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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Deutsche Zeitung.
führung überlassend, in der deutschen Politik stets vorangehen. Von den
Radicalen schon im Voraus als Professorenblatt verhöhnt, brachte die
Deutsche Zeitung eine überraschende Fülle von ernsten, wohldurchdachten
Leitartikeln; selbst ihre Correspondenzen glichen oft mehr doktrinären Ab-
handlungen als thatsächlichen Berichten, obgleich die Redaction klagte:
unsere Correspondenz ist noch nicht überall ganz im Systeme. Von un-
zähligen Staatsmännern, Abgeordneten, Gelehrten liefen treffliche Bei-
träge ein. Unter den ersten Mitarbeitern bewährte sich namentlich Mathy
als rühriges journalistisches Talent, neben ihm der Heidelberger Historiker
Ludwig Häusser, ein junger Elsasser, in dem sich alle schönen Charakter-
züge des süddeutschen Volksthums vereinigten: gesunder Menschenverstand,
fröhliche Thatkraft, warme Begeisterung und eine selbst die Gegner zu-
weilen gewinnende Liebenswürdigkeit. Nachher sind noch viele andere
tüchtige Publicisten durch die Deutsche Zeitung für das journalistische
Handwerk erzogen worden: Kruse, Aegidi, Heller, Marggraff.

Die Deutsche Zeitung wirkte -- so erfolgreich, wie späterhin nur
noch die Kreuzzeitung -- für die Durchbildung einer ganz bestimmten
Parteigesinnung, aber freilich nur in einem engen Kreise. Fast alle
die wackeren Gelehrten, welche nachher im Frankfurter Parlamente den
Ausschlag gaben, die Anhänger der constitutionellen Monarchie und der
preußischen Hegemonie, verdankten den Artikeln dieses Blattes einen Theil
ihrer politischen Bildung. Allein in die Masse der Lesewelt drang die
Deutsche Zeitung niemals ein. Sie schwebte von vorn herein in der
Luft, da sie weder einen landschaftlichen Boden unter den Füßen hatte
noch die Klasseninteressen eines mächtigen Standes vertrat; der Ton ihrer
Aufsätze war gewöhnlichen Lesern zu hoch, und den wirksamen Wucher
mit aufregenden Neuigkeiten verschmähte sie stolz. Das Schlimmste blieb
doch, daß sie in Preußen selbst so wenig Mitarbeiter und Leser fand; sogar
der alte Schön schrieb gar nichts, obgleich er seinen gefeierten Namen
unter die Ankündigung des Blattes gesetzt hatte. Zu dem Heidelberger
leitenden Ausschuß gehörte auch Geh. Rath Fallenstein, ein alter Lützower
Jäger, der nach einer entbehrungsreichen Jugend im preußischen Staats-
dienste emporgestiegen und kürzlich unmuthig ausgeschieden war weil er
sich mit Kühne's dictatorischem Wesen nicht vertragen konnte -- einer jener
seltenen Männer, welche mehr durch die Macht einer ursprünglichen Per-
sönlichkeit als durch ihre Thaten wirken, ein urkräftiger Teutone, fest,
freimüthig, bedürfnißlos wie alle die Recken der Blücher'schen Tage. Er
blieb seinem Gervinus in treuer Freundschaft zugethan, und doch ward
dem tapferen Preußen oft schwül zu Muthe, wenn die Deutsche Zeitung
das theoretisch geliebte Preußen Tag für Tag praktisch mißhandelte und
ihm immer von außen her, meist ohne jede Sachkenntniß, Lehren der
Weisheit und Tugend gab. Gervinus selbst entschuldigte sich einmal:
unser wärmerer Tadel gegen Preußen ist nur ein Zeichen unserer wärmeren

