zu guter letzt vollends ganz unpopulär und verschrien machen?" Der Hesse aber dachte ahnungsvoll: Apres nous le deluge!*)
Ehrlicher gemeint waren einige Reformvorschläge des Fürsten Karl v. Leiningen. Ein Halbbruder der Königin Victoria hatte er einen Theil seiner Jugend in England verlebt, mannichfache Erfahrungen und Kennt- nisse gesammelt und den Segen einer starken nationalen Einheit aus der Nähe kennen gelernt; ohnehin betrachtete er, gleich der Mehrzahl der me- diatisirten Fürsten, die deutschen Dynastien mit skeptischen Blicken, denn warum sollten die Häuser Lippe oder Reuß unantastbarer sein als Lei- ningen oder Fürstenberg? Seit er den Vorsitz im bairischen Reichsrathe mit gutem Anstande führte glaubte er sich auch an die großen Aufgaben der nationalen Politik wagen zu können. Leider fehlten dem warm- herzigen Patrioten Ruhe, Stetigkeit, ausdauernder Fleiß; alle seine Arbeiten waren formlos, halb ausgereift, sie verriethen die lässige Hand des vor- nehmen Dilettanten. In einer schwungvollen Denkschrift mahnte er seine mediatisirten Standesgenossen, auf die verhaßten Abgaben und obrigkeit- lichen Rechte, die ihnen noch geblieben, rechtzeitig zu verzichten und sich dafür in den Landtagen eine politische Machtstellung zu sichern.**) In zwei anderen Aufsätzen betrachtete er sodann die deutsche Frage und er- klärte sich offen für Preußens Hegemonie; die Hofburg dachte er, so viel sich errathen ließ, mit einer Ehrenstellung abzufinden. Die einst so heiß erstrebte Souveränität der deutschen Dynastien -- so führte er aus -- sei einerseits durch den Zollverein, andererseits durch die Landstände und das Beamtenthum, kurz durch die wachsende Macht des Mittelstandes schon so gründlich beeinträchtigt, daß sie auch noch stärkere Einschränkungen wohl ertragen könne; darum müßten die Fürsten sich der beiden bewegenden Elemente der Zeit, der Ideen der constitutionellen Freiheit und der Na- tionalität bemächtigen, die Nation nach diesen Zielen hinführen, das Ueber- gewicht Preußens zugleich anerkennen und fest begrenzen. "Wie aber", fuhr er nachdenklich fort, "wenn sich Preußen auch in politischer Beziehung an die Spitze der Ideen und Bestrebungen jenes schon so mächtigen Mittelstandes stellt und die Erreichung jenes Zieles, nach dem die deutsche Nation so mühselig strebte, ihr plötzlich als ganz nahe zeigt?"***)
Die eine dieser Denkschriften, die auch am Bundestage und an den kleinen Höfen bald bekannt wurden, sendete der Fürst seinem Schwager, dem Prinzen Albert, und der Prinz-Gemahl entschloß sich alsbald mit der ganzen Dreistigkeit des künstlichen Engländers, den König Friedrich Wilhelm über deutsche Politik zu unterrichten. Wunderbar doch, in welchen holden Selbsttäuschungen diese glückhaften Coburger dahinlebten! Die lächerliche,
*) du Thil's Aufzeichnungen, Juni 1846.
**) Fürst von Leiningen, Denkschrift über die Mediatisirten, Frühjahr 1846.
***) Fürst v. Leiningen, zwei Denkschriften über Deutschlands Lage, o. D., etwa im Januar und im Juli 1846 geschrieben.
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Bundesreformpläne. Blittersdorff. Leiningen.
zu guter letzt vollends ganz unpopulär und verſchrien machen?“ Der Heſſe aber dachte ahnungsvoll: Après nous le déluge!*)
Ehrlicher gemeint waren einige Reformvorſchläge des Fürſten Karl v. Leiningen. Ein Halbbruder der Königin Victoria hatte er einen Theil ſeiner Jugend in England verlebt, mannichfache Erfahrungen und Kennt- niſſe geſammelt und den Segen einer ſtarken nationalen Einheit aus der Nähe kennen gelernt; ohnehin betrachtete er, gleich der Mehrzahl der me- diatiſirten Fürſten, die deutſchen Dynaſtien mit ſkeptiſchen Blicken, denn warum ſollten die Häuſer Lippe oder Reuß unantaſtbarer ſein als Lei- ningen oder Fürſtenberg? Seit er den Vorſitz im bairiſchen Reichsrathe mit gutem Anſtande führte glaubte er ſich auch an die großen Aufgaben der nationalen Politik wagen zu können. Leider fehlten dem warm- herzigen Patrioten Ruhe, Stetigkeit, ausdauernder Fleiß; alle ſeine Arbeiten waren formlos, halb ausgereift, ſie verriethen die läſſige Hand des vor- nehmen Dilettanten. In einer ſchwungvollen Denkſchrift mahnte er ſeine mediatiſirten Standesgenoſſen, auf die verhaßten Abgaben und obrigkeit- lichen Rechte, die ihnen noch geblieben, rechtzeitig zu verzichten und ſich dafür in den Landtagen eine politiſche Machtſtellung zu ſichern.**) In zwei anderen Aufſätzen betrachtete er ſodann die deutſche Frage und er- klärte ſich offen für Preußens Hegemonie; die Hofburg dachte er, ſo viel ſich errathen ließ, mit einer Ehrenſtellung abzufinden. Die einſt ſo heiß erſtrebte Souveränität der deutſchen Dynaſtien — ſo führte er aus — ſei einerſeits durch den Zollverein, andererſeits durch die Landſtände und das Beamtenthum, kurz durch die wachſende Macht des Mittelſtandes ſchon ſo gründlich beeinträchtigt, daß ſie auch noch ſtärkere Einſchränkungen wohl ertragen könne; darum müßten die Fürſten ſich der beiden bewegenden Elemente der Zeit, der Ideen der conſtitutionellen Freiheit und der Na- tionalität bemächtigen, die Nation nach dieſen Zielen hinführen, das Ueber- gewicht Preußens zugleich anerkennen und feſt begrenzen. „Wie aber“, fuhr er nachdenklich fort, „wenn ſich Preußen auch in politiſcher Beziehung an die Spitze der Ideen und Beſtrebungen jenes ſchon ſo mächtigen Mittelſtandes ſtellt und die Erreichung jenes Zieles, nach dem die deutſche Nation ſo mühſelig ſtrebte, ihr plötzlich als ganz nahe zeigt?“***)
Die eine dieſer Denkſchriften, die auch am Bundestage und an den kleinen Höfen bald bekannt wurden, ſendete der Fürſt ſeinem Schwager, dem Prinzen Albert, und der Prinz-Gemahl entſchloß ſich alsbald mit der ganzen Dreiſtigkeit des künſtlichen Engländers, den König Friedrich Wilhelm über deutſche Politik zu unterrichten. Wunderbar doch, in welchen holden Selbſttäuſchungen dieſe glückhaften Coburger dahinlebten! Die lächerliche,
*) du Thil’s Aufzeichnungen, Juni 1846.
