Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Streitigkeiten zwischen Heer und Bürgerthum. fernen Zeit", die Kasernen Freistätten des Lasters und der Menschen-quälerei, die Offiziere anmaßende Müßiggänger, das ganze Heerwesen ein leeres Spiel, das durch Bürgerwehren oder Milizen ersetzt werden müßte. Das alt hergebrachte Duzen, ja selbst der urgermanische Name der "Ge- meinen" wurde als ehrenrührig und kränkend gebrandmarkt. Die preu- ßische Armee galt schon darum für besonders volksfeindlich, weil hier der von den Liberalen verlangte Verfassungseid der Truppen noch unmög- lich war. Zu dieser alten Forderung der Gesinnungstüchtigen traten jetzt neue hinzu: außer Reih und Glied sollten die Offiziere keine Uni- form, die Soldaten keine Waffe tragen, und -- das war das belieb- teste Schlagwort des Tages -- außer Dienst mußte überhaupt voll- kommene Gleichheit bestehen, wie angeblich in Frankreich, nur im Dienste durfte der Offizier Gehorsam und Gruß verlangen. Wenn manche Ra- dicale hofften durch solches Gerede die Mannschaft wider ihre Führer auf- zuwiegeln, so sahen sie sich bald enttäuscht: das Band der Kameradschaft hielt fest, das ganze Heer fühlte sich beleidigt durch so mannichfache Zei- chen einer Geringschätzung, welche gegenüber den verwahrlosten Truppen vieler Kleinstaaten wohl begreiflich, in Preußen aber nichts als grober Undank war. In Königsberg überwarf sich General Dohna mit der liberalen Streitigkeiten zwiſchen Heer und Bürgerthum. fernen Zeit“, die Kaſernen Freiſtätten des Laſters und der Menſchen-quälerei, die Offiziere anmaßende Müßiggänger, das ganze Heerweſen ein leeres Spiel, das durch Bürgerwehren oder Milizen erſetzt werden müßte. Das alt hergebrachte Duzen, ja ſelbſt der urgermaniſche Name der „Ge- meinen“ wurde als ehrenrührig und kränkend gebrandmarkt. Die preu- ßiſche Armee galt ſchon darum für beſonders volksfeindlich, weil hier der von den Liberalen verlangte Verfaſſungseid der Truppen noch unmög- lich war. Zu dieſer alten Forderung der Geſinnungstüchtigen traten jetzt neue hinzu: außer Reih und Glied ſollten die Offiziere keine Uni- form, die Soldaten keine Waffe tragen, und — das war das belieb- teſte Schlagwort des Tages — außer Dienſt mußte überhaupt voll- kommene Gleichheit beſtehen, wie angeblich in Frankreich, nur im Dienſte durfte der Offizier Gehorſam und Gruß verlangen. Wenn manche Ra- dicale hofften durch ſolches Gerede die Mannſchaft wider ihre Führer auf- zuwiegeln, ſo ſahen ſie ſich bald enttäuſcht: das Band der Kameradſchaft hielt feſt, das ganze Heer fühlte ſich beleidigt durch ſo mannichfache Zei- chen einer Geringſchätzung, welche gegenüber den verwahrloſten Truppen vieler Kleinſtaaten wohl begreiflich, in Preußen aber nichts als grober Undank war. In Königsberg überwarf ſich General Dohna mit der liberalen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0611" n="597"/><fw place="top" type="header">Streitigkeiten zwiſchen Heer und Bürgerthum.</fw><lb/> fernen Zeit“, die Kaſernen Freiſtätten des Laſters und der Menſchen-<lb/> quälerei, die Offiziere anmaßende Müßiggänger, das ganze Heerweſen ein<lb/> leeres Spiel, das durch Bürgerwehren oder Milizen erſetzt werden müßte.<lb/> Das alt hergebrachte Duzen, ja ſelbſt der urgermaniſche Name der „Ge-<lb/> meinen“ wurde als ehrenrührig und kränkend gebrandmarkt. 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Sie ver-<lb/> langte, daß den Offizieren der Beſuch des Gartens verboten würde; der<lb/> commandirende General, der ſeine Verachtung gegen die Anhänger Jacoby’s<lb/> allerdings ſehr ſchroff ausſprach, wechſelte mit den Gemeindebehörden<lb/> gereizte Erklärungen. Seit die Conſervativen Königsbergs ſich zur Be-<lb/> kämpfung der herrſchenden „Jacobyner“ ein ſchlagfertiges Blatt, den „Frei-<lb/> müthigen“ geſchaffen hatten, wurde der allezeit harte Parteihaß der Oſt-<lb/> preußen maßlos heftig. Aehnliche Auftritte ſpielten in anderen Garniſonen;<lb/> in Mainz, in Coblenz, in Köln verſuchte man mißliebige Offiziere aus<lb/> den Caſinos auszuſchließen; es ſchien faſt, als könnten des Königs Rock<lb/> und das Bürgerkleid nicht mehr friedlich in einem Saale beiſammen<lb/> weilen. Auf der Kölniſchen Kirmes (1847) mußten die Truppen den<lb/> lärmenden Pöbel mit der blanken Waffe auseinander treiben, wobei ein<lb/> Faßbinder erſtochen wurde; ein prächtiger Leichenzug verherrlichte den<lb/> Gefallenen, die Bürger traten in Sectionen zuſammen um Zeugen zu<lb/> vernehmen und die Ruhe zu ſichern, was den ängſtlichen Behörden ſchon<lb/> als eine Erinnerung an die Pariſer Revolutionszeit ganz ungehörig er-<lb/> ſchien. Leider verſchärfte der König ſelbſt die Mißſtimmung, indem er<lb/> perſönlich in dieſe armſeligen Händel eingriff. Die Königsberger Stadt-<lb/> vertreter berief er bei einem neuen Beſuche Altpreußens (1845) ſelber zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [597/0611]
Streitigkeiten zwiſchen Heer und Bürgerthum.
