in die Armee hinüber; die Leutnants Anneke, Willich und einige andere junge Offiziere wurden entlassen, weil sie republikanische oder auch com- munistische Lehren mit dreister Unbefangenheit verbreiteten. Sie fanden in der Presse begeisterte Fürsprecher, mehrere von ihnen tauchten nachher als Barrikadenkämpfer wieder auf. Bei diesen Untersuchungen zeigte sich Boyen stets unerbittlich, zum Erstaunen seiner liberalen Bewunderer; er wußte, was die Treue im Heere bedeutet.
Seine zweite Amtsführung brachte der Armee -- außer der neuen Uniformirung, die wesentlich des Königs eigenes Werk war -- noch eine folgenreiche Reform: nach langjährigen Versuchen und Berathungen wurde (1847) beschlossen, das leichte Percussionsgewehr, den Dreyse'schen Zünd- nadel-Hinterlader nach und nach bei der gesammten Infanterie einzu- führen. Leicht war der Entschluß nicht. Zwar Boyen selbst, der Alles in großem Stile trieb und die Gegenwart gern in ihrem historischen Zu- sammenhange auffaßte, erklärte zuversichtlich, diese Reform entspreche den alten Traditionen des preußischen Fußvolks, das ja immer, schon in den Tagen des Großen Kurfürsten und des alten Dessauers, durch rasches Feuern seine Ueberlegenheit gezeigt hatte; auch der leicht begeisterte König weissagte der neuen Waffe glänzende Erfolge für das Vaterland. Aber viele tüchtige Offiziere hegten ernste Bedenken; sie hielten für unzweifel- haft, daß eine mit so rasch feuernden Gewehren bewaffnete Truppe sich schon beim Beginn des Gefechts verschießen und bald wehrlos dastehen müsse, denn kein Führer sei im Stande, die Mannschaft ganz in seiner Hand zu halten, ihre Blutleckerei oder auch ihre Furcht sicher zu bän- digen. Glücklicherweise wurde diese Meinung überall im Auslande ge- theilt. Niemand mochte dem preußischen Beispiele folgen, am wenigsten die kleinen deutschen Heere, denn die einen hemmte die Bequemlichkeit, die anderen das Mißtrauen gegen Alles was aus Preußen kam. So blieb dem preußischen Heere genügende Zeit, die neue Bewaffnung vollständig einzuführen und zugleich die Mannszucht des Fußvolks so streng und sicher durchzubilden, daß jeder Gemeine sein Gewehr mit Ueberlegung handhabte. Nach neunzehn Jahren sollte die Welt erfahren, welch ein Vermächtniß Boyen seinem Volke mit dieser Waffe hinterlassen hatte.
Aus seiner altväterischen Höflichkeit klang noch der gefühlvolle Ton des Zeitalters der Befreiungskriege heraus. Ueberkluge Leute meinten wohl, der Alte hätte sich überlebt, und den raschen Wagemuth seiner Jugend besaß er allerdings nicht mehr ganz, aber auf neue Ideen ging er noch immer freudig ein. Oberstleutnant Griesheim und andere Offiziere seines Ministeriums dienten ihm als einsichtige Gehilfen, und in den zahlreichen Commissionsberathungen dieser Jahre erwarb er sich auch, trotz mancher Meinungsverschiedenheit, die Freundschaft und Bewunderung des Prinzen von Preußen. Unter des Prinzen entscheidender Mitwirkung ward ein vereinfachtes Exercirreglement für die Infanterie vollendet;
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
in die Armee hinüber; die Leutnants Anneke, Willich und einige andere junge Offiziere wurden entlaſſen, weil ſie republikaniſche oder auch com- muniſtiſche Lehren mit dreiſter Unbefangenheit verbreiteten. Sie fanden in der Preſſe begeiſterte Fürſprecher, mehrere von ihnen tauchten nachher als Barrikadenkämpfer wieder auf. Bei dieſen Unterſuchungen zeigte ſich Boyen ſtets unerbittlich, zum Erſtaunen ſeiner liberalen Bewunderer; er wußte, was die Treue im Heere bedeutet.
Seine zweite Amtsführung brachte der Armee — außer der neuen Uniformirung, die weſentlich des Königs eigenes Werk war — noch eine folgenreiche Reform: nach langjährigen Verſuchen und Berathungen wurde (1847) beſchloſſen, das leichte Percuſſionsgewehr, den Dreyſe’ſchen Zünd- nadel-Hinterlader nach und nach bei der geſammten Infanterie einzu- führen. Leicht war der Entſchluß nicht. Zwar Boyen ſelbſt, der Alles in großem Stile trieb und die Gegenwart gern in ihrem hiſtoriſchen Zu- ſammenhange auffaßte, erklärte zuverſichtlich, dieſe Reform entſpreche den alten Traditionen des preußiſchen Fußvolks, das ja immer, ſchon in den Tagen des Großen Kurfürſten und des alten Deſſauers, durch raſches Feuern ſeine Ueberlegenheit gezeigt hatte; auch der leicht begeiſterte König weiſſagte der neuen Waffe glänzende Erfolge für das Vaterland. Aber viele tüchtige Offiziere hegten ernſte Bedenken; ſie hielten für unzweifel- haft, daß eine mit ſo raſch feuernden Gewehren bewaffnete Truppe ſich ſchon beim Beginn des Gefechts verſchießen und bald wehrlos daſtehen müſſe, denn kein Führer ſei im Stande, die Mannſchaft ganz in ſeiner Hand zu halten, ihre Blutleckerei oder auch ihre Furcht ſicher zu bän- digen. Glücklicherweiſe wurde dieſe Meinung überall im Auslande ge- theilt. Niemand mochte dem preußiſchen Beiſpiele folgen, am wenigſten die kleinen deutſchen Heere, denn die einen hemmte die Bequemlichkeit, die anderen das Mißtrauen gegen Alles was aus Preußen kam. So blieb dem preußiſchen Heere genügende Zeit, die neue Bewaffnung vollſtändig einzuführen und zugleich die Mannszucht des Fußvolks ſo ſtreng und ſicher durchzubilden, daß jeder Gemeine ſein Gewehr mit Ueberlegung handhabte. Nach neunzehn Jahren ſollte die Welt erfahren, welch ein Vermächtniß Boyen ſeinem Volke mit dieſer Waffe hinterlaſſen hatte.
