Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 10. Vorboten der europäischen Revolution.
weniger wollte er sich an die Spitze eines italienischen Bundes stellen.
Solche nationale Ideen hatten wohl einst, als die römische Kirche noch
die allgemeine Kirche des Abendlandes war, einen Alexander III., einen
Julius II. begeistert; nunmehr aber seit der ganze Norden Europas längst
der Ketzerei verfallen war, mußte der Gedanke der kirchlichen Selbstbe-
hauptung allen nationalen Rücksichten vorgehen. Am allerwenigsten dachte
Pius den Aufklärern und Freigeistern in der Kirche entgegenzukommen.
Er lebte und webte in streng clericalen Anschauungen, wenngleich er die
Härte der Partei Lambruschini's tadelte, und zum ersten male ward er
mißtrauisch gegen die römische Volksgunst, als seine Verehrer den Ruf:
nieder mit den Jesuiten! anstimmten. Seitdem, seit dem Herbst 1847
klagte er oft, man mißbrauche seinen Namen, und mahnte eindringlich
zum Gehorsam gegen jede bestehende Obrigkeit.

In seiner Verlegenheit erbat sich Pius den vertraulichen Rath der großen
Mächte, und Metternich säumte nicht, schon im Juli 1846 vor allen "Con-
cessionen" zu warnen; zwischen den Zeilen seiner Denkschriften ließ sich
herauslesen, daß die Hofburg nicht einmal die Ausführung des Bunsen'schen
Memorandums ernstlich wünschte.*) