Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. brachte, weil die particularistische Eifersucht sich noch nicht überzeugen ließ.Man blieb im Wesentlichen bei den Sonder-Postverträgen, welche zu Anfang der vierziger Jahre zwischen Preußen, Baiern, Sachsen, Baden, Taxis ab- geschlossen waren. Ungleich günstiger verlief die zur nämlichen Zeit, eben- falls auf Preußens Aufforderung, berufene Wechselrechts-Conferenz. Der Gedanke war schon vor einem Jahrzehnt von Württemberg auf den Zoll- conferenzen angeregt, damals aber noch als unmöglich abgewiesen worden. Jetzt konnte man die Bedürfnisse des so mächtig angewachsenen Handels- verkehrs doch nicht mehr ableugnen, und da diese Rechtseinheit das Heilig- thum der Souveränität durchaus nicht antastete, so wagte die preußische Regierung, nicht blos die Zollverbündeten, sondern alle Bundesstaaten zu den Verhandlungen einzuladen. Zum Versammlungsort konnte nur Leipzig gewählt werden; denn hier in dem großen Meßplatze ließen sich die Miß- stände der bestehenden Rechtszersplitterung an der Quelle kennen lernen; hier war auch neuerdings durch Einert, Treitschke und andere tüchtige Juristen eine neue Wechselrechtslehre ausgebildet worden, die sich vom römischen Rechte lossagte und den Anforderungen des modernen Handels gerecht zu werden suchte. Ein preußischer Entwurf, bei dem Savigny selbst mitgewirkt hatte, wurde den Berathungen zu Grunde gelegt. Geh. Rath Bischoff, ein Harzer, der den alten Juristenruhm der Heimathlande Eicke von Repgow's wieder einmal bewährte, vertheidigte den Entwurf mit siegreichem Scharfsinn und gewandter Liebenswürdigkeit; auch der sächsische Bevollmächtigte, der geistreiche alte Präsident Einert half treulich mit, obgleich die Conferenz sich die Grundgedanken seiner Theorie nicht aneignen wollte. Schon am 9. Dec., nach einer Berathung von fünfzig Tagen, wurde die Deutsche Wechselordnung vollendet, ein Werk aus einem Gusse, wie es unter parlamentarischer Mitwirkung sicherlich nie gelungen wäre, ein Gesetz, das kurz und scharf, so wie es einst Savigny in seiner Jugend- schrift verlangte, nur die leitenden Rechtsgrundsätze aufstellte ohne sich in weitläuftige Casuistik zu verlieren. Es war ein juristisches Meister- werk; wohl nur eine seiner Vorschriften, die ganz unbeschränkte allgemeine Wechselfähigkeit, ließ sich ernstlich anfechten. Eine boshafte Tücke des Schicksals fügte aber, daß dies einzige gute gesammtdeutsche Gesetz, das unter der Herrschaft des Bundestags je zu Stande kam, nicht durch ihn verkündet wurde. Die Unruhen der nächsten Monate verhinderten den Abschluß, und erst im Herbst 1848 wurde die Wechselordnung durch die neuen Reichsgewalten bekannt gemacht, so daß sie den Uneingeweihten als ein Geschenk der Revolution erscheinen mußte. Der Bundestag hatte wieder seinen Lohn dahin. Das Alles war in Friedrich Wilhelm's Augen nur Vorarbeit für V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. brachte, weil die particulariſtiſche Eiferſucht ſich noch nicht überzeugen ließ.Man blieb im Weſentlichen bei den Sonder-Poſtverträgen, welche zu Anfang der vierziger Jahre zwiſchen Preußen, Baiern, Sachſen, Baden, Taxis ab- geſchloſſen waren. Ungleich günſtiger verlief die zur nämlichen Zeit, eben- falls auf Preußens Aufforderung, berufene Wechſelrechts-Conferenz. Der Gedanke war ſchon vor einem Jahrzehnt von Württemberg auf den Zoll- conferenzen angeregt, damals aber noch als unmöglich abgewieſen worden. Jetzt konnte man die Bedürfniſſe des ſo mächtig angewachſenen Handels- verkehrs doch nicht mehr ableugnen, und da dieſe Rechtseinheit das Heilig- thum der Souveränität durchaus nicht antaſtete, ſo wagte die preußiſche Regierung, nicht blos die Zollverbündeten, ſondern alle Bundesſtaaten zu den Verhandlungen einzuladen. Zum Verſammlungsort konnte nur Leipzig gewählt werden; denn hier in dem großen Meßplatze ließen ſich die Miß- ſtände der beſtehenden Rechtszerſplitterung an der Quelle kennen lernen; hier war auch neuerdings durch Einert, Treitſchke und andere tüchtige Juriſten eine neue Wechſelrechtslehre ausgebildet worden, die ſich vom römiſchen Rechte losſagte und den Anforderungen des modernen Handels gerecht zu werden ſuchte. Ein preußiſcher Entwurf, bei dem Savigny ſelbſt mitgewirkt hatte, wurde den Berathungen zu Grunde gelegt. Geh. Rath Biſchoff, ein Harzer, der den alten Juriſtenruhm der Heimathlande Eicke von Repgow’s wieder einmal bewährte, vertheidigte den Entwurf mit ſiegreichem Scharfſinn und gewandter Liebenswürdigkeit; auch der ſächſiſche Bevollmächtigte, der geiſtreiche alte Präſident Einert half treulich mit, obgleich die Conferenz ſich die Grundgedanken ſeiner Theorie nicht aneignen wollte. Schon am 9. Dec., nach einer Berathung von fünfzig Tagen, wurde die Deutſche Wechſelordnung vollendet, ein Werk aus einem Guſſe, wie es unter parlamentariſcher Mitwirkung ſicherlich nie gelungen wäre, ein Geſetz, das kurz und ſcharf, ſo wie es einſt Savigny in ſeiner Jugend- ſchrift verlangte, nur die leitenden Rechtsgrundſätze aufſtellte ohne ſich in weitläuftige Caſuiſtik zu verlieren. Es war ein juriſtiſches Meiſter- werk; wohl nur eine ſeiner Vorſchriften, die ganz unbeſchränkte allgemeine Wechſelfähigkeit, ließ ſich ernſtlich anfechten. Eine boshafte Tücke des Schickſals fügte aber, daß dies einzige gute geſammtdeutſche Geſetz, das unter der Herrſchaft des Bundestags je zu Stande kam, nicht durch ihn verkündet wurde. Die Unruhen der nächſten Monate verhinderten den Abſchluß, und erſt im Herbſt 1848 wurde die Wechſelordnung durch die neuen Reichsgewalten bekannt gemacht, ſo daß ſie den Uneingeweihten als ein Geſchenk der Revolution erſcheinen mußte. 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V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
brachte, weil die particulariſtiſche Eiferſucht ſich noch nicht überzeugen ließ.
