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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Schlußverhandlungen über das Patent.
tionellen Frankreich auf Millionen, sondern auf 17,000 Thlr. Aber diese
im Ganzen so sparsame, so peinlich rechtschaffene Finanzverwaltung hatte
doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt,
und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geschah? Eine
gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ sich den Ständen
gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn sie Steuern
und Anleihen bewilligen sollten. Während also Wünsche, Beschwerden,
Anträge jeder Art auf den Landtag einstürmten, verstand die Opposition
doch sehr klug, Alles zu vermeiden, was sie selber zerspalten konnte. Ueber
die Dissidenten wurde sehr heftig geredet, jedoch über das Verhältniß des
Staates zur römischen Kirche sprach Niemand, weil die Liberalen aus
dem Osten ihre rheinischen Genossen nicht reizen wollten. Das Elend
der schlesischen Weber kam zur Sprache, der Prinz von Preußen, Fürst
Lichnowsky und andere Mitglieder der Herrencurie verwendeten sich lebhaft
für die Erhöhung der Garnzölle; aber eine grundsätzliche Erörterung der
Zollpolitik wurde behutsam vermieden, weil die schlesischen und die rhei-
nischen Liberalen zum Theil Schutzzöllner waren, ihre Freunde aus den
Küstenlanden allesammt Freihändler.

Während der letzten Wochen der Tagung bewegten sich die Verhand-
lungen wesentlich um die längst vorbereiteten Anträge auf Abänderung
der Gesetze vom 3. Februar. In dieser Erweiterung der ständischen Rechte
sahen viele Liberale die eigentliche Aufgabe des Landtags; die Unterzeichner
der verunglückten Erklärung der Rechte suchten jetzt ihr Ziel auf einem
anderen Wege zu erreichen. Die Stellung der Regierung war wieder sehr
schwierig, ihr fehlte der sichere Rechtsboden. Savigny selbst mußte die Er-
fahrung machen, daß der große akademische Redner parlamentarischer Er-
folge nicht sicher ist; er überzeugte Niemand, als er zu beweisen suchte,
die früheren Gesetze verpflichteten den König nicht zur regelmäßigen Be-
rufung der Reichsstände. Als die Minister dann gar behaupteten, die
Krone hätte keine Garantie für die preußische Bank übernommen, da ver-
wickelten sie sich in beschämende Widersprüche; auf der Banknote, die ein
Abgeordneter entrüstet vorwies, stand doch deutlich zu lesen, daß sie von
allen Behörden statt baaren Geldes angenommen werden mußte, und der
König selbst sah sich genöthigt, dies zur Beruhigung seiner getreuen Stände
nochmals zu bestätigen. Jedoch auch die Opposition bewegte sich im Kreise,
wenn sie immer wieder die unklaren Verheißungen der Hardenbergischen
Gesetze für unzweifelhaftes Recht erklärte. "So hoch der Himmel über
der Erde" -- sagte Vincke -- "so hoch steht das Recht über den Nütz-
lichkeitsgründen. Möge die unparteiische Geschichte sagen: der erste Land-
tag der Krone Preußen, insbesondere die Mitglieder der Curie der Ritter-
schaft, der Städte und der Landgemeinden, sie wurden als treue und
fleißige Ackerer erfunden auf dem Boden des Rechts, sie sind von diesem
Boden nicht um einen Fuß breit abgewichen; nicht um eines Nagels Dicke

Schlußverhandlungen über das Patent.
tionellen Frankreich auf Millionen, ſondern auf 17,000 Thlr. Aber dieſe
im Ganzen ſo ſparſame, ſo peinlich rechtſchaffene Finanzverwaltung hatte
doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt,
und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geſchah? Eine
gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ ſich den Ständen
gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn ſie Steuern
und Anleihen bewilligen ſollten. Während alſo Wünſche, Beſchwerden,
Anträge jeder Art auf den Landtag einſtürmten, verſtand die Oppoſition
doch ſehr klug, Alles zu vermeiden, was ſie ſelber zerſpalten konnte. Ueber
die Diſſidenten wurde ſehr heftig geredet, jedoch über das Verhältniß des
Staates zur römiſchen Kirche ſprach Niemand, weil die Liberalen aus
dem Oſten ihre rheiniſchen Genoſſen nicht reizen wollten. Das Elend
der ſchleſiſchen Weber kam zur Sprache, der Prinz von Preußen, Fürſt
Lichnowsky und andere Mitglieder der Herrencurie verwendeten ſich lebhaft
für die Erhöhung der Garnzölle; aber eine grundſätzliche Erörterung der
Zollpolitik wurde behutſam vermieden, weil die ſchleſiſchen und die rhei-
niſchen Liberalen zum Theil Schutzzöllner waren, ihre Freunde aus den
Küſtenlanden alleſammt Freihändler.

