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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Schwerin. Beckerath. Hansemann. Vincke.
schlimmen Früchte trug. Beckerath's Adresse enthielt sehr ernste Rechts-
verwahrungen. Wenn der König sie zurückwies, dann ging der Landtag
noch ehe er recht begonnen hatte schon zu Ende; denn diese Versammlung
war unauflösbar -- das hatte der Prinz von Preußen seinem Bruder
vorher gesagt, und Alle fühlten bereits, wie wahr er gesprochen. Kam es
zum Bruche zwischen der Krone und den Ständen, so fiel das Patent
selbst, und der Staat trieb vielleicht gewaltsamen Erschütterungen ent-
gegen. Darum hielt sich Arnim verpflichtet, ritterlich für die vergeblich
gewarnte Krone einzutreten. Er brachte einen Gegenentwurf ein, der die
Rechtsbedenken nur leise und schüchtern andeutete. In der langen Ver-
handlung, die sich nunmehr entspann, traten schon die beiden Redner
auf, welche die Regierung fortan als ihre gefährlichsten Feinde fürchtete:
der bürgerliche Liberale Hansemann und Vincke der liberale Aristokrat.
Hansemann hatte seine große geschäftliche Begabung neuerdings wieder in
mannichfachen Eisenbahn-Unternehmungen bewährt; sein Ziel war die
constitutionelle Herrschaft der wohlhabenden Bourgeoisie, wie in Belgien.
In ihm verkörperte sich die echt moderne kaufmännische Staatsansicht, die
alle politischen Begriffe auf den Kopf stellte und eben deßhalb in einer
Zeit wachsenden Erwerbes und Genusses unaufhaltsam um sich griff: er
betrachtete Heer und Beamtenthum als lästige Kostgänger der Kaufleute und
Fabrikanten, während doch Handel und Wandel, Geld und Tausch ohne
den Staat, sein Recht und seine Waffen gar nicht auf der Welt wären
und man also mit gleich guten Gründen behaupten konnte, daß die reichen
Börsenmänner zum Theil durch die Arbeit der schlecht bezahlten Staats-
diener ernährt würden. Im Landtage redete er sehr scharf, oft mit ple-
bejischer Plumpheit, er stellte den Ständen kurzab die Wahl: "ob das
Gefühl des Rechts in Ihnen lebt oder ob Sie nur von Vertrauen, von
Gnade leben wollen."

Ungleich mächtiger sprach Vincke, ein wohlbeleibter, stiernackiger junger
Mann, dessen nachlässige Haltung und Kleidung doch den Edelmann nicht
verkennen ließen; sein schwerer, von dichtem rothem Backenbart umrahmter
Kopf zeigte eine imposante Häßlichkeit, wie sie so oft schon bedeutenden
Rednern als Schild und Waffe gedient hat. Er war der größte aller
Parlamentsredner der preußischen Geschichte, ganz unvergleichlich in der
Kunst rascher, schlagfertiger Debatte, und dennoch kein schöpferischer staats-
männischer Geist, ja nicht einmal ein gewandter Parteiführer. Im Kampfe,
im Angriff allein lag seine Kraft. Wie ward ihm wohl, wenn er einen
Redner der Gegenpartei lange mit den spöttischen Blicken seiner scharf
hinter der Brille hervorlugenden Augen, mit höhnischen Gebärden und
Zwischenrufen verfolgt hatte und dann aufsprang, beide Hände in den
Hosentaschen, um den Unglücklichen mit scharfer Dialektik, mit grausamen
Witzen und that es noth mit stürmischer Entrüstung zu zermalmen. Dem
Könige blieb er stets verhaßt; denn Friedrich Wilhelm nahm Alles per-

Schwerin. Beckerath. Hanſemann. Vincke.
ſchlimmen Früchte trug. Beckerath’s Adreſſe enthielt ſehr ernſte Rechts-
verwahrungen. Wenn der König ſie zurückwies, dann ging der Landtag
noch ehe er recht begonnen hatte ſchon zu Ende; denn dieſe Verſammlung
war unauflösbar — das hatte der Prinz von Preußen ſeinem Bruder
vorher geſagt, und Alle fühlten bereits, wie wahr er geſprochen. Kam es
zum Bruche zwiſchen der Krone und den Ständen, ſo fiel das Patent
ſelbſt, und der Staat trieb vielleicht gewaltſamen Erſchütterungen ent-
gegen. Darum hielt ſich Arnim verpflichtet, ritterlich für die vergeblich
gewarnte Krone einzutreten. Er brachte einen Gegenentwurf ein, der die
Rechtsbedenken nur leiſe und ſchüchtern andeutete. In der langen Ver-
handlung, die ſich nunmehr entſpann, traten ſchon die beiden Redner
auf, welche die Regierung fortan als ihre gefährlichſten Feinde fürchtete:
der bürgerliche Liberale Hanſemann und Vincke der liberale Ariſtokrat.
Hanſemann hatte ſeine große geſchäftliche Begabung neuerdings wieder in
mannichfachen Eiſenbahn-Unternehmungen bewährt; ſein Ziel war die
conſtitutionelle Herrſchaft der wohlhabenden Bourgeoiſie, wie in Belgien.
In ihm verkörperte ſich die echt moderne kaufmänniſche Staatsanſicht, die
alle politiſchen Begriffe auf den Kopf ſtellte und eben deßhalb in einer
Zeit wachſenden Erwerbes und Genuſſes unaufhaltſam um ſich griff: er
betrachtete Heer und Beamtenthum als läſtige Koſtgänger der Kaufleute und
Fabrikanten, während doch Handel und Wandel, Geld und Tauſch ohne
den Staat, ſein Recht und ſeine Waffen gar nicht auf der Welt wären
und man alſo mit gleich guten Gründen behaupten konnte, daß die reichen
Börſenmänner zum Theil durch die Arbeit der ſchlecht bezahlten Staats-
diener ernährt würden. Im Landtage redete er ſehr ſcharf, oft mit ple-
bejiſcher Plumpheit, er ſtellte den Ständen kurzab die Wahl: „ob das
Gefühl des Rechts in Ihnen lebt oder ob Sie nur von Vertrauen, von
Gnade leben wollen.“

