor Jahren auf dem Schloßhofe der alten Königsberger Ordensburg der tägliche Spielgefährte der königlichen Prinzen geweſen und ihnen ſeitdem in treuer Freundſchaft verbunden geblieben.
In dieſen Brüdern Auerswald, in dem zweiten Landtagsmarſchall Saucken-Tarputſchen, in Brünneck, Bardeleben und der großen Mehr- zahl der anderen adlichen Landſtände Altpreußens offenbarte ſich zur all- gemeinen Ueberraſchung eine neue politiſche Kraft, die man ſeither ganz überſehen hatte, weil ſie ſich im Stillleben der Provinziallandtage verlor. Die alten Adelsgeſchlechter des Südens hatten bisher in ihrer großen Mehrzahl ſich entweder dem neuen politiſchen Leben der Nation grollend fern gehalten oder ſich der ultramontanen Partei angeſchloſſen, weil ſie die Gewaltthaten der rheinbündiſchen Tage nicht verſchmerzen konnten;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="43"/><fwplace="top"type="header">Der Königsberger Landtag.</fw><lb/>
nen des Vaters, anzukündigen. Inzwiſchen hatte er ſeine Abſicht geändert,<lb/>
und da er jetzt mit leeren Händen kam, ſo verſchuldete er ſelbſt was er<lb/>
doch verhindern wollte: daß die Krone von ihrem treuen Volke gedrängt<lb/>
wurde.</p><lb/><p>Schön eröffnete den Landtag als königlicher Commiſſar. Er gedachte<lb/>
zunächſt des verſtorbenen Königs und der jedem oſtpreußiſchen Herzen<lb/>
theueren Reformperiode, welche „den letzten Reſt der Sklaverei“ vernichtet<lb/>
habe. In ſeiner klug berechneten Rede, die er überdies noch durch eine<lb/>
Denkſchrift näher begründete, legte er ſodann den Ständen die Antwort in<lb/>
den Mund, welche ſie auf die Fragen des neuen Herrſchers zu geben hätten:<lb/>
er rieth ihnen, dem Könige, nach ihrem alten Ehrenrechte, das herkömm-<lb/>
liche Huldigungsgeſchenk von 100,000 Gulden anzubieten, dagegen auf die<lb/>
Vertretung eines beſonderen Herrenſtandes zu verzichten, auch auf die<lb/>
Beſtätigung ihrer alten, aus der trüben Zeit der Klöſter und der Zünfte<lb/>ſtammenden Privilegien keinen Werth zu legen. Dieſe Rathſchläge des<lb/>
mächtigen Oberpräſidenten eigneten ſich die Landſtände faſt wörtlich an.<lb/>
Da er durch Brünneck, die Brüder Auerswald und andere Getreue die<lb/>
Verſammlung vollkommen beherrſchte, ſo läßt ſich mit Sicherheit annehmen,<lb/>
daß er auch an Allem was nun folgte, insgeheim theilnahm; den Schein<lb/>
der amtlichen Zurückhaltung wußte er freilich ſo vorſichtig zu wahren, daß<lb/>
er nachher jede Mitwirkung in Abrede ſtellen konnte. Der Kaufmann<lb/>
Heinrich aus Königsberg, ein wohlmeinender, gemäßigt liberaler Mann,<lb/>
der nur dies eine mal eine Rolle in der Geſchichte Preußens ſpielen und<lb/>
nachher bald wieder vergeſſen werden ſollte, beantragte nunmehr, den König<lb/>
um die Erfüllung der alten Verfaſſungsverſprechen zu bitten. Im Sinne<lb/>
dieſes Antrags wurde darauf eine ſtändiſche Denkſchrift ausgearbeitet. Die<lb/>
Feder führte der ritterſchaftliche Abgeordnete Alfred v. Auerswald, ein<lb/>
Sohn jenes wackeren alten Oberpräſidenten, der einſt, noch vor der be-<lb/>
freienden Geſetzgebung des Staates, zuerſt die Hörigkeit auf ſeinen Gütern<lb/>
aufgehoben hatte. Wie ſein Bruder, der jetzt als Oberbürgermeiſter der Lan-<lb/>
deshauptſtadt ebenfalls dem Landtage angehörte, war Alfred Auerswald<lb/>
vor Jahren auf dem Schloßhofe der alten Königsberger Ordensburg der<lb/>
tägliche Spielgefährte der königlichen Prinzen geweſen und ihnen ſeitdem<lb/>
in treuer Freundſchaft verbunden geblieben.</p><lb/><p>In dieſen Brüdern Auerswald, in dem zweiten Landtagsmarſchall<lb/>
Saucken-Tarputſchen, in Brünneck, Bardeleben und der großen Mehr-<lb/>
zahl der anderen adlichen Landſtände Altpreußens offenbarte ſich zur all-<lb/>
gemeinen Ueberraſchung eine neue politiſche Kraft, die man ſeither ganz<lb/>
überſehen hatte, weil ſie ſich im Stillleben der Provinziallandtage verlor.<lb/>
Die alten Adelsgeſchlechter des Südens hatten bisher in ihrer großen<lb/>
Mehrzahl ſich entweder dem neuen politiſchen Leben der Nation grollend<lb/>
fern gehalten oder ſich der ultramontanen Partei angeſchloſſen, weil ſie<lb/>
die Gewaltthaten der rheinbündiſchen Tage nicht verſchmerzen konnten;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[43/0057]
Der Königsberger Landtag.