v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 44

Deutſche Zeitung.
führung überlaſſend, in der deutſchen Politik ſtets vorangehen. Von den
Radicalen ſchon im Voraus als Profeſſorenblatt verhöhnt, brachte die
Deutſche Zeitung eine überraſchende Fülle von ernſten, wohldurchdachten
Leitartikeln; ſelbſt ihre Correſpondenzen glichen oft mehr doktrinären Ab-
handlungen als thatſächlichen Berichten, obgleich die Redaction klagte:
unſere Correſpondenz iſt noch nicht überall ganz im Syſteme. Von un-
zähligen Staatsmännern, Abgeordneten, Gelehrten liefen treffliche Bei-
träge ein. Unter den erſten Mitarbeitern bewährte ſich namentlich Mathy
als rühriges journaliſtiſches Talent, neben ihm der Heidelberger Hiſtoriker
Ludwig Häuſſer, ein junger Elſaſſer, in dem ſich alle ſchönen Charakter-
züge des ſüddeutſchen Volksthums vereinigten: geſunder Menſchenverſtand,
fröhliche Thatkraft, warme Begeiſterung und eine ſelbſt die Gegner zu-
weilen gewinnende Liebenswürdigkeit. Nachher ſind noch viele andere
tüchtige Publiciſten durch die Deutſche Zeitung für das journaliſtiſche
Handwerk erzogen worden: Kruſe, Aegidi, Heller, Marggraff.