Ungleich mächtiger ſprach Vincke, ein wohlbeleibter, ſtiernackiger junger
Mann, deſſen nachläſſige Haltung und Kleidung doch den Edelmann nicht
verkennen ließen; ſein ſchwerer, von dichtem rothem Backenbart umrahmter
Kopf zeigte eine impoſante Häßlichkeit, wie ſie ſo oft ſchon bedeutenden
Rednern als Schild und Waffe gedient hat. Er war der größte aller
Parlamentsredner der preußiſchen Geſchichte, ganz unvergleichlich in der
Kunſt raſcher, ſchlagfertiger Debatte, und dennoch kein ſchöpferiſcher ſtaats-
männiſcher Geiſt, ja nicht einmal ein gewandter Parteiführer. Im Kampfe,
im Angriff allein lag ſeine Kraft. Wie ward ihm wohl, wenn er einen
Redner der Gegenpartei lange mit den ſpöttiſchen Blicken ſeiner ſcharf
hinter der Brille hervorlugenden Augen, mit höhniſchen Gebärden und
Zwiſchenrufen verfolgt hatte und dann aufſprang, beide Hände in den
Hoſentaſchen, um den Unglücklichen mit ſcharfer Dialektik, mit grauſamen
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Könige blieb er ſtets verhaßt; denn Friedrich Wilhelm nahm Alles per-

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[621/0635] Schwerin. Beckerath. Hanſemann. Vincke. ſchlimmen Früchte trug. Beckerath’s Adreſſe enthielt ſehr ernſte Rechts- verwahrungen. Wenn der König ſie zurückwies, dann ging der Landtag noch ehe er recht begonnen hatte ſchon zu Ende; denn dieſe Verſammlung war unauflösbar — das hatte der Prinz von Preußen ſeinem Bruder vorher geſagt, und Alle fühlten bereits, wie wahr er geſprochen. Kam es zum Bruche zwiſchen der Krone und den Ständen, ſo fiel das Patent ſelbſt, und der Staat trieb vielleicht gewaltſamen Erſchütterungen ent- gegen. Darum hielt ſich Arnim verpflichtet, ritterlich für die vergeblich gewarnte Krone einzutreten. Er brachte einen Gegenentwurf ein, der die Rechtsbedenken nur leiſe und ſchüchtern andeutete. In der langen Ver- handlung, die ſich nunmehr entſpann, traten ſchon die beiden Redner auf, welche die Regierung fortan als ihre gefährlichſten Feinde fürchtete: der bürgerliche Liberale Hanſemann und Vincke der liberale Ariſtokrat. Hanſemann hatte ſeine große geſchäftliche Begabung neuerdings wieder in mannichfachen Eiſenbahn-Unternehmungen bewährt; ſein Ziel war die conſtitutionelle Herrſchaft der wohlhabenden Bourgeoiſie, wie in Belgien. In ihm verkörperte ſich die echt moderne kaufmänniſche Staatsanſicht, die alle politiſchen Begriffe auf den Kopf ſtellte und eben deßhalb in einer Zeit wachſenden Erwerbes und Genuſſes unaufhaltſam um ſich griff: er betrachtete Heer und Beamtenthum als läſtige Koſtgänger der Kaufleute und Fabrikanten, während doch Handel und Wandel, Geld und Tauſch ohne den Staat, ſein Recht und ſeine Waffen gar nicht auf der Welt wären und man alſo mit gleich guten Gründen behaupten konnte, daß die reichen Börſenmänner zum Theil durch die Arbeit der ſchlecht bezahlten Staats- diener ernährt würden. Im Landtage redete er ſehr ſcharf, oft mit ple- bejiſcher Plumpheit, er ſtellte den Ständen kurzab die Wahl: „ob das Gefühl des Rechts in Ihnen lebt oder ob Sie nur von Vertrauen, von Gnade leben wollen.“ Ungleich mächtiger ſprach Vincke, ein wohlbeleibter, ſtiernackiger junger Mann, deſſen nachläſſige Haltung und Kleidung doch den Edelmann nicht verkennen ließen; ſein ſchwerer, von dichtem rothem Backenbart umrahmter Kopf zeigte eine impoſante Häßlichkeit, wie ſie ſo oft ſchon bedeutenden Rednern als Schild und Waffe gedient hat. Er war der größte aller Parlamentsredner der preußiſchen Geſchichte, ganz unvergleichlich in der Kunſt raſcher, ſchlagfertiger Debatte, und dennoch kein ſchöpferiſcher ſtaats- männiſcher Geiſt, ja nicht einmal ein gewandter Parteiführer. Im Kampfe, im Angriff allein lag ſeine Kraft. Wie ward ihm wohl, wenn er einen Redner der Gegenpartei lange mit den ſpöttiſchen Blicken ſeiner ſcharf hinter der Brille hervorlugenden Augen, mit höhniſchen Gebärden und Zwiſchenrufen verfolgt hatte und dann aufſprang, beide Hände in den Hoſentaſchen, um den Unglücklichen mit ſcharfer Dialektik, mit grauſamen Witzen und that es noth mit ſtürmiſcher Entrüſtung zu zermalmen. Dem Könige blieb er ſtets verhaßt; denn Friedrich Wilhelm nahm Alles per-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/635>, abgerufen am 24.11.2024.