Lasaulx entlassen. Die Studenten, die den phantastischen Philologen doch als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um von ihm Abschied zu nehmen, dann zogen sie vor das Haus Lola's, die den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenster her verhöhnte. Mitten im Getümmel erschien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll Platz; doch als er nach langer Frist von der Geliebten zurückkehrte, da brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens wurde in dieser Stadt, die ihm Alles verdankte, persönlich beschimpft. Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, schritt er durch den johlenden Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltstreiche gegen die Uni- versität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Rasch nach einander wurden die beiden Juristen Phillips und Moy beseitigt, dann der Historiker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die clericalen Gelehrten, welche Ludwig einst selber berufen hatte um sein München zu einem katholischen Berlin zu erheben. So zertrümmerte er in blindem Unmuth sein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra- montanen Professoren blieben nur zwei verschont: der greise Görres -- denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh' -- und der getreue Nepomuk Ringseis. Der hatte sich entschieden für Lasaulx's Antrag aus- gesprochen; sein alter Freund aber meinte: "der Muckerl meint es gut, er hat mir schon oft bittere Wahrheiten gesagt."
Im Sommer ging Ludwig nach seinem geliebten altfuldischen Schlosse Brückenau. Es bezeichnete seinen künstlerischen Sinn, daß er unter den vielen schönen Stellen seines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth so leicht erdrückende Pracht der Alpenlandschaften bevorzugte, sondern die sanfte Anmuth dieses stillen vom Waldgebirge der Rhön umschlossenen Wiesen- grundes: hier ließ sich's träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm bald nach; Kürassiere ritten neben ihrem Wagen um den katholischen Pöbel fern zu halten. Er selbst wurde, als er nachher in die Pfalz reiste, über- all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs besuchte ihn der Bundesgesandte Graf Dönhoff, und wie erstaunte der Preuße, den König so verwandelt, so ganz umgetauscht zu finden: über alle die Männer, welche Ludwig einst in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte, sprach er jetzt mit der äußersten Heftigkeit.*) Dem Würzburger Bischof Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten niederschreiben ließ: "Der Beschützer der Kirche -- als solcher bewies ich mich -- ihr Wohlthäter -- keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen Mitteln so viele Stiftungen -- der wird von der ultrakirchlichen Partei so schändlich behandelt, daß sie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die dem Papste feindliche Partei ist's auch mir. Seit Jahren gingen mir die Augen auf, immer mehr und mehr, und sollten auch alle hell sehenden
*) Dönhoff's Bericht, Aschaffenburg, 20. Aug. 1847.
Abel’s Sturz. Mißhandlung der Univerſität.
Laſaulx entlaſſen. Die Studenten, die den phantaſtiſchen Philologen doch als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um von ihm Abſchied zu nehmen, dann zogen ſie vor das Haus Lola’s, die den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenſter her verhöhnte. Mitten im Getümmel erſchien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll Platz; doch als er nach langer Friſt von der Geliebten zurückkehrte, da brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens wurde in dieſer Stadt, die ihm Alles verdankte, perſönlich beſchimpft. Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, ſchritt er durch den johlenden Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltſtreiche gegen die Uni- verſität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Raſch nach einander wurden die beiden Juriſten Phillips und Moy beſeitigt, dann der Hiſtoriker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die clericalen Gelehrten, welche Ludwig einſt ſelber berufen hatte um ſein München zu einem katholiſchen Berlin zu erheben. So zertrümmerte er in blindem Unmuth ſein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra- montanen Profeſſoren blieben nur zwei verſchont: der greiſe Görres — denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh’ — und der getreue Nepomuk Ringseis. Der hatte ſich entſchieden für Laſaulx’s Antrag aus- geſprochen; ſein alter Freund aber meinte: „der Muckerl meint es gut, er hat mir ſchon oft bittere Wahrheiten geſagt.“
