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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Ausgang des Landtags.
Befehl wurden die vier Landräthe also befragt, ob sie die Gesetze vom
3. Februar als rechtsverbindlich ansähen und ihnen in ihrer Amtsthätigkeit
nachleben wollten. Alle Vier versprachen, die ständischen Gesetze auszu-
führen so lange es ihr Gewissen erlaube; Vincke fügte hinzu, nöthigen-
falls würde er rechtzeitig seine Entlassung nehmen. Schon diese Zusage
bewies, daß der Rechtsboden, um den man stritt, seinen eigenen Verthei-
digern nicht so ganz fest erschien. Nunmehr riethen die Minister, von
weiteren Maßregeln abzusehen, da weder das Verhalten der Landräthe
auf dem Landtage noch ihre Gesinnungen bestraft werden könnten. Der
König ließ es dabei bewenden; doch befahl er Vincke zu bedeuten: "wie
mir bei seinen sonstigen guten Eigenschaften und bei meinem besonderen
Wohlwollen für seinen verstorbenen Vater eine Umkehr von seinen irrigen
Ansichten doppelt erfreulich sein würde." Auch Bardeleben, dessen Ant-
wort etwas unbestimmt gelautet hatte, erhielt noch eine besondere Ver-
warnung: "ich will ihm Gelegenheit geben, meine wankend gewordene
Achtung und mein völlig verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen."*)
So milde -- weit milder als eine constitutionelle Regierung verfahren
darf -- behandelte die absolute Krone ihre Verwaltungsbeamten; doch
die wohlweise Väterlichkeit solcher Vermahnungen mußte stolze Männer
fast noch schwerer kränken als eine Strafe.

Bei allem Unmuth hatte Friedrich Wilhelm keineswegs das Ge-
fühl einer erlittenen Niederlage: Unterthanen konnten ihn doch nicht be-
siegen. Vielmehr glaubte er noch immer, die Zukunft seines Verfassungs-
werkes fest in seiner königlichen Hand zu halten. In seiner Thronrede
meinte er sich ganz unmißverständlich ausgesprochen zu haben. Daher
schrieb er an Bunsen: "der sehr kurze Sinn der sehr langen Rede (die
ich gesprochen aber nicht gelesen habe) ist der: man wäre ein siebenfaches
Rindvieh 1) eine Verfassung zu fordern, 2) ein noch viel größeres, eine
Verfassung zu geben -- wenn man schon eine hat. Darum die kurze
Hindeutung auf England. Mon chancellier vous dira le reste."**) Um
den augenblicklichen Aerger zu vergessen, überließ er sich ganz seiner unruhigen
Reiselust. Er ging nach Breslau, wo das Reiterstandbild des großen Königs
von Kiß enthüllt wurde, dann nach Pillnitz zu dem geliebten Schwager, dem
Prinzen Johann von Sachsen. Freilich, die lustigen Zeiten kehrten nicht
wieder, da Kronprinz "Dicky" einst mit seinem Carissimo Sasso di Dante
hier am Strande der Elbe "Urküche gegessen" hatte.***) Indeß der König
fühlte sich wohlauf, und recht von Herzen freute er sich, als ihm hier eine
Dankadresse von etwa vierzig Mitgliedern der märkischen Ritterschaft zukam,

*) Cabinetsordre an das Staatsministerium, 24. Juli; Bericht des Staats-Min.,
10. Dec. 1847; Cabinetsordre an das Staats-Min., 4. Jan. 1848.
**) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 13. April 1847.
***) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Prinz Johann von Sachsen, Dresden, 29. April
1833.
41*

Ausgang des Landtags.
Befehl wurden die vier Landräthe alſo befragt, ob ſie die Geſetze vom
3. Februar als rechtsverbindlich anſähen und ihnen in ihrer Amtsthätigkeit
nachleben wollten. Alle Vier verſprachen, die ſtändiſchen Geſetze auszu-
führen ſo lange es ihr Gewiſſen erlaube; Vincke fügte hinzu, nöthigen-
falls würde er rechtzeitig ſeine Entlaſſung nehmen. Schon dieſe Zuſage
bewies, daß der Rechtsboden, um den man ſtritt, ſeinen eigenen Verthei-
digern nicht ſo ganz feſt erſchien. Nunmehr riethen die Miniſter, von
weiteren Maßregeln abzuſehen, da weder das Verhalten der Landräthe
auf dem Landtage noch ihre Geſinnungen beſtraft werden könnten. Der
König ließ es dabei bewenden; doch befahl er Vincke zu bedeuten: „wie
mir bei ſeinen ſonſtigen guten Eigenſchaften und bei meinem beſonderen
Wohlwollen für ſeinen verſtorbenen Vater eine Umkehr von ſeinen irrigen
Anſichten doppelt erfreulich ſein würde.“ Auch Bardeleben, deſſen Ant-
wort etwas unbeſtimmt gelautet hatte, erhielt noch eine beſondere Ver-
warnung: „ich will ihm Gelegenheit geben, meine wankend gewordene
Achtung und mein völlig verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen.“*)
So milde — weit milder als eine conſtitutionelle Regierung verfahren
darf — behandelte die abſolute Krone ihre Verwaltungsbeamten; doch
die wohlweiſe Väterlichkeit ſolcher Vermahnungen mußte ſtolze Männer
faſt noch ſchwerer kränken als eine Strafe.

