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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
(1846) auch in den Landtag wählen, und da er sogleich mit dem Unter-
suchungsrichter des Weidig'schen Processes, dem allgemein verachteten Georgi
in einen leidenschaftlichen persönlichen Zwist gerieth, so schaarte sich die
schwache Opposition alsbald um den schönen ritterlichen Mann als um
ihren natürlichen Führer. Er aber hatte nie verhehlt, daß er zuerst ein
Deutscher sei, dann erst ein Hesse. Gleich seinem Freunde, dem Niersteiner
Wernher sah er den Zusammenbruch des Bundestags voraus und suchte
sich mit den Gesinnungsgenossen der Nachbarlande über die Zukunft des
großen Vaterlandes zu verständigen. --



Derweil es also überall gährte und eigentlich Niemand mehr an die
Dauer der bestehenden Ordnung glaubte, sank der Bundestag tiefer und
tiefer; es schien als wollte er noch zuletzt beweisen, wie reif er zum Unter-
gange sei. Seit die Kriegsgefahr verschwunden war, zeigten alle Bundes-
staaten, mit der einzigen Ausnahme Preußens, wieder die alte frevelhafte
Gleichgiltigkeit gegen die Wehrbarkeit des Vaterlandes. Die zweite Bundes-
Inspection im Jahre 1846 bewies nur, daß die erste wenig geholfen
hatte; das luxemburgische Contingent war noch immer "sehr weit davon
entfernt formirt zu sein". Im Uebrigen gebar die neue Einrichtung nur
neue unwürdige Zänkerei. Jeder Souverän, auch wenn er gar keinen
General in seinem Vermögen hatte, verlangte nach dem Hochgenusse, an-
dere Staaten zu inspiciren; selbst die Senate von Hamburg und Lübeck
erklärten nachdrücklich: wir bilden mit Oldenburg eine Brigade und zahlen
Zuschuß für den Brigadegeneral, folglich müssen wir "als an der Activ-
Inspection betheiligt, sei es auch nur durch ein et caetera hinter Olden-
burg aufgeführt werden." Aber gegen dies et caetera verwahrte sich Olden-
burg mit dem ganzen Stolze des Hauses Gottorp.*)

Auf den Thoren und den Geschützen der neuen Bundesfestungen wollte
König Friedrich Wilhelm Bundesfahnen und Bundeswappen anbringen
lassen, und der Wiener Hof fand begreiflicherweise nichts dawider einzu-
wenden, wenn das althistorische gelbschwarze Reichsbanner auf den Wällen
von Ulm und Rastatt prangte. Ebenso begreiflich, daß König Ludwig von
Baiern davon nichts hören wollte. Er schlug die schwarzrothgoldenen Farben
der Burschenschaft vor, um also "der revolutionären Partei eine Waffe zu
entreißen";**) doch wußte er sicherlich im Voraus, daß nunmehr gar nichts
beschlossen wurde. Etwas günstiger verliefen die Berathungen über das
Bundeswappen. Einige der Kleinen wünschten alle Schilder der achtund-
dreißig Souveräne in einem schönen Kranze zu vereinigen mit der Um-

*) Dönhoff's Berichte, 25. Juni, 6. Juli 1846.
**) Dönhoff's Bericht, 24. Juni 1846.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
(1846) auch in den Landtag wählen, und da er ſogleich mit dem Unter-
ſuchungsrichter des Weidig’ſchen Proceſſes, dem allgemein verachteten Georgi
in einen leidenſchaftlichen perſönlichen Zwiſt gerieth, ſo ſchaarte ſich die
ſchwache Oppoſition alsbald um den ſchönen ritterlichen Mann als um
ihren natürlichen Führer. Er aber hatte nie verhehlt, daß er zuerſt ein
Deutſcher ſei, dann erſt ein Heſſe. Gleich ſeinem Freunde, dem Nierſteiner
Wernher ſah er den Zuſammenbruch des Bundestags voraus und ſuchte
ſich mit den Geſinnungsgenoſſen der Nachbarlande über die Zukunft des
großen Vaterlandes zu verſtändigen. —



Derweil es alſo überall gährte und eigentlich Niemand mehr an die
Dauer der beſtehenden Ordnung glaubte, ſank der Bundestag tiefer und
tiefer; es ſchien als wollte er noch zuletzt beweiſen, wie reif er zum Unter-
gange ſei. Seit die Kriegsgefahr verſchwunden war, zeigten alle Bundes-
ſtaaten, mit der einzigen Ausnahme Preußens, wieder die alte frevelhafte
Gleichgiltigkeit gegen die Wehrbarkeit des Vaterlandes. Die zweite Bundes-
Inſpection im Jahre 1846 bewies nur, daß die erſte wenig geholfen
hatte; das luxemburgiſche Contingent war noch immer „ſehr weit davon
entfernt formirt zu ſein“. Im Uebrigen gebar die neue Einrichtung nur
neue unwürdige Zänkerei. Jeder Souverän, auch wenn er gar keinen
General in ſeinem Vermögen hatte, verlangte nach dem Hochgenuſſe, an-
dere Staaten zu inſpiciren; ſelbſt die Senate von Hamburg und Lübeck
erklärten nachdrücklich: wir bilden mit Oldenburg eine Brigade und zahlen
Zuſchuß für den Brigadegeneral, folglich müſſen wir „als an der Activ-
Inſpection betheiligt, ſei es auch nur durch ein et caetera hinter Olden-
burg aufgeführt werden.“ Aber gegen dies et caetera verwahrte ſich Olden-
burg mit dem ganzen Stolze des Hauſes Gottorp.*)