Während der letzten Wochen der Tagung bewegten ſich die Verhand-
lungen weſentlich um die längſt vorbereiteten Anträge auf Abänderung
der Geſetze vom 3. Februar. In dieſer Erweiterung der ſtändiſchen Rechte
ſahen viele Liberale die eigentliche Aufgabe des Landtags; die Unterzeichner
der verunglückten Erklärung der Rechte ſuchten jetzt ihr Ziel auf einem
anderen Wege zu erreichen. Die Stellung der Regierung war wieder ſehr
ſchwierig, ihr fehlte der ſichere Rechtsboden. Savigny ſelbſt mußte die Er-
fahrung machen, daß der große akademiſche Redner parlamentariſcher Er-
folge nicht ſicher iſt; er überzeugte Niemand, als er zu beweiſen ſuchte,
die früheren Geſetze verpflichteten den König nicht zur regelmäßigen Be-
rufung der Reichsſtände. Als die Miniſter dann gar behaupteten, die
Krone hätte keine Garantie für die preußiſche Bank übernommen, da ver-
wickelten ſie ſich in beſchämende Widerſprüche; auf der Banknote, die ein
Abgeordneter entrüſtet vorwies, ſtand doch deutlich zu leſen, daß ſie von
allen Behörden ſtatt baaren Geldes angenommen werden mußte, und der
König ſelbſt ſah ſich genöthigt, dies zur Beruhigung ſeiner getreuen Stände
nochmals zu beſtätigen. Jedoch auch die Oppoſition bewegte ſich im Kreiſe,
wenn ſie immer wieder die unklaren Verheißungen der Hardenbergiſchen
Geſetze für unzweifelhaftes Recht erklärte. „So hoch der Himmel über
der Erde“ — ſagte Vincke — „ſo hoch ſteht das Recht über den Nütz-
lichkeitsgründen. Möge die unparteiiſche Geſchichte ſagen: der erſte Land-
tag der Krone Preußen, insbeſondere die Mitglieder der Curie der Ritter-
ſchaft, der Städte und der Landgemeinden, ſie wurden als treue und
fleißige Ackerer erfunden auf dem Boden des Rechts, ſie ſind von dieſem
Boden nicht um einen Fuß breit abgewichen; nicht um eines Nagels Dicke

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[639/0653] Schlußverhandlungen über das Patent. tionellen Frankreich auf Millionen, ſondern auf 17,000 Thlr. Aber dieſe im Ganzen ſo ſparſame, ſo peinlich rechtſchaffene Finanzverwaltung hatte doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt, und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geſchah? Eine gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ ſich den Ständen gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn ſie Steuern und Anleihen bewilligen ſollten. Während alſo Wünſche, Beſchwerden, Anträge jeder Art auf den Landtag einſtürmten, verſtand die Oppoſition doch ſehr klug, Alles zu vermeiden, was ſie ſelber zerſpalten konnte. Ueber die Diſſidenten wurde ſehr heftig geredet, jedoch über das Verhältniß des Staates zur römiſchen Kirche ſprach Niemand, weil die Liberalen aus dem Oſten ihre rheiniſchen Genoſſen nicht reizen wollten. Das Elend der ſchleſiſchen Weber kam zur Sprache, der Prinz von Preußen, Fürſt Lichnowsky und andere Mitglieder der Herrencurie verwendeten ſich lebhaft für die Erhöhung der Garnzölle; aber eine grundſätzliche Erörterung der Zollpolitik wurde behutſam vermieden, weil die ſchleſiſchen und die rhei- niſchen Liberalen zum Theil Schutzzöllner waren, ihre Freunde aus den Küſtenlanden alleſammt Freihändler. Während der letzten Wochen der Tagung bewegten ſich die Verhand- lungen weſentlich um die längſt vorbereiteten Anträge auf Abänderung der Geſetze vom 3. Februar. In dieſer Erweiterung der ſtändiſchen Rechte ſahen viele Liberale die eigentliche Aufgabe des Landtags; die Unterzeichner der verunglückten Erklärung der Rechte ſuchten jetzt ihr Ziel auf einem anderen Wege zu erreichen. Die Stellung der Regierung war wieder ſehr ſchwierig, ihr fehlte der ſichere Rechtsboden. Savigny ſelbſt mußte die Er- fahrung machen, daß der große akademiſche Redner parlamentariſcher Er- folge nicht ſicher iſt; er überzeugte Niemand, als er zu beweiſen ſuchte, die früheren Geſetze verpflichteten den König nicht zur regelmäßigen Be- rufung der Reichsſtände. Als die Miniſter dann gar behaupteten, die Krone hätte keine Garantie für die preußiſche Bank übernommen, da ver- wickelten ſie ſich in beſchämende Widerſprüche; auf der Banknote, die ein Abgeordneter entrüſtet vorwies, ſtand doch deutlich zu leſen, daß ſie von allen Behörden ſtatt baaren Geldes angenommen werden mußte, und der König ſelbſt ſah ſich genöthigt, dies zur Beruhigung ſeiner getreuen Stände nochmals zu beſtätigen. Jedoch auch die Oppoſition bewegte ſich im Kreiſe, wenn ſie immer wieder die unklaren Verheißungen der Hardenbergiſchen Geſetze für unzweifelhaftes Recht erklärte. „So hoch der Himmel über der Erde“ — ſagte Vincke — „ſo hoch ſteht das Recht über den Nütz- lichkeitsgründen. Möge die unparteiiſche Geſchichte ſagen: der erſte Land- tag der Krone Preußen, insbeſondere die Mitglieder der Curie der Ritter- ſchaft, der Städte und der Landgemeinden, ſie wurden als treue und fleißige Ackerer erfunden auf dem Boden des Rechts, ſie ſind von dieſem Boden nicht um einen Fuß breit abgewichen; nicht um eines Nagels Dicke

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/653>, abgerufen am 22.11.2024.