Die Deutſche Zeitung wirkte — ſo erfolgreich, wie ſpäterhin nur
noch die Kreuzzeitung — für die Durchbildung einer ganz beſtimmten
Parteigeſinnung, aber freilich nur in einem engen Kreiſe. Faſt alle
die wackeren Gelehrten, welche nachher im Frankfurter Parlamente den
Ausſchlag gaben, die Anhänger der conſtitutionellen Monarchie und der
preußiſchen Hegemonie, verdankten den Artikeln dieſes Blattes einen Theil
ihrer politiſchen Bildung. Allein in die Maſſe der Leſewelt drang die
Deutſche Zeitung niemals ein. Sie ſchwebte von vorn herein in der
Luft, da ſie weder einen landſchaftlichen Boden unter den Füßen hatte
noch die Klaſſenintereſſen eines mächtigen Standes vertrat; der Ton ihrer
Aufſätze war gewöhnlichen Leſern zu hoch, und den wirkſamen Wucher
mit aufregenden Neuigkeiten verſchmähte ſie ſtolz. Das Schlimmſte blieb
doch, daß ſie in Preußen ſelbſt ſo wenig Mitarbeiter und Leſer fand; ſogar
der alte Schön ſchrieb gar nichts, obgleich er ſeinen gefeierten Namen
unter die Ankündigung des Blattes geſetzt hatte. Zu dem Heidelberger
leitenden Ausſchuß gehörte auch Geh. Rath Fallenſtein, ein alter Lützower
Jäger, der nach einer entbehrungsreichen Jugend im preußiſchen Staats-
dienſte emporgeſtiegen und kürzlich unmuthig ausgeſchieden war weil er
ſich mit Kühne’s dictatoriſchem Weſen nicht vertragen konnte — einer jener
ſeltenen Männer, welche mehr durch die Macht einer urſprünglichen Per-
ſönlichkeit als durch ihre Thaten wirken, ein urkräftiger Teutone, feſt,
freimüthig, bedürfnißlos wie alle die Recken der Blücher’ſchen Tage. Er
blieb ſeinem Gervinus in treuer Freundſchaft zugethan, und doch ward
dem tapferen Preußen oft ſchwül zu Muthe, wenn die Deutſche Zeitung
das theoretiſch geliebte Preußen Tag für Tag praktiſch mißhandelte und
ihm immer von außen her, meiſt ohne jede Sachkenntniß, Lehren der
Weisheit und Tugend gab. Gervinus ſelbſt entſchuldigte ſich einmal:
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[689/0703] Deutſche Zeitung. führung überlaſſend, in der deutſchen Politik ſtets vorangehen. Von den Radicalen ſchon im Voraus als Profeſſorenblatt verhöhnt, brachte die Deutſche Zeitung eine überraſchende Fülle von ernſten, wohldurchdachten Leitartikeln; ſelbſt ihre Correſpondenzen glichen oft mehr doktrinären Ab- handlungen als thatſächlichen Berichten, obgleich die Redaction klagte: unſere Correſpondenz iſt noch nicht überall ganz im Syſteme. Von un- zähligen Staatsmännern, Abgeordneten, Gelehrten liefen treffliche Bei- träge ein. Unter den erſten Mitarbeitern bewährte ſich namentlich Mathy als rühriges journaliſtiſches Talent, neben ihm der Heidelberger Hiſtoriker Ludwig Häuſſer, ein junger Elſaſſer, in dem ſich alle ſchönen Charakter- züge des ſüddeutſchen Volksthums vereinigten: geſunder Menſchenverſtand, fröhliche Thatkraft, warme Begeiſterung und eine ſelbſt die Gegner zu- weilen gewinnende Liebenswürdigkeit. Nachher ſind noch viele andere tüchtige Publiciſten durch die Deutſche Zeitung für das journaliſtiſche Handwerk erzogen worden: Kruſe, Aegidi, Heller, Marggraff. Die Deutſche Zeitung wirkte — ſo erfolgreich, wie ſpäterhin nur noch die Kreuzzeitung — für die Durchbildung einer ganz beſtimmten Parteigeſinnung, aber freilich nur in einem engen Kreiſe. Faſt alle die wackeren Gelehrten, welche nachher im Frankfurter Parlamente den Ausſchlag gaben, die Anhänger der conſtitutionellen Monarchie und der preußiſchen Hegemonie, verdankten den Artikeln dieſes Blattes einen Theil ihrer politiſchen Bildung. Allein in die Maſſe der Leſewelt drang die Deutſche Zeitung niemals ein. Sie ſchwebte von vorn herein in der Luft, da ſie weder einen landſchaftlichen Boden unter den Füßen hatte noch die Klaſſenintereſſen eines mächtigen Standes vertrat; der Ton ihrer Aufſätze war gewöhnlichen Leſern zu hoch, und den wirkſamen Wucher mit aufregenden Neuigkeiten verſchmähte ſie ſtolz. Das Schlimmſte blieb doch, daß ſie in Preußen ſelbſt ſo wenig Mitarbeiter und Leſer fand; ſogar der alte Schön ſchrieb gar nichts, obgleich er ſeinen gefeierten Namen unter die Ankündigung des Blattes geſetzt hatte. Zu dem Heidelberger leitenden Ausſchuß gehörte auch Geh. Rath Fallenſtein, ein alter Lützower Jäger, der nach einer entbehrungsreichen Jugend im preußiſchen Staats- dienſte emporgeſtiegen und kürzlich unmuthig ausgeſchieden war weil er ſich mit Kühne’s dictatoriſchem Weſen nicht vertragen konnte — einer jener ſeltenen Männer, welche mehr durch die Macht einer urſprünglichen Per- ſönlichkeit als durch ihre Thaten wirken, ein urkräftiger Teutone, feſt, freimüthig, bedürfnißlos wie alle die Recken der Blücher’ſchen Tage. Er blieb ſeinem Gervinus in treuer Freundſchaft zugethan, und doch ward dem tapferen Preußen oft ſchwül zu Muthe, wenn die Deutſche Zeitung das theoretiſch geliebte Preußen Tag für Tag praktiſch mißhandelte und ihm immer von außen her, meiſt ohne jede Sachkenntniß, Lehren der Weisheit und Tugend gab. Gervinus ſelbſt entſchuldigte ſich einmal: unſer wärmerer Tadel gegen Preußen iſt nur ein Zeichen unſerer wärmeren v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 44

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/703>, abgerufen am 22.11.2024.