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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
bei der Verehrung dieser war das Volk doch durch falsche Wunder und
Gaukeleien verführt. Der Volksanbetung aber widersagt brüllend die
Geschichte der Menschheit seit 6000 Jahren!!!" Zum Zweiten erklärte
der König für unmöglich, daß Deutschlands Fürsten und Fürstchen je-
mals etwas von ihren Souveränitätsrechten aufgeben könnten: "Das
thun nun einmal die Herren nicht. Für den Bund sollten sie es aller-
dings, für Preußen sollen sie es so wenig und noch weniger als für
Oesterreich."*) Er glaubte also, seine Bundesreformpläne, die doch alle-
sammt eine starke Beschränkung der Territorialgewalten voraussetzten,
würden sich ganz von selbst verwirklichen, durch die freie Uebereinstimmung
aller 38 Souveräne.

In gleichem Sinne antwortete Canitz. Er spottete über "den Auf-
satz, welcher als das beste Mittel zur Kräftigung des Deutschen Bundes
die Amputation seines mächtigsten Gliedes anräth; diese Kur würde, wie
manche allopathische Mixtur, viel schlimmer sein als das zu heilende Uebel."
Dann gab er dem Vermittler Bunsen den deutlichen Wink: "daß unter
allen jetzt lebenden Regenten keiner weniger fremder Ideenlieferanten be-
darf, als der König unser allergnädigster Herr."**) Die Berechtigung
der durch den Vereinigten Landtag so mächtig angeregten Ideen der
Nationalität und der ständischen Verfassung stellte er nicht in Abrede;
doch leider seien sie durch Deutschlands innere Feinde zu einem Losungs-
worte der Umwälzung geworden; darum hoffe sein König, "daß die deut-
schen Fürsten im festen Zusammenhalten und Anschließen an die mächtige
Stütze des Bundes keine Gefahr, sondern vielmehr die Gewähr für ihre
eigenen Rechte erkennen mögen."***)

So unsicher stand der preußische Hof der anschwellenden nationalen
Bewegung gegenüber: voll guten Willens freilich, aber ohne Verständniß
für die Macht der liberalen Ideen, und -- was in der Politik aller Schande
Anfang ist -- ohne hohen Ehrgeiz. Mit der freien Zustimmung Oester-
reichs und aller Souveräne hoffte der König "die theure Institution des
Deutschen Bundes, die letzte Stütze der Zukunft" -- wie sein Radowitz
sich ausdrückte -- zur Erfüllung "ihrer welthistorischen Aufgabe" in den
Stand zu setzen.+) Unablässig brütete er über diesen Entwürfen; es lag
aber in der Natur der Dinge, daß sie noch viel langsamer reiften als
seine ständischen Pläne. Seit Langem schon verhandelte Canitz mit Metter-
nich über die Bundespolitik, bald brieflich, bald mündlich durch den Baron
v. Werner, den die k. k. Staatskanzlei jetzt "wie das liebe Brot brauchte.
Er gehört", so schrieb sein greiser Gönner, "zu den Treuen, aber zugleich

*) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 11. Nov. 1847.
**) Canitz an Bunsen, 9. Nov. 1847.
***) Canitz an Radowitz, 16. Aug. 1847.
+) Radowitz's Bericht, 5. Jan. 1847.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
bei der Verehrung dieſer war das Volk doch durch falſche Wunder und
Gaukeleien verführt. Der Volksanbetung aber widerſagt brüllend die
Geſchichte der Menſchheit ſeit 6000 Jahren!!!“ Zum Zweiten erklärte
der König für unmöglich, daß Deutſchlands Fürſten und Fürſtchen je-
mals etwas von ihren Souveränitätsrechten aufgeben könnten: „Das
thun nun einmal die Herren nicht. Für den Bund ſollten ſie es aller-
dings, für Preußen ſollen ſie es ſo wenig und noch weniger als für
Oeſterreich.“*) Er glaubte alſo, ſeine Bundesreformpläne, die doch alle-
ſammt eine ſtarke Beſchränkung der Territorialgewalten vorausſetzten,
würden ſich ganz von ſelbſt verwirklichen, durch die freie Uebereinſtimmung
aller 38 Souveräne.

In gleichem Sinne antwortete Canitz. Er ſpottete über „den Auf-
ſatz, welcher als das beſte Mittel zur Kräftigung des Deutſchen Bundes
die Amputation ſeines mächtigſten Gliedes anräth; dieſe Kur würde, wie
manche allopathiſche Mixtur, viel ſchlimmer ſein als das zu heilende Uebel.“
Dann gab er dem Vermittler Bunſen den deutlichen Wink: „daß unter
allen jetzt lebenden Regenten keiner weniger fremder Ideenlieferanten be-
darf, als der König unſer allergnädigſter Herr.“**) Die Berechtigung
der durch den Vereinigten Landtag ſo mächtig angeregten Ideen der
Nationalität und der ſtändiſchen Verfaſſung ſtellte er nicht in Abrede;
doch leider ſeien ſie durch Deutſchlands innere Feinde zu einem Loſungs-
worte der Umwälzung geworden; darum hoffe ſein König, „daß die deut-
ſchen Fürſten im feſten Zuſammenhalten und Anſchließen an die mächtige
Stütze des Bundes keine Gefahr, ſondern vielmehr die Gewähr für ihre
eigenen Rechte erkennen mögen.“***)