fernen Zeit“, die Kaſernen Freiſtätten des Laſters und der Menſchen-
quälerei, die Offiziere anmaßende Müßiggänger, das ganze Heerweſen ein
leeres Spiel, das durch Bürgerwehren oder Milizen erſetzt werden müßte.
Das alt hergebrachte Duzen, ja ſelbſt der urgermaniſche Name der „Ge-
meinen“ wurde als ehrenrührig und kränkend gebrandmarkt. Die preu-
ßiſche Armee galt ſchon darum für beſonders volksfeindlich, weil hier der
von den Liberalen verlangte Verfaſſungseid der Truppen noch unmög-
lich war. Zu dieſer alten Forderung der Geſinnungstüchtigen traten
jetzt neue hinzu: außer Reih und Glied ſollten die Offiziere keine Uni-
form, die Soldaten keine Waffe tragen, und — das war das belieb-
teſte Schlagwort des Tages — außer Dienſt mußte überhaupt voll-
kommene Gleichheit beſtehen, wie angeblich in Frankreich, nur im Dienſte
durfte der Offizier Gehorſam und Gruß verlangen. Wenn manche Ra-
dicale hofften durch ſolches Gerede die Mannſchaft wider ihre Führer auf-
zuwiegeln, ſo ſahen ſie ſich bald enttäuſcht: das Band der Kameradſchaft
hielt feſt, das ganze Heer fühlte ſich beleidigt durch ſo mannichfache Zei-
chen einer Geringſchätzung, welche gegenüber den verwahrloſten Truppen
vieler Kleinſtaaten wohl begreiflich, in Preußen aber nichts als grober
Undank war.
In Königsberg überwarf ſich General Dohna mit der liberalen
Bürgerſchaft noch ſchneller als ſein Vorgänger Wrangel. Als einer
ſeiner Leutnants einen Referendar wegen Majeſtätsbeleidigung in einem
öffentlichen Bürgergarten forderte und dann im Zweikampf erſchoß, da
nahm die geſammte Bürgerſchaft für den Erſchoſſenen Partei. Sie ver-
langte, daß den Offizieren der Beſuch des Gartens verboten würde; der
commandirende General, der ſeine Verachtung gegen die Anhänger Jacoby’s
allerdings ſehr ſchroff ausſprach, wechſelte mit den Gemeindebehörden
gereizte Erklärungen. Seit die Conſervativen Königsbergs ſich zur Be-
kämpfung der herrſchenden „Jacobyner“ ein ſchlagfertiges Blatt, den „Frei-
müthigen“ geſchaffen hatten, wurde der allezeit harte Parteihaß der Oſt-
preußen maßlos heftig. Aehnliche Auftritte ſpielten in anderen Garniſonen;
in Mainz, in Coblenz, in Köln verſuchte man mißliebige Offiziere aus
den Caſinos auszuſchließen; es ſchien faſt, als könnten des Königs Rock
und das Bürgerkleid nicht mehr friedlich in einem Saale beiſammen
weilen. Auf der Kölniſchen Kirmes (1847) mußten die Truppen den
lärmenden Pöbel mit der blanken Waffe auseinander treiben, wobei ein
Faßbinder erſtochen wurde; ein prächtiger Leichenzug verherrlichte den
Gefallenen, die Bürger traten in Sectionen zuſammen um Zeugen zu
vernehmen und die Ruhe zu ſichern, was den ängſtlichen Behörden ſchon
als eine Erinnerung an die Pariſer Revolutionszeit ganz ungehörig er-
ſchien. Leider verſchärfte der König ſelbſt die Mißſtimmung, indem er
perſönlich in dieſe armſeligen Händel eingriff. Die Königsberger Stadt-
vertreter berief er bei einem neuen Beſuche Altpreußens (1845) ſelber zu
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