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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Ministerium Maurer.
konnte, eine Zeit lang nur durch Geschäftsträger vertreten.*) Den pro-
testantischen deutschen Höfen ließ Ludwig die Gründe des Ministerwechsels
vertraulich mittheilen und zugleich die Hoffnung aussprechen, nunmehr
würde sich das Verhältniß zwischen den Bundesgenossen wieder freundlicher
gestalten. Es ward hohe Zeit. Der Münchener Hof stand augenblicklich
ganz vereinsamt; alle mieden und beargwöhnten ihn, seit Abel sich er-
dreistet hatte, die Bischöfe gradeswegs zum Kampfe gegen die Kirchen-
politik der deutschen Regierungen aufzuwiegeln.**) Ueber ihre Vorgänger
sprachen die neuen Minister mit der größten Schärfe. In einer, dem
preußischen Auswärtigen Amte mitgetheilten Weisung an den Gesandten
Lerchenfeld schilderte Maurer die Politik Abel's und fuhr fort: "das un-
sinnige und strafbare Treiben möchte ganz unbegreiflich erscheinen, wenn
man nicht wüßte, daß S. Maj. der König schon seit längerer Zeit an
eine Aenderung des bisher befolgten Systems gedacht haben, welche nicht
blos den bairischen Interessen, sondern auch denen des gesammten deutschen
Vaterlandes mehr zusagen dürfte."***) Die meisten der kleinen Höfe ant-
worteten sehr erfreut, auch die Westmächte und der den Ultramontanen
allezeit feindliche Czar bekundeten ihre Zufriedenheit; selbst der neue Papst
äußerte sich wohlwollend, denn er wünschte kirchlichen Frieden. Der württem-
bergische Resident Graf Degenfeld aber schrieb frohlockend an Thile, jetzt
könne Preußen die diplomatische Herrschaft in München erlangen, und
warf dem Grafen Bernstorff vor, daß er die Gunst der Stunde noch nicht
benutzt hätte.+)

Bernstorff's Zurückhaltung hatte gute Gründe, denn rücksichtslos zu-
zugreifen, moralische Bedenken über politischen Zwecken zu vergessen war
Friedrich Wilhelm's Weise nicht. Nirgends erregten die seltsamen Münchener
Liebeswirren so viel Herzeleid wie bei dem bis zur Peinlichkeit sittenstrengen
preußischen Königspaare. Dem Könige war überdies die neu empor-
kommende liberalere Richtung fast ebenso zuwider wie die geschlagene ul-
tramontane Partei, und seine Gemahlin empfand tiefes Mitleid mit ihrer
armen Schwägerin der Königin Therese, die ihr hartes Loos mit einer
fast übermenschlichen Geduld ertrug. Auch Canitz konnte nicht umhin, mit
dem eigenthümlichen Tugendstolze dieses Hofes auszusprechen: sein eigener
allergnädigster Herr hätte durch sein Verhalten gegen die römische Kirche
das alte Wort bekräftigt: sui victoria indicat regem. Er freute sich des
angekündigten Systemwechsels und der "Bekräftigung eines alten Bünd-
nisses", aber -- so sagte er bedenklich -- "die Veranlassung erscheint
uns nicht geeignet, darin einen Sieg der Sache, die wir für die unserige
halten, zu erkennen". Noch deutlicher sprach er in einem Begleitschreiben

*) Berichte von Graf Arnim, 1. März, von Bernstorff, 4. Juni 1847.
**) S. o. V. 287.
***) Maurer, Weisung an Graf Lerchenfeld, 1. März 1847.
+) Degenfeld an Thile, 15. Febr. 1847.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 42

Miniſterium Maurer.
konnte, eine Zeit lang nur durch Geſchäftsträger vertreten.*) Den pro-
teſtantiſchen deutſchen Höfen ließ Ludwig die Gründe des Miniſterwechſels
vertraulich mittheilen und zugleich die Hoffnung ausſprechen, nunmehr
würde ſich das Verhältniß zwiſchen den Bundesgenoſſen wieder freundlicher
geſtalten. Es ward hohe Zeit. Der Münchener Hof ſtand augenblicklich
ganz vereinſamt; alle mieden und beargwöhnten ihn, ſeit Abel ſich er-
dreiſtet hatte, die Biſchöfe gradeswegs zum Kampfe gegen die Kirchen-
politik der deutſchen Regierungen aufzuwiegeln.**) Ueber ihre Vorgänger
ſprachen die neuen Miniſter mit der größten Schärfe. In einer, dem
preußiſchen Auswärtigen Amte mitgetheilten Weiſung an den Geſandten
Lerchenfeld ſchilderte Maurer die Politik Abel’s und fuhr fort: „das un-
ſinnige und ſtrafbare Treiben möchte ganz unbegreiflich erſcheinen, wenn
man nicht wüßte, daß S. Maj. der König ſchon ſeit längerer Zeit an
eine Aenderung des bisher befolgten Syſtems gedacht haben, welche nicht
blos den bairiſchen Intereſſen, ſondern auch denen des geſammten deutſchen
Vaterlandes mehr zuſagen dürfte.“***) Die meiſten der kleinen Höfe ant-
worteten ſehr erfreut, auch die Weſtmächte und der den Ultramontanen
allezeit feindliche Czar bekundeten ihre Zufriedenheit; ſelbſt der neue Papſt
äußerte ſich wohlwollend, denn er wünſchte kirchlichen Frieden. Der württem-
bergiſche Reſident Graf Degenfeld aber ſchrieb frohlockend an Thile, jetzt
könne Preußen die diplomatiſche Herrſchaft in München erlangen, und
warf dem Grafen Bernſtorff vor, daß er die Gunſt der Stunde noch nicht
benutzt hätte.†)