So unſicher ſtand der preußiſche Hof der anſchwellenden nationalen
Bewegung gegenüber: voll guten Willens freilich, aber ohne Verſtändniß
für die Macht der liberalen Ideen, und — was in der Politik aller Schande
Anfang iſt — ohne hohen Ehrgeiz. Mit der freien Zuſtimmung Oeſter-
reichs und aller Souveräne hoffte der König „die theure Inſtitution des
Deutſchen Bundes, die letzte Stütze der Zukunft“ — wie ſein Radowitz
ſich ausdrückte — zur Erfüllung „ihrer welthiſtoriſchen Aufgabe“ in den
Stand zu ſetzen.†) Unabläſſig brütete er über dieſen Entwürfen; es lag
aber in der Natur der Dinge, daß ſie noch viel langſamer reiften als
ſeine ſtändiſchen Pläne. Seit Langem ſchon verhandelte Canitz mit Metter-
nich über die Bundespolitik, bald brieflich, bald mündlich durch den Baron
v. Werner, den die k. k. Staatskanzlei jetzt „wie das liebe Brot brauchte.
Er gehört“, ſo ſchrieb ſein greiſer Gönner, „zu den Treuen, aber zugleich

*) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 11. Nov. 1847.
**) Canitz an Bunſen, 9. Nov. 1847.
***) Canitz an Radowitz, 16. Aug. 1847.
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[694/0708] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. bei der Verehrung dieſer war das Volk doch durch falſche Wunder und Gaukeleien verführt. Der Volksanbetung aber widerſagt brüllend die Geſchichte der Menſchheit ſeit 6000 Jahren!!!“ Zum Zweiten erklärte der König für unmöglich, daß Deutſchlands Fürſten und Fürſtchen je- mals etwas von ihren Souveränitätsrechten aufgeben könnten: „Das thun nun einmal die Herren nicht. Für den Bund ſollten ſie es aller- dings, für Preußen ſollen ſie es ſo wenig und noch weniger als für Oeſterreich.“ *) Er glaubte alſo, ſeine Bundesreformpläne, die doch alle- ſammt eine ſtarke Beſchränkung der Territorialgewalten vorausſetzten, würden ſich ganz von ſelbſt verwirklichen, durch die freie Uebereinſtimmung aller 38 Souveräne. In gleichem Sinne antwortete Canitz. Er ſpottete über „den Auf- ſatz, welcher als das beſte Mittel zur Kräftigung des Deutſchen Bundes die Amputation ſeines mächtigſten Gliedes anräth; dieſe Kur würde, wie manche allopathiſche Mixtur, viel ſchlimmer ſein als das zu heilende Uebel.“ Dann gab er dem Vermittler Bunſen den deutlichen Wink: „daß unter allen jetzt lebenden Regenten keiner weniger fremder Ideenlieferanten be- darf, als der König unſer allergnädigſter Herr.“ **) Die Berechtigung der durch den Vereinigten Landtag ſo mächtig angeregten Ideen der Nationalität und der ſtändiſchen Verfaſſung ſtellte er nicht in Abrede; doch leider ſeien ſie durch Deutſchlands innere Feinde zu einem Loſungs- worte der Umwälzung geworden; darum hoffe ſein König, „daß die deut- ſchen Fürſten im feſten Zuſammenhalten und Anſchließen an die mächtige Stütze des Bundes keine Gefahr, ſondern vielmehr die Gewähr für ihre eigenen Rechte erkennen mögen.“ ***) So unſicher ſtand der preußiſche Hof der anſchwellenden nationalen Bewegung gegenüber: voll guten Willens freilich, aber ohne Verſtändniß für die Macht der liberalen Ideen, und — was in der Politik aller Schande Anfang iſt — ohne hohen Ehrgeiz. Mit der freien Zuſtimmung Oeſter- reichs und aller Souveräne hoffte der König „die theure Inſtitution des Deutſchen Bundes, die letzte Stütze der Zukunft“ — wie ſein Radowitz ſich ausdrückte — zur Erfüllung „ihrer welthiſtoriſchen Aufgabe“ in den Stand zu ſetzen. †) Unabläſſig brütete er über dieſen Entwürfen; es lag aber in der Natur der Dinge, daß ſie noch viel langſamer reiften als ſeine ſtändiſchen Pläne. Seit Langem ſchon verhandelte Canitz mit Metter- nich über die Bundespolitik, bald brieflich, bald mündlich durch den Baron v. Werner, den die k. k. Staatskanzlei jetzt „wie das liebe Brot brauchte. Er gehört“, ſo ſchrieb ſein greiſer Gönner, „zu den Treuen, aber zugleich *) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 11. Nov. 1847. **) Canitz an Bunſen, 9. Nov. 1847. ***) Canitz an Radowitz, 16. Aug. 1847. †) Radowitz’s Bericht, 5. Jan. 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/708>, abgerufen am 22.11.2024.