Im Sommer ging Ludwig nach ſeinem geliebten altfuldiſchen Schloſſe Brückenau. Es bezeichnete ſeinen künſtleriſchen Sinn, daß er unter den vielen ſchönen Stellen ſeines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth ſo leicht erdrückende Pracht der Alpenlandſchaften bevorzugte, ſondern die ſanfte Anmuth dieſes ſtillen vom Waldgebirge der Rhön umſchloſſenen Wieſen- grundes: hier ließ ſich’s träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm bald nach; Küraſſiere ritten neben ihrem Wagen um den katholiſchen Pöbel fern zu halten. Er ſelbſt wurde, als er nachher in die Pfalz reiſte, über- all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs beſuchte ihn der Bundesgeſandte Graf Dönhoff, und wie erſtaunte der Preuße, den König ſo verwandelt, ſo ganz umgetauſcht zu finden: über alle die Männer, welche Ludwig einſt in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte, ſprach er jetzt mit der äußerſten Heftigkeit.*) Dem Würzburger Biſchof Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten niederſchreiben ließ: „Der Beſchützer der Kirche — als ſolcher bewies ich mich — ihr Wohlthäter — keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen Mitteln ſo viele Stiftungen — der wird von der ultrakirchlichen Partei ſo ſchändlich behandelt, daß ſie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die dem Papſte feindliche Partei iſt’s auch mir. Seit Jahren gingen mir die Augen auf, immer mehr und mehr, und ſollten auch alle hell ſehenden
*) Dönhoff’s Bericht, Aſchaffenburg, 20. Aug. 1847.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0669"n="655"/><fwplace="top"type="header">Abel’s Sturz. Mißhandlung der Univerſität.</fw><lb/>
Laſaulx entlaſſen. Die Studenten, die den phantaſtiſchen Philologen doch<lb/>
als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um<lb/>
von ihm Abſchied zu nehmen, dann zogen ſie vor das Haus Lola’s, die<lb/>
den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenſter her verhöhnte. Mitten<lb/>
im Getümmel erſchien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll<lb/>
Platz; doch als er nach langer Friſt von der Geliebten zurückkehrte, da<lb/>
brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens<lb/>
wurde in dieſer Stadt, die ihm Alles verdankte, perſönlich beſchimpft.<lb/>
Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, ſchritt er durch den johlenden<lb/>
Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltſtreiche gegen die Uni-<lb/>
verſität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Raſch<lb/>
nach einander wurden die beiden Juriſten Phillips und Moy beſeitigt,<lb/>
dann der Hiſtoriker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die<lb/>
clericalen Gelehrten, welche Ludwig einſt ſelber berufen hatte um ſein<lb/>
München zu einem katholiſchen Berlin zu erheben. So zertrümmerte<lb/>
er in blindem Unmuth ſein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra-<lb/>
montanen Profeſſoren blieben nur zwei verſchont: der greiſe Görres —<lb/>
denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh’— und der getreue<lb/>
Nepomuk Ringseis. Der hatte ſich entſchieden für Laſaulx’s Antrag aus-<lb/>
geſprochen; ſein alter Freund aber meinte: „der Muckerl meint es gut,<lb/>
er hat mir ſchon oft bittere Wahrheiten geſagt.“</p><lb/><p>Im Sommer ging Ludwig nach ſeinem geliebten altfuldiſchen Schloſſe<lb/>
Brückenau. Es bezeichnete ſeinen künſtleriſchen Sinn, daß er unter den<lb/>
vielen ſchönen Stellen ſeines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth ſo<lb/>
leicht erdrückende Pracht der Alpenlandſchaften bevorzugte, ſondern die ſanfte<lb/>
Anmuth dieſes ſtillen vom Waldgebirge der Rhön umſchloſſenen Wieſen-<lb/>
grundes: hier ließ ſich’s träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm<lb/>
bald nach; Küraſſiere ritten neben ihrem Wagen um den katholiſchen Pöbel<lb/>
fern zu halten. Er ſelbſt wurde, als er nachher in die Pfalz reiſte, über-<lb/>
all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs beſuchte<lb/>
ihn der Bundesgeſandte Graf Dönhoff, und wie erſtaunte der Preuße,<lb/>
den König ſo verwandelt, ſo ganz umgetauſcht zu finden: über alle die<lb/>
Männer, welche Ludwig einſt in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte,<lb/>ſprach er jetzt mit der äußerſten Heftigkeit.<noteplace="foot"n="*)">Dönhoff’s Bericht, Aſchaffenburg, 20. Aug. 1847.</note> Dem Würzburger Biſchof<lb/>
Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten<lb/>
niederſchreiben ließ: „Der Beſchützer der Kirche — als ſolcher bewies ich<lb/>
mich — ihr Wohlthäter — keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen<lb/>
Mitteln ſo viele Stiftungen — der wird von der ultrakirchlichen Partei<lb/>ſo ſchändlich behandelt, daß ſie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die<lb/>
dem Papſte feindliche Partei iſt’s auch mir. Seit Jahren gingen mir die<lb/>
Augen auf, immer mehr und mehr, und ſollten auch alle hell ſehenden<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[655/0669]
Abel’s Sturz. Mißhandlung der Univerſität.
