socialer Groll, der schlesische Erbschulze Krause meinte einmal, er und seine Standesgenossen hätten dreißig Jahre lang geschlafen, jetzt aber wären sie endlich zum Bewußtsein ihrer Rechte erwacht. Unvertreten war auch, nach dem Wahlgesetze, die breite Masse der städtischen Arbeiter, unvertreten endlich der mächtige Stand der eigentlichen Schriftgelehrten. Wenn die Krone mit einem Landtage, der ausschließlich die seßhaften, vermögenden, conservativen Elemente der Gesellschaft vertrat, sich nicht zu verständigen vermochte, dann war eine friedliche Entwicklung des politischen Lebens kaum noch zu erwarten. --
Mit königlichem Pomp, die Reichs-Insignien voran, betrat Friedrich Wilhelm am 11. April den prachtvoll wiederhergestellten Weißen Saal des Schlosses um den Landtag mit feierlicher Ansprache zu eröffnen. Alle königlichen Prinzen schaarten sich um ihn; selbst der getreue Gesinnungs- genosse des russischen Schwagers, Prinz Karl, der, grollend über die "chambre monstre", lange in Italien verweilt hatte, war im letzten Augenblicke auf Befehl des Monarchen noch herbeigeeilt.*) Zum letzten male -- wie wenig konnte er das ahnen -- redete der König hier mit der vollen Freiheit des unbeschränkten Herrschers zu seinem Volke, aus der Tiefe des Herzens heraus, aufrichtig wie kaum je ein gekröntes Haupt gesprochen hat; es war, als wollte er sich selber an dem Schwung und dem Glanze seines reichen und doch so ganz unpolitischen Geistes weiden. Er erklärte, wie es die Kundigen nicht anders erwarten konnten, das Ver- fassungswerk seines Vaters nunmehr für vollendet und warnte die Stände, dies Werk "nicht gleich durch ungenügsame Neuerungslust in Frage zu stellen"; er legte ihnen, wie einst schon den Vereinigten Ausschüssen, an's Herz, daß sie nicht "Meinungen zu repräsentiren", sondern nach altem deutschen Brauche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten. Er erinnerte sie an die "Erbweisheit ohne Gleichen", welche die englische Verfassung, ohne ein Stück Papier geschaffen habe, und obgleich er soeben selbst das beschriebene Blatt des Patents hatte hinausgehen lassen, gab er das feierliche Ge- löbniß: "daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll mich zu bewegen, das natürliche, grade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältniß zwischen Fürst und Volk in ein conventionelles, con- stitutionelles zu wandeln, und daß ich es nie und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte Treue zu ersetzen." Sichtlich erregt sprach er von den Angriffen der Presse, die doch so tief unter ihm stand: "von allen Unwürdigkeiten, denen ich und mein Regiment seit sieben Jahren ausgesetzt gewesen, appellir' ich an mein Volk." Und indem er seine getreuen Stände aufforderte zum ge-
*) Knyphausen's Bericht, 11. April 1847.
Die Thronrede.
ſocialer Groll, der ſchleſiſche Erbſchulze Krauſe meinte einmal, er und ſeine Standesgenoſſen hätten dreißig Jahre lang geſchlafen, jetzt aber wären ſie endlich zum Bewußtſein ihrer Rechte erwacht. Unvertreten war auch, nach dem Wahlgeſetze, die breite Maſſe der ſtädtiſchen Arbeiter, unvertreten endlich der mächtige Stand der eigentlichen Schriftgelehrten. Wenn die Krone mit einem Landtage, der ausſchließlich die ſeßhaften, vermögenden, conſervativen Elemente der Geſellſchaft vertrat, ſich nicht zu verſtändigen vermochte, dann war eine friedliche Entwicklung des politiſchen Lebens kaum noch zu erwarten. —
Mit königlichem Pomp, die Reichs-Inſignien voran, betrat Friedrich Wilhelm am 11. April den prachtvoll wiederhergeſtellten Weißen Saal des Schloſſes um den Landtag mit feierlicher Anſprache zu eröffnen. Alle königlichen Prinzen ſchaarten ſich um ihn; ſelbſt der getreue Geſinnungs- genoſſe des ruſſiſchen Schwagers, Prinz Karl, der, grollend über die „chambre monstre“, lange in Italien verweilt hatte, war im letzten Augenblicke auf Befehl des Monarchen noch herbeigeeilt.*) Zum letzten male — wie wenig konnte er das ahnen — redete der König hier mit der vollen Freiheit des unbeſchränkten Herrſchers zu ſeinem Volke, aus der Tiefe des Herzens heraus, aufrichtig wie kaum je ein gekröntes Haupt geſprochen hat; es war, als wollte er ſich ſelber an dem Schwung und dem Glanze ſeines reichen und doch ſo ganz unpolitiſchen Geiſtes weiden. Er erklärte, wie es die Kundigen nicht anders erwarten konnten, das Ver- faſſungswerk ſeines Vaters nunmehr für vollendet und warnte die Stände, dies Werk „nicht gleich durch ungenügſame Neuerungsluſt in Frage zu ſtellen“; er legte ihnen, wie einſt ſchon den Vereinigten Ausſchüſſen, an’s Herz, daß ſie nicht „Meinungen zu repräſentiren“, ſondern nach altem deutſchen Brauche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten. Er erinnerte ſie an die „Erbweisheit ohne Gleichen“, welche die engliſche Verfaſſung, ohne ein Stück Papier geſchaffen habe, und obgleich er ſoeben ſelbſt das beſchriebene Blatt des Patents hatte hinausgehen laſſen, gab er das feierliche Ge- löbniß: „daß es keiner Macht der Erde je gelingen ſoll mich zu bewegen, das natürliche, grade bei uns durch ſeine innere Wahrheit ſo mächtig machende Verhältniß zwiſchen Fürſt und Volk in ein conventionelles, con- ſtitutionelles zu wandeln, und daß ich es nie und nimmermehr zugeben werde, daß ſich zwiſchen unſeren Herrgott im Himmel und dieſes Land ein beſchriebenes Blatt gleichſam als eine zweite Vorſehung eindränge, um uns mit ſeinen Paragraphen zu regieren und durch ſie die alte Treue zu erſetzen.“ Sichtlich erregt ſprach er von den Angriffen der Preſſe, die doch ſo tief unter ihm ſtand: „von allen Unwürdigkeiten, denen ich und mein Regiment ſeit ſieben Jahren ausgeſetzt geweſen, appellir’ ich an mein Volk.“ Und indem er ſeine getreuen Stände aufforderte zum ge-
*) Knyphauſen’s Bericht, 11. April 1847.