Bernſtorff’s Zurückhaltung hatte gute Gründe, denn rückſichtslos zu-
zugreifen, moraliſche Bedenken über politiſchen Zwecken zu vergeſſen war
Friedrich Wilhelm’s Weiſe nicht. Nirgends erregten die ſeltſamen Münchener
Liebeswirren ſo viel Herzeleid wie bei dem bis zur Peinlichkeit ſittenſtrengen
preußiſchen Königspaare. Dem Könige war überdies die neu empor-
kommende liberalere Richtung faſt ebenſo zuwider wie die geſchlagene ul-
tramontane Partei, und ſeine Gemahlin empfand tiefes Mitleid mit ihrer
armen Schwägerin der Königin Thereſe, die ihr hartes Loos mit einer
faſt übermenſchlichen Geduld ertrug. Auch Canitz konnte nicht umhin, mit
dem eigenthümlichen Tugendſtolze dieſes Hofes auszuſprechen: ſein eigener
allergnädigſter Herr hätte durch ſein Verhalten gegen die römiſche Kirche
das alte Wort bekräftigt: sui victoria indicat regem. Er freute ſich des
angekündigten Syſtemwechſels und der „Bekräftigung eines alten Bünd-
niſſes“, aber — ſo ſagte er bedenklich — „die Veranlaſſung erſcheint
uns nicht geeignet, darin einen Sieg der Sache, die wir für die unſerige
halten, zu erkennen“. Noch deutlicher ſprach er in einem Begleitſchreiben

*) Berichte von Graf Arnim, 1. März, von Bernſtorff, 4. Juni 1847.
**) S. o. V. 287.
***) Maurer, Weiſung an Graf Lerchenfeld, 1. März 1847.
†) Degenfeld an Thile, 15. Febr. 1847.
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[657/0671] Miniſterium Maurer. konnte, eine Zeit lang nur durch Geſchäftsträger vertreten. *) Den pro- teſtantiſchen deutſchen Höfen ließ Ludwig die Gründe des Miniſterwechſels vertraulich mittheilen und zugleich die Hoffnung ausſprechen, nunmehr würde ſich das Verhältniß zwiſchen den Bundesgenoſſen wieder freundlicher geſtalten. Es ward hohe Zeit. Der Münchener Hof ſtand augenblicklich ganz vereinſamt; alle mieden und beargwöhnten ihn, ſeit Abel ſich er- dreiſtet hatte, die Biſchöfe gradeswegs zum Kampfe gegen die Kirchen- politik der deutſchen Regierungen aufzuwiegeln. **) Ueber ihre Vorgänger ſprachen die neuen Miniſter mit der größten Schärfe. In einer, dem preußiſchen Auswärtigen Amte mitgetheilten Weiſung an den Geſandten Lerchenfeld ſchilderte Maurer die Politik Abel’s und fuhr fort: „das un- ſinnige und ſtrafbare Treiben möchte ganz unbegreiflich erſcheinen, wenn man nicht wüßte, daß S. Maj. der König ſchon ſeit längerer Zeit an eine Aenderung des bisher befolgten Syſtems gedacht haben, welche nicht blos den bairiſchen Intereſſen, ſondern auch denen des geſammten deutſchen Vaterlandes mehr zuſagen dürfte.“ ***) Die meiſten der kleinen Höfe ant- worteten ſehr erfreut, auch die Weſtmächte und der den Ultramontanen allezeit feindliche Czar bekundeten ihre Zufriedenheit; ſelbſt der neue Papſt äußerte ſich wohlwollend, denn er wünſchte kirchlichen Frieden. Der württem- bergiſche Reſident Graf Degenfeld aber ſchrieb frohlockend an Thile, jetzt könne Preußen die diplomatiſche Herrſchaft in München erlangen, und warf dem Grafen Bernſtorff vor, daß er die Gunſt der Stunde noch nicht benutzt hätte. †) Bernſtorff’s Zurückhaltung hatte gute Gründe, denn rückſichtslos zu- zugreifen, moraliſche Bedenken über politiſchen Zwecken zu vergeſſen war Friedrich Wilhelm’s Weiſe nicht. Nirgends erregten die ſeltſamen Münchener Liebeswirren ſo viel Herzeleid wie bei dem bis zur Peinlichkeit ſittenſtrengen preußiſchen Königspaare. Dem Könige war überdies die neu empor- kommende liberalere Richtung faſt ebenſo zuwider wie die geſchlagene ul- tramontane Partei, und ſeine Gemahlin empfand tiefes Mitleid mit ihrer armen Schwägerin der Königin Thereſe, die ihr hartes Loos mit einer faſt übermenſchlichen Geduld ertrug. Auch Canitz konnte nicht umhin, mit dem eigenthümlichen Tugendſtolze dieſes Hofes auszuſprechen: ſein eigener allergnädigſter Herr hätte durch ſein Verhalten gegen die römiſche Kirche das alte Wort bekräftigt: sui victoria indicat regem. Er freute ſich des angekündigten Syſtemwechſels und der „Bekräftigung eines alten Bünd- niſſes“, aber — ſo ſagte er bedenklich — „die Veranlaſſung erſcheint uns nicht geeignet, darin einen Sieg der Sache, die wir für die unſerige halten, zu erkennen“. Noch deutlicher ſprach er in einem Begleitſchreiben *) Berichte von Graf Arnim, 1. März, von Bernſtorff, 4. Juni 1847. **) S. o. V. 287. ***) Maurer, Weiſung an Graf Lerchenfeld, 1. März 1847. †) Degenfeld an Thile, 15. Febr. 1847. v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 42

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/671>, abgerufen am 22.11.2024.