richteten, das mußte der einfältig ehrliche Polterer Jacob Venedey in Paris erfahren. Er schrieb als germanischer Tugendbold und Keuschheitswächter einen flegelhaften Aufsatz "die spanische Tänzerin und die deutsche Frei- heit". Da die deutschen Zeitungen, der Censur halber, sein Machwerk nicht aufnehmen konnten, so wendete er sich an Marrast, den Heraus- geber des National. Der aber meinte trocken: die Freundin der Liberalen können wir nicht bekämpfen. Nun ging Venedey zu den Fourieristen Con- siderant und Cantagrel; sie lachten ihn aus: die deutschen Liberalen wären "absurd", wenn sie sich an "die alte Moral" hielten und nach dem Lebens- wandel ihrer Beschützerin fragten! Als der deutsche Demagog darauf mit dem ganzen Pathos des alten Burschenschafters ausrief: aus besudelten Händen nehme ich die Freiheit nicht an -- da erwiderte ihm Cantagrel, der die Dame noch von ihren Pariser Zeiten her gründlich kannte, sieg- reich: o nein, Lola's Hände sind sehr rein und schön! Das Alles ließ Venedey drucken; er ahnte nicht, wie lächerlich er sich machte. Und doch war es ein unheimliches Zeichen der Zeit, daß ein deutscher König, der Schirmherr der Kirche, also von den Predigern der "neuen Moral" des Communismus in Schutz genommen wurde.
Der Landtag, der im October 1847 für kurze Zeit zusammentrat um über eine neue Eisenbahn-Anleihe zu beschließen, hielt sich ruhig: denn über den Skandal, der alle Welt beschäftigte, durfte man auf der Redner- bühne nichts sagen. Auch waren die Liberalen aus den Provinzen, zumal die Pfälzer, herzlich froh der verhaßten clericalen Herrschaft endlich ent- ledigt zu sein, sie freuten sich des überall umhergetragenen königlichen Wortes: das Jesuiten-Regiment hat aufgehört in Baiern. Der Haß gegen die gestürzte Partei entlud sich nur in einigen stürmischen Auftritten. Von den Reichsräthen verlangte Fürst Wrede kurzweg die Ausschließung des neuen Münchener Erzbischofs, der im Germanicum den Jesuiteneid geleistet hätte; Graf Reisach versicherte darauf mit einer alle Sachkundigen erschreckenden Unschuld: daß er der Gesellschaft Jesu nicht angehöre. In der Adresse sprach die zweite Kammer den neuen Räthen der Krone ihr Ver- trauen aus und zugleich die Hoffnung, daß "die großartige Schöpfung des Zollvereins zu einer noch vollständigeren Vereinigung aller deutschen Volks- stämme führen möge". Der also angeschlagene liberale Ton klang mächtig wieder, als ein Antrag auf Preßfreiheit berathen und schließlich selbst von den Reichsräthen beinah einstimmig angenommen wurde. Der König willfahrte dem Wunsche, da die so oft besprochene Revision des Bundes- preßgesetzes doch noch in weitem Felde lag, und verfügte am 17. Dec. -- dem Bundesrechte zuwider -- daß fortan nur noch die Artikel über auswärtige Politik der Censur unterliegen sollten.
Aber ehe das Land noch dieses Geschenkes froh werden konnte, brach das Ministerium Maurer schon zusammen. Es war Ludwig's tragisches Verhängniß, daß ihm seine thörichte Liebe jetzt auch seine wohldurchdachten
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Lolamontane und Ultramontane.
richteten, das mußte der einfältig ehrliche Polterer Jacob Venedey in Paris erfahren. Er ſchrieb als germaniſcher Tugendbold und Keuſchheitswächter einen flegelhaften Aufſatz „die ſpaniſche Tänzerin und die deutſche Frei- heit“. Da die deutſchen Zeitungen, der Cenſur halber, ſein Machwerk nicht aufnehmen konnten, ſo wendete er ſich an Marraſt, den Heraus- geber des National. Der aber meinte trocken: die Freundin der Liberalen können wir nicht bekämpfen. Nun ging Venedey zu den Fourieriſten Con- ſiderant und Cantagrel; ſie lachten ihn aus: die deutſchen Liberalen wären „abſurd“, wenn ſie ſich an „die alte Moral“ hielten und nach dem Lebens- wandel ihrer Beſchützerin fragten! Als der deutſche Demagog darauf mit dem ganzen Pathos des alten Burſchenſchafters ausrief: aus beſudelten Händen nehme ich die Freiheit nicht an — da erwiderte ihm Cantagrel, der die Dame noch von ihren Pariſer Zeiten her gründlich kannte, ſieg- reich: o nein, Lola’s Hände ſind ſehr rein und ſchön! Das Alles ließ Venedey drucken; er ahnte nicht, wie lächerlich er ſich machte. Und doch war es ein unheimliches Zeichen der Zeit, daß ein deutſcher König, der Schirmherr der Kirche, alſo von den Predigern der „neuen Moral“ des Communismus in Schutz genommen wurde.