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Die Thronrede.
ſocialer Groll, der ſchleſiſche Erbſchulze Krauſe meinte einmal, er und
ſeine Standesgenoſſen hätten dreißig Jahre lang geſchlafen, jetzt aber
wären ſie endlich zum Bewußtſein ihrer Rechte erwacht. Unvertreten
war auch, nach dem Wahlgeſetze, die breite Maſſe der ſtädtiſchen Arbeiter,
unvertreten endlich der mächtige Stand der eigentlichen Schriftgelehrten.
Wenn die Krone mit einem Landtage, der ausſchließlich die ſeßhaften,
vermögenden, conſervativen Elemente der Geſellſchaft vertrat, ſich nicht zu
verſtändigen vermochte, dann war eine friedliche Entwicklung des politiſchen
Lebens kaum noch zu erwarten. —
Mit königlichem Pomp, die Reichs-Inſignien voran, betrat Friedrich
Wilhelm am 11. April den prachtvoll wiederhergeſtellten Weißen Saal
des Schloſſes um den Landtag mit feierlicher Anſprache zu eröffnen. Alle
königlichen Prinzen ſchaarten ſich um ihn; ſelbſt der getreue Geſinnungs-
genoſſe des ruſſiſchen Schwagers, Prinz Karl, der, grollend über die
„chambre monstre“, lange in Italien verweilt hatte, war im letzten
Augenblicke auf Befehl des Monarchen noch herbeigeeilt. *) Zum letzten
male — wie wenig konnte er das ahnen — redete der König hier mit
der vollen Freiheit des unbeſchränkten Herrſchers zu ſeinem Volke, aus
der Tiefe des Herzens heraus, aufrichtig wie kaum je ein gekröntes Haupt
geſprochen hat; es war, als wollte er ſich ſelber an dem Schwung und
dem Glanze ſeines reichen und doch ſo ganz unpolitiſchen Geiſtes weiden.
Er erklärte, wie es die Kundigen nicht anders erwarten konnten, das Ver-
faſſungswerk ſeines Vaters nunmehr für vollendet und warnte die Stände,
dies Werk „nicht gleich durch ungenügſame Neuerungsluſt in Frage zu
ſtellen“; er legte ihnen, wie einſt ſchon den Vereinigten Ausſchüſſen, an’s
Herz, daß ſie nicht „Meinungen zu repräſentiren“, ſondern nach altem
deutſchen Brauche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten. Er erinnerte ſie
an die „Erbweisheit ohne Gleichen“, welche die engliſche Verfaſſung, ohne
ein Stück Papier geſchaffen habe, und obgleich er ſoeben ſelbſt das beſchriebene
Blatt des Patents hatte hinausgehen laſſen, gab er das feierliche Ge-
löbniß: „daß es keiner Macht der Erde je gelingen ſoll mich zu bewegen,
das natürliche, grade bei uns durch ſeine innere Wahrheit ſo mächtig
machende Verhältniß zwiſchen Fürſt und Volk in ein conventionelles, con-
ſtitutionelles zu wandeln, und daß ich es nie und nimmermehr zugeben
werde, daß ſich zwiſchen unſeren Herrgott im Himmel und dieſes Land
ein beſchriebenes Blatt gleichſam als eine zweite Vorſehung eindränge,
um uns mit ſeinen Paragraphen zu regieren und durch ſie die alte Treue
zu erſetzen.“ Sichtlich erregt ſprach er von den Angriffen der Preſſe,
die doch ſo tief unter ihm ſtand: „von allen Unwürdigkeiten, denen ich
und mein Regiment ſeit ſieben Jahren ausgeſetzt geweſen, appellir’ ich an
mein Volk.“ Und indem er ſeine getreuen Stände aufforderte zum ge-
*) Knyphauſen’s Bericht, 11. April 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/633>, abgerufen am 24.11.2024.
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