**) Fürſt von Leiningen, Denkſchrift über die Mediatiſirten, Frühjahr 1846.
***) Fürſt v. Leiningen, zwei Denkſchriften über Deutſchlands Lage, o. D., etwa im Januar und im Juli 1846 geſchrieben.
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Bundesreformpläne. Blittersdorff. Leiningen.
zu guter letzt vollends ganz unpopulär und verſchrien machen?“ Der
Heſſe aber dachte ahnungsvoll: Après nous le déluge! *)
Ehrlicher gemeint waren einige Reformvorſchläge des Fürſten Karl
v. Leiningen. Ein Halbbruder der Königin Victoria hatte er einen Theil
ſeiner Jugend in England verlebt, mannichfache Erfahrungen und Kennt-
niſſe geſammelt und den Segen einer ſtarken nationalen Einheit aus der
Nähe kennen gelernt; ohnehin betrachtete er, gleich der Mehrzahl der me-
diatiſirten Fürſten, die deutſchen Dynaſtien mit ſkeptiſchen Blicken, denn
warum ſollten die Häuſer Lippe oder Reuß unantaſtbarer ſein als Lei-
ningen oder Fürſtenberg? Seit er den Vorſitz im bairiſchen Reichsrathe
mit gutem Anſtande führte glaubte er ſich auch an die großen Aufgaben
der nationalen Politik wagen zu können. Leider fehlten dem warm-
herzigen Patrioten Ruhe, Stetigkeit, ausdauernder Fleiß; alle ſeine Arbeiten
waren formlos, halb ausgereift, ſie verriethen die läſſige Hand des vor-
nehmen Dilettanten. In einer ſchwungvollen Denkſchrift mahnte er ſeine
mediatiſirten Standesgenoſſen, auf die verhaßten Abgaben und obrigkeit-
lichen Rechte, die ihnen noch geblieben, rechtzeitig zu verzichten und ſich
dafür in den Landtagen eine politiſche Machtſtellung zu ſichern. **) In
zwei anderen Aufſätzen betrachtete er ſodann die deutſche Frage und er-
klärte ſich offen für Preußens Hegemonie; die Hofburg dachte er, ſo viel
ſich errathen ließ, mit einer Ehrenſtellung abzufinden. Die einſt ſo heiß
erſtrebte Souveränität der deutſchen Dynaſtien — ſo führte er aus — ſei
einerſeits durch den Zollverein, andererſeits durch die Landſtände und das
Beamtenthum, kurz durch die wachſende Macht des Mittelſtandes ſchon
ſo gründlich beeinträchtigt, daß ſie auch noch ſtärkere Einſchränkungen wohl
ertragen könne; darum müßten die Fürſten ſich der beiden bewegenden
Elemente der Zeit, der Ideen der conſtitutionellen Freiheit und der Na-
tionalität bemächtigen, die Nation nach dieſen Zielen hinführen, das Ueber-
gewicht Preußens zugleich anerkennen und feſt begrenzen. „Wie aber“,
fuhr er nachdenklich fort, „wenn ſich Preußen auch in politiſcher Beziehung
an die Spitze der Ideen und Beſtrebungen jenes ſchon ſo mächtigen
Mittelſtandes ſtellt und die Erreichung jenes Zieles, nach dem die deutſche
Nation ſo mühſelig ſtrebte, ihr plötzlich als ganz nahe zeigt?“ ***)
Die eine dieſer Denkſchriften, die auch am Bundestage und an den
kleinen Höfen bald bekannt wurden, ſendete der Fürſt ſeinem Schwager, dem
Prinzen Albert, und der Prinz-Gemahl entſchloß ſich alsbald mit der
ganzen Dreiſtigkeit des künſtlichen Engländers, den König Friedrich Wilhelm
über deutſche Politik zu unterrichten. Wunderbar doch, in welchen holden
Selbſttäuſchungen dieſe glückhaften Coburger dahinlebten! Die lächerliche,
*) du Thil’s Aufzeichnungen, Juni 1846.
**) Fürſt von Leiningen, Denkſchrift über die Mediatiſirten, Frühjahr 1846.
***) Fürſt v. Leiningen, zwei Denkſchriften über Deutſchlands Lage, o. D., etwa im
Januar und im Juli 1846 geſchrieben.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/705>, abgerufen am 22.11.2024.
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