Der Landtag, der im October 1847 für kurze Zeit zuſammentrat um über eine neue Eiſenbahn-Anleihe zu beſchließen, hielt ſich ruhig: denn über den Skandal, der alle Welt beſchäftigte, durfte man auf der Redner- bühne nichts ſagen. Auch waren die Liberalen aus den Provinzen, zumal die Pfälzer, herzlich froh der verhaßten clericalen Herrſchaft endlich ent- ledigt zu ſein, ſie freuten ſich des überall umhergetragenen königlichen Wortes: das Jeſuiten-Regiment hat aufgehört in Baiern. Der Haß gegen die geſtürzte Partei entlud ſich nur in einigen ſtürmiſchen Auftritten. Von den Reichsräthen verlangte Fürſt Wrede kurzweg die Ausſchließung des neuen Münchener Erzbiſchofs, der im Germanicum den Jeſuiteneid geleiſtet hätte; Graf Reiſach verſicherte darauf mit einer alle Sachkundigen erſchreckenden Unſchuld: daß er der Geſellſchaft Jeſu nicht angehöre. In der Adreſſe ſprach die zweite Kammer den neuen Räthen der Krone ihr Ver- trauen aus und zugleich die Hoffnung, daß „die großartige Schöpfung des Zollvereins zu einer noch vollſtändigeren Vereinigung aller deutſchen Volks- ſtämme führen möge“. Der alſo angeſchlagene liberale Ton klang mächtig wieder, als ein Antrag auf Preßfreiheit berathen und ſchließlich ſelbſt von den Reichsräthen beinah einſtimmig angenommen wurde. Der König willfahrte dem Wunſche, da die ſo oft beſprochene Reviſion des Bundes- preßgeſetzes doch noch in weitem Felde lag, und verfügte am 17. Dec. — dem Bundesrechte zuwider — daß fortan nur noch die Artikel über auswärtige Politik der Cenſur unterliegen ſollten.
Aber ehe das Land noch dieſes Geſchenkes froh werden konnte, brach das Miniſterium Maurer ſchon zuſammen. Es war Ludwig’s tragiſches Verhängniß, daß ihm ſeine thörichte Liebe jetzt auch ſeine wohldurchdachten
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Lolamontane und Ultramontane.
richteten, das mußte der einfältig ehrliche Polterer Jacob Venedey in Paris
erfahren. Er ſchrieb als germaniſcher Tugendbold und Keuſchheitswächter
einen flegelhaften Aufſatz „die ſpaniſche Tänzerin und die deutſche Frei-
heit“. Da die deutſchen Zeitungen, der Cenſur halber, ſein Machwerk
nicht aufnehmen konnten, ſo wendete er ſich an Marraſt, den Heraus-
geber des National. Der aber meinte trocken: die Freundin der Liberalen
können wir nicht bekämpfen. Nun ging Venedey zu den Fourieriſten Con-
ſiderant und Cantagrel; ſie lachten ihn aus: die deutſchen Liberalen wären
„abſurd“, wenn ſie ſich an „die alte Moral“ hielten und nach dem Lebens-
wandel ihrer Beſchützerin fragten! Als der deutſche Demagog darauf mit
dem ganzen Pathos des alten Burſchenſchafters ausrief: aus beſudelten
Händen nehme ich die Freiheit nicht an — da erwiderte ihm Cantagrel,
der die Dame noch von ihren Pariſer Zeiten her gründlich kannte, ſieg-
reich: o nein, Lola’s Hände ſind ſehr rein und ſchön! Das Alles ließ
Venedey drucken; er ahnte nicht, wie lächerlich er ſich machte. Und doch
war es ein unheimliches Zeichen der Zeit, daß ein deutſcher König, der
Schirmherr der Kirche, alſo von den Predigern der „neuen Moral“ des
Communismus in Schutz genommen wurde.
Der Landtag, der im October 1847 für kurze Zeit zuſammentrat um
über eine neue Eiſenbahn-Anleihe zu beſchließen, hielt ſich ruhig: denn
über den Skandal, der alle Welt beſchäftigte, durfte man auf der Redner-
bühne nichts ſagen. Auch waren die Liberalen aus den Provinzen, zumal
die Pfälzer, herzlich froh der verhaßten clericalen Herrſchaft endlich ent-
ledigt zu ſein, ſie freuten ſich des überall umhergetragenen königlichen
Wortes: das Jeſuiten-Regiment hat aufgehört in Baiern. Der Haß
gegen die geſtürzte Partei entlud ſich nur in einigen ſtürmiſchen Auftritten.
Von den Reichsräthen verlangte Fürſt Wrede kurzweg die Ausſchließung
des neuen Münchener Erzbiſchofs, der im Germanicum den Jeſuiteneid
geleiſtet hätte; Graf Reiſach verſicherte darauf mit einer alle Sachkundigen
erſchreckenden Unſchuld: daß er der Geſellſchaft Jeſu nicht angehöre. In der
Adreſſe ſprach die zweite Kammer den neuen Räthen der Krone ihr Ver-
trauen aus und zugleich die Hoffnung, daß „die großartige Schöpfung des
Zollvereins zu einer noch vollſtändigeren Vereinigung aller deutſchen Volks-
ſtämme führen möge“. Der alſo angeſchlagene liberale Ton klang mächtig
wieder, als ein Antrag auf Preßfreiheit berathen und ſchließlich ſelbſt von
den Reichsräthen beinah einſtimmig angenommen wurde. Der König
willfahrte dem Wunſche, da die ſo oft beſprochene Reviſion des Bundes-
preßgeſetzes doch noch in weitem Felde lag, und verfügte am 17. Dec.
— dem Bundesrechte zuwider — daß fortan nur noch die Artikel über
auswärtige Politik der Cenſur unterliegen ſollten.
Aber ehe das Land noch dieſes Geſchenkes froh werden konnte, brach
das Miniſterium Maurer ſchon zuſammen. Es war Ludwig’s tragiſches
Verhängniß, daß ihm ſeine thörichte Liebe jetzt auch ſeine wohldurchdachten
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/673>, abgerufen am 18.06.2024.
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