nen des Vaters, anzukündigen. Inzwiſchen hatte er ſeine Abſicht geändert,
und da er jetzt mit leeren Händen kam, ſo verſchuldete er ſelbſt was er
doch verhindern wollte: daß die Krone von ihrem treuen Volke gedrängt
wurde.
Schön eröffnete den Landtag als königlicher Commiſſar. Er gedachte
zunächſt des verſtorbenen Königs und der jedem oſtpreußiſchen Herzen
theueren Reformperiode, welche „den letzten Reſt der Sklaverei“ vernichtet
habe. In ſeiner klug berechneten Rede, die er überdies noch durch eine
Denkſchrift näher begründete, legte er ſodann den Ständen die Antwort in
den Mund, welche ſie auf die Fragen des neuen Herrſchers zu geben hätten:
er rieth ihnen, dem Könige, nach ihrem alten Ehrenrechte, das herkömm-
liche Huldigungsgeſchenk von 100,000 Gulden anzubieten, dagegen auf die
Vertretung eines beſonderen Herrenſtandes zu verzichten, auch auf die
Beſtätigung ihrer alten, aus der trüben Zeit der Klöſter und der Zünfte
ſtammenden Privilegien keinen Werth zu legen. Dieſe Rathſchläge des
mächtigen Oberpräſidenten eigneten ſich die Landſtände faſt wörtlich an.
Da er durch Brünneck, die Brüder Auerswald und andere Getreue die
Verſammlung vollkommen beherrſchte, ſo läßt ſich mit Sicherheit annehmen,
daß er auch an Allem was nun folgte, insgeheim theilnahm; den Schein
der amtlichen Zurückhaltung wußte er freilich ſo vorſichtig zu wahren, daß
er nachher jede Mitwirkung in Abrede ſtellen konnte. Der Kaufmann
Heinrich aus Königsberg, ein wohlmeinender, gemäßigt liberaler Mann,
der nur dies eine mal eine Rolle in der Geſchichte Preußens ſpielen und
nachher bald wieder vergeſſen werden ſollte, beantragte nunmehr, den König
um die Erfüllung der alten Verfaſſungsverſprechen zu bitten. Im Sinne
dieſes Antrags wurde darauf eine ſtändiſche Denkſchrift ausgearbeitet. Die
Feder führte der ritterſchaftliche Abgeordnete Alfred v. Auerswald, ein
Sohn jenes wackeren alten Oberpräſidenten, der einſt, noch vor der be-
freienden Geſetzgebung des Staates, zuerſt die Hörigkeit auf ſeinen Gütern
aufgehoben hatte. Wie ſein Bruder, der jetzt als Oberbürgermeiſter der Lan-
deshauptſtadt ebenfalls dem Landtage angehörte, war Alfred Auerswald
vor Jahren auf dem Schloßhofe der alten Königsberger Ordensburg der
tägliche Spielgefährte der königlichen Prinzen geweſen und ihnen ſeitdem
in treuer Freundſchaft verbunden geblieben.
In dieſen Brüdern Auerswald, in dem zweiten Landtagsmarſchall
Saucken-Tarputſchen, in Brünneck, Bardeleben und der großen Mehr-
zahl der anderen adlichen Landſtände Altpreußens offenbarte ſich zur all-
gemeinen Ueberraſchung eine neue politiſche Kraft, die man ſeither ganz
überſehen hatte, weil ſie ſich im Stillleben der Provinziallandtage verlor.
Die alten Adelsgeſchlechter des Südens hatten bisher in ihrer großen
Mehrzahl ſich entweder dem neuen politiſchen Leben der Nation grollend
fern gehalten oder ſich der ultramontanen Partei angeſchloſſen, weil ſie
die Gewaltthaten der rheinbündiſchen Tage nicht verſchmerzen konnten;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/57>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.