Auf den Thoren und den Geſchützen der neuen Bundesfeſtungen wollte
König Friedrich Wilhelm Bundesfahnen und Bundeswappen anbringen
laſſen, und der Wiener Hof fand begreiflicherweiſe nichts dawider einzu-
wenden, wenn das althiſtoriſche gelbſchwarze Reichsbanner auf den Wällen
von Ulm und Raſtatt prangte. Ebenſo begreiflich, daß König Ludwig von
Baiern davon nichts hören wollte. Er ſchlug die ſchwarzrothgoldenen Farben
der Burſchenſchaft vor, um alſo „der revolutionären Partei eine Waffe zu
entreißen“;**) doch wußte er ſicherlich im Voraus, daß nunmehr gar nichts
beſchloſſen wurde. Etwas günſtiger verliefen die Berathungen über das
Bundeswappen. Einige der Kleinen wünſchten alle Schilder der achtund-
dreißig Souveräne in einem ſchönen Kranze zu vereinigen mit der Um-

*) Dönhoff’s Berichte, 25. Juni, 6. Juli 1846.
**) Dönhoff’s Bericht, 24. Juni 1846.
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[684/0698] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. (1846) auch in den Landtag wählen, und da er ſogleich mit dem Unter- ſuchungsrichter des Weidig’ſchen Proceſſes, dem allgemein verachteten Georgi in einen leidenſchaftlichen perſönlichen Zwiſt gerieth, ſo ſchaarte ſich die ſchwache Oppoſition alsbald um den ſchönen ritterlichen Mann als um ihren natürlichen Führer. Er aber hatte nie verhehlt, daß er zuerſt ein Deutſcher ſei, dann erſt ein Heſſe. Gleich ſeinem Freunde, dem Nierſteiner Wernher ſah er den Zuſammenbruch des Bundestags voraus und ſuchte ſich mit den Geſinnungsgenoſſen der Nachbarlande über die Zukunft des großen Vaterlandes zu verſtändigen. — Derweil es alſo überall gährte und eigentlich Niemand mehr an die Dauer der beſtehenden Ordnung glaubte, ſank der Bundestag tiefer und tiefer; es ſchien als wollte er noch zuletzt beweiſen, wie reif er zum Unter- gange ſei. Seit die Kriegsgefahr verſchwunden war, zeigten alle Bundes- ſtaaten, mit der einzigen Ausnahme Preußens, wieder die alte frevelhafte Gleichgiltigkeit gegen die Wehrbarkeit des Vaterlandes. Die zweite Bundes- Inſpection im Jahre 1846 bewies nur, daß die erſte wenig geholfen hatte; das luxemburgiſche Contingent war noch immer „ſehr weit davon entfernt formirt zu ſein“. Im Uebrigen gebar die neue Einrichtung nur neue unwürdige Zänkerei. Jeder Souverän, auch wenn er gar keinen General in ſeinem Vermögen hatte, verlangte nach dem Hochgenuſſe, an- dere Staaten zu inſpiciren; ſelbſt die Senate von Hamburg und Lübeck erklärten nachdrücklich: wir bilden mit Oldenburg eine Brigade und zahlen Zuſchuß für den Brigadegeneral, folglich müſſen wir „als an der Activ- Inſpection betheiligt, ſei es auch nur durch ein et caetera hinter Olden- burg aufgeführt werden.“ Aber gegen dies et caetera verwahrte ſich Olden- burg mit dem ganzen Stolze des Hauſes Gottorp. *) Auf den Thoren und den Geſchützen der neuen Bundesfeſtungen wollte König Friedrich Wilhelm Bundesfahnen und Bundeswappen anbringen laſſen, und der Wiener Hof fand begreiflicherweiſe nichts dawider einzu- wenden, wenn das althiſtoriſche gelbſchwarze Reichsbanner auf den Wällen von Ulm und Raſtatt prangte. Ebenſo begreiflich, daß König Ludwig von Baiern davon nichts hören wollte. Er ſchlug die ſchwarzrothgoldenen Farben der Burſchenſchaft vor, um alſo „der revolutionären Partei eine Waffe zu entreißen“; **) doch wußte er ſicherlich im Voraus, daß nunmehr gar nichts beſchloſſen wurde. Etwas günſtiger verliefen die Berathungen über das Bundeswappen. Einige der Kleinen wünſchten alle Schilder der achtund- dreißig Souveräne in einem ſchönen Kranze zu vereinigen mit der Um- *) Dönhoff’s Berichte, 25. Juni, 6. Juli 1846. **) Dönhoff’s Bericht, 24. Juni 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/698>, abgerufen am 22.11.2024.