Man blieb im Weſentlichen bei den Sonder-Poſtverträgen, welche zu Anfang
der vierziger Jahre zwiſchen Preußen, Baiern, Sachſen, Baden, Taxis ab-
geſchloſſen waren. Ungleich günſtiger verlief die zur nämlichen Zeit, eben-
falls auf Preußens Aufforderung, berufene Wechſelrechts-Conferenz. Der
Gedanke war ſchon vor einem Jahrzehnt von Württemberg auf den Zoll-
conferenzen angeregt, damals aber noch als unmöglich abgewieſen worden.
Jetzt konnte man die Bedürfniſſe des ſo mächtig angewachſenen Handels-
verkehrs doch nicht mehr ableugnen, und da dieſe Rechtseinheit das Heilig-
thum der Souveränität durchaus nicht antaſtete, ſo wagte die preußiſche
Regierung, nicht blos die Zollverbündeten, ſondern alle Bundesſtaaten zu
den Verhandlungen einzuladen. Zum Verſammlungsort konnte nur Leipzig
gewählt werden; denn hier in dem großen Meßplatze ließen ſich die Miß-
ſtände der beſtehenden Rechtszerſplitterung an der Quelle kennen lernen;
hier war auch neuerdings durch Einert, Treitſchke und andere tüchtige
Juriſten eine neue Wechſelrechtslehre ausgebildet worden, die ſich vom
römiſchen Rechte losſagte und den Anforderungen des modernen Handels
gerecht zu werden ſuchte. Ein preußiſcher Entwurf, bei dem Savigny
ſelbſt mitgewirkt hatte, wurde den Berathungen zu Grunde gelegt. Geh.
Rath Biſchoff, ein Harzer, der den alten Juriſtenruhm der Heimathlande
Eicke von Repgow’s wieder einmal bewährte, vertheidigte den Entwurf mit
ſiegreichem Scharfſinn und gewandter Liebenswürdigkeit; auch der ſächſiſche
Bevollmächtigte, der geiſtreiche alte Präſident Einert half treulich mit,
obgleich die Conferenz ſich die Grundgedanken ſeiner Theorie nicht aneignen
wollte. Schon am 9. Dec., nach einer Berathung von fünfzig Tagen,
wurde die Deutſche Wechſelordnung vollendet, ein Werk aus einem Guſſe,
wie es unter parlamentariſcher Mitwirkung ſicherlich nie gelungen wäre,
ein Geſetz, das kurz und ſcharf, ſo wie es einſt Savigny in ſeiner Jugend-
ſchrift verlangte, nur die leitenden Rechtsgrundſätze aufſtellte ohne ſich
in weitläuftige Caſuiſtik zu verlieren. Es war ein juriſtiſches Meiſter-
werk; wohl nur eine ſeiner Vorſchriften, die ganz unbeſchränkte allgemeine
Wechſelfähigkeit, ließ ſich ernſtlich anfechten. Eine boshafte Tücke des
Schickſals fügte aber, daß dies einzige gute geſammtdeutſche Geſetz, das
unter der Herrſchaft des Bundestags je zu Stande kam, nicht durch ihn
verkündet wurde. Die Unruhen der nächſten Monate verhinderten den
Abſchluß, und erſt im Herbſt 1848 wurde die Wechſelordnung durch die
neuen Reichsgewalten bekannt gemacht, ſo daß ſie den Uneingeweihten als
ein Geſchenk der Revolution erſcheinen mußte. Der Bundestag hatte
wieder ſeinen Lohn dahin.
Das Alles war in Friedrich Wilhelm’s Augen nur Vorarbeit für
den umfaſſenden Bundesreformplan, den er zu Ende Novembers 1847
durch General Radowitz dem Wiener Hofe überreichen ließ. Radowitz
blieb in dieſen deutſchen Geſchäften ſein nächſter Rathgeber, da die Miniſter
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