Laſaulx entlaſſen. Die Studenten, die den phantaſtiſchen Philologen doch
als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um
von ihm Abſchied zu nehmen, dann zogen ſie vor das Haus Lola’s, die
den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenſter her verhöhnte. Mitten
im Getümmel erſchien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll
Platz; doch als er nach langer Friſt von der Geliebten zurückkehrte, da
brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens
wurde in dieſer Stadt, die ihm Alles verdankte, perſönlich beſchimpft.
Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, ſchritt er durch den johlenden
Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltſtreiche gegen die Uni-
verſität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Raſch
nach einander wurden die beiden Juriſten Phillips und Moy beſeitigt,
dann der Hiſtoriker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die
clericalen Gelehrten, welche Ludwig einſt ſelber berufen hatte um ſein
München zu einem katholiſchen Berlin zu erheben. So zertrümmerte
er in blindem Unmuth ſein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra-
montanen Profeſſoren blieben nur zwei verſchont: der greiſe Görres —
denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh’ — und der getreue
Nepomuk Ringseis. Der hatte ſich entſchieden für Laſaulx’s Antrag aus-
geſprochen; ſein alter Freund aber meinte: „der Muckerl meint es gut,
er hat mir ſchon oft bittere Wahrheiten geſagt.“
Im Sommer ging Ludwig nach ſeinem geliebten altfuldiſchen Schloſſe
Brückenau. Es bezeichnete ſeinen künſtleriſchen Sinn, daß er unter den
vielen ſchönen Stellen ſeines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth ſo
leicht erdrückende Pracht der Alpenlandſchaften bevorzugte, ſondern die ſanfte
Anmuth dieſes ſtillen vom Waldgebirge der Rhön umſchloſſenen Wieſen-
grundes: hier ließ ſich’s träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm
bald nach; Küraſſiere ritten neben ihrem Wagen um den katholiſchen Pöbel
fern zu halten. Er ſelbſt wurde, als er nachher in die Pfalz reiſte, über-
all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs beſuchte
ihn der Bundesgeſandte Graf Dönhoff, und wie erſtaunte der Preuße,
den König ſo verwandelt, ſo ganz umgetauſcht zu finden: über alle die
Männer, welche Ludwig einſt in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte,
ſprach er jetzt mit der äußerſten Heftigkeit. *) Dem Würzburger Biſchof
Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten
niederſchreiben ließ: „Der Beſchützer der Kirche — als ſolcher bewies ich
mich — ihr Wohlthäter — keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen
Mitteln ſo viele Stiftungen — der wird von der ultrakirchlichen Partei
ſo ſchändlich behandelt, daß ſie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die
dem Papſte feindliche Partei iſt’s auch mir. Seit Jahren gingen mir die
Augen auf, immer mehr und mehr, und ſollten auch alle hell ſehenden
*) Dönhoff’s Bericht, Aſchaffenburg, 20. Aug. 1847.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/669>, abgerufen am 14.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.