Aus ſeiner altväteriſchen Höflichkeit klang noch der gefühlvolle Ton des Zeitalters der Befreiungskriege heraus. Ueberkluge Leute meinten wohl, der Alte hätte ſich überlebt, und den raſchen Wagemuth ſeiner Jugend beſaß er allerdings nicht mehr ganz, aber auf neue Ideen ging er noch immer freudig ein. Oberſtleutnant Griesheim und andere Offiziere ſeines Miniſteriums dienten ihm als einſichtige Gehilfen, und in den zahlreichen Commiſſionsberathungen dieſer Jahre erwarb er ſich auch, trotz mancher Meinungsverſchiedenheit, die Freundſchaft und Bewunderung des Prinzen von Preußen. Unter des Prinzen entſcheidender Mitwirkung ward ein vereinfachtes Exercirreglement für die Infanterie vollendet;
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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
in die Armee hinüber; die Leutnants Anneke, Willich und einige andere
junge Offiziere wurden entlaſſen, weil ſie republikaniſche oder auch com-
muniſtiſche Lehren mit dreiſter Unbefangenheit verbreiteten. Sie fanden
in der Preſſe begeiſterte Fürſprecher, mehrere von ihnen tauchten nachher
als Barrikadenkämpfer wieder auf. Bei dieſen Unterſuchungen zeigte ſich
Boyen ſtets unerbittlich, zum Erſtaunen ſeiner liberalen Bewunderer; er
wußte, was die Treue im Heere bedeutet.
Seine zweite Amtsführung brachte der Armee — außer der neuen
Uniformirung, die weſentlich des Königs eigenes Werk war — noch eine
folgenreiche Reform: nach langjährigen Verſuchen und Berathungen wurde
(1847) beſchloſſen, das leichte Percuſſionsgewehr, den Dreyſe’ſchen Zünd-
nadel-Hinterlader nach und nach bei der geſammten Infanterie einzu-
führen. Leicht war der Entſchluß nicht. Zwar Boyen ſelbſt, der Alles
in großem Stile trieb und die Gegenwart gern in ihrem hiſtoriſchen Zu-
ſammenhange auffaßte, erklärte zuverſichtlich, dieſe Reform entſpreche den
alten Traditionen des preußiſchen Fußvolks, das ja immer, ſchon in den
Tagen des Großen Kurfürſten und des alten Deſſauers, durch raſches
Feuern ſeine Ueberlegenheit gezeigt hatte; auch der leicht begeiſterte König
weiſſagte der neuen Waffe glänzende Erfolge für das Vaterland. Aber
viele tüchtige Offiziere hegten ernſte Bedenken; ſie hielten für unzweifel-
haft, daß eine mit ſo raſch feuernden Gewehren bewaffnete Truppe ſich
ſchon beim Beginn des Gefechts verſchießen und bald wehrlos daſtehen
müſſe, denn kein Führer ſei im Stande, die Mannſchaft ganz in ſeiner
Hand zu halten, ihre Blutleckerei oder auch ihre Furcht ſicher zu bän-
digen. Glücklicherweiſe wurde dieſe Meinung überall im Auslande ge-
theilt. Niemand mochte dem preußiſchen Beiſpiele folgen, am wenigſten
die kleinen deutſchen Heere, denn die einen hemmte die Bequemlichkeit, die
anderen das Mißtrauen gegen Alles was aus Preußen kam. So blieb
dem preußiſchen Heere genügende Zeit, die neue Bewaffnung vollſtändig
einzuführen und zugleich die Mannszucht des Fußvolks ſo ſtreng und ſicher
durchzubilden, daß jeder Gemeine ſein Gewehr mit Ueberlegung handhabte.
Nach neunzehn Jahren ſollte die Welt erfahren, welch ein Vermächtniß
Boyen ſeinem Volke mit dieſer Waffe hinterlaſſen hatte.
Aus ſeiner altväteriſchen Höflichkeit klang noch der gefühlvolle Ton
des Zeitalters der Befreiungskriege heraus. Ueberkluge Leute meinten
wohl, der Alte hätte ſich überlebt, und den raſchen Wagemuth ſeiner
Jugend beſaß er allerdings nicht mehr ganz, aber auf neue Ideen ging er
noch immer freudig ein. Oberſtleutnant Griesheim und andere Offiziere
ſeines Miniſteriums dienten ihm als einſichtige Gehilfen, und in den
zahlreichen Commiſſionsberathungen dieſer Jahre erwarb er ſich auch, trotz
mancher Meinungsverſchiedenheit, die Freundſchaft und Bewunderung des
Prinzen von Preußen. Unter des Prinzen entſcheidender Mitwirkung
ward ein vereinfachtes Exercirreglement für die Infanterie vollendet;
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/606>, abgerufen am 23.11.2024.
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