Bei allem Unmuth hatte Friedrich Wilhelm keineswegs das Ge-
fühl einer erlittenen Niederlage: Unterthanen konnten ihn doch nicht be-
ſiegen. Vielmehr glaubte er noch immer, die Zukunft ſeines Verfaſſungs-
werkes feſt in ſeiner königlichen Hand zu halten. In ſeiner Thronrede
meinte er ſich ganz unmißverſtändlich ausgeſprochen zu haben. Daher
ſchrieb er an Bunſen: „der ſehr kurze Sinn der ſehr langen Rede (die
ich geſprochen aber nicht geleſen habe) iſt der: man wäre ein ſiebenfaches
Rindvieh 1) eine Verfaſſung zu fordern, 2) ein noch viel größeres, eine
Verfaſſung zu geben — wenn man ſchon eine hat. Darum die kurze
Hindeutung auf England. Mon chancellier vous dira le reste.“**) Um
den augenblicklichen Aerger zu vergeſſen, überließ er ſich ganz ſeiner unruhigen
Reiſeluſt. Er ging nach Breslau, wo das Reiterſtandbild des großen Königs
von Kiß enthüllt wurde, dann nach Pillnitz zu dem geliebten Schwager, dem
Prinzen Johann von Sachſen. Freilich, die luſtigen Zeiten kehrten nicht
wieder, da Kronprinz „Dicky“ einſt mit ſeinem Carissimo Sasso di Dante
hier am Strande der Elbe „Urküche gegeſſen“ hatte.***) Indeß der König
fühlte ſich wohlauf, und recht von Herzen freute er ſich, als ihm hier eine
Dankadreſſe von etwa vierzig Mitgliedern der märkiſchen Ritterſchaft zukam,

*) Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 24. Juli; Bericht des Staats-Min.,
10. Dec. 1847; Cabinetsordre an das Staats-Min., 4. Jan. 1848.
**) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 13. April 1847.
***) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Prinz Johann von Sachſen, Dresden, 29. April
1833.
41*
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[643/0657] Ausgang des Landtags. Befehl wurden die vier Landräthe alſo befragt, ob ſie die Geſetze vom 3. Februar als rechtsverbindlich anſähen und ihnen in ihrer Amtsthätigkeit nachleben wollten. Alle Vier verſprachen, die ſtändiſchen Geſetze auszu- führen ſo lange es ihr Gewiſſen erlaube; Vincke fügte hinzu, nöthigen- falls würde er rechtzeitig ſeine Entlaſſung nehmen. Schon dieſe Zuſage bewies, daß der Rechtsboden, um den man ſtritt, ſeinen eigenen Verthei- digern nicht ſo ganz feſt erſchien. Nunmehr riethen die Miniſter, von weiteren Maßregeln abzuſehen, da weder das Verhalten der Landräthe auf dem Landtage noch ihre Geſinnungen beſtraft werden könnten. Der König ließ es dabei bewenden; doch befahl er Vincke zu bedeuten: „wie mir bei ſeinen ſonſtigen guten Eigenſchaften und bei meinem beſonderen Wohlwollen für ſeinen verſtorbenen Vater eine Umkehr von ſeinen irrigen Anſichten doppelt erfreulich ſein würde.“ Auch Bardeleben, deſſen Ant- wort etwas unbeſtimmt gelautet hatte, erhielt noch eine beſondere Ver- warnung: „ich will ihm Gelegenheit geben, meine wankend gewordene Achtung und mein völlig verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen.“ *) So milde — weit milder als eine conſtitutionelle Regierung verfahren darf — behandelte die abſolute Krone ihre Verwaltungsbeamten; doch die wohlweiſe Väterlichkeit ſolcher Vermahnungen mußte ſtolze Männer faſt noch ſchwerer kränken als eine Strafe. Bei allem Unmuth hatte Friedrich Wilhelm keineswegs das Ge- fühl einer erlittenen Niederlage: Unterthanen konnten ihn doch nicht be- ſiegen. Vielmehr glaubte er noch immer, die Zukunft ſeines Verfaſſungs- werkes feſt in ſeiner königlichen Hand zu halten. In ſeiner Thronrede meinte er ſich ganz unmißverſtändlich ausgeſprochen zu haben. Daher ſchrieb er an Bunſen: „der ſehr kurze Sinn der ſehr langen Rede (die ich geſprochen aber nicht geleſen habe) iſt der: man wäre ein ſiebenfaches Rindvieh 1) eine Verfaſſung zu fordern, 2) ein noch viel größeres, eine Verfaſſung zu geben — wenn man ſchon eine hat. Darum die kurze Hindeutung auf England. Mon chancellier vous dira le reste.“ **) Um den augenblicklichen Aerger zu vergeſſen, überließ er ſich ganz ſeiner unruhigen Reiſeluſt. Er ging nach Breslau, wo das Reiterſtandbild des großen Königs von Kiß enthüllt wurde, dann nach Pillnitz zu dem geliebten Schwager, dem Prinzen Johann von Sachſen. Freilich, die luſtigen Zeiten kehrten nicht wieder, da Kronprinz „Dicky“ einſt mit ſeinem Carissimo Sasso di Dante hier am Strande der Elbe „Urküche gegeſſen“ hatte. ***) Indeß der König fühlte ſich wohlauf, und recht von Herzen freute er ſich, als ihm hier eine Dankadreſſe von etwa vierzig Mitgliedern der märkiſchen Ritterſchaft zukam, *) Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 24. Juli; Bericht des Staats-Min., 10. Dec. 1847; Cabinetsordre an das Staats-Min., 4. Jan. 1848. **) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 13. April 1847. ***) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Prinz Johann von Sachſen, Dresden, 29. April 1833. 41*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/657>, abgerufen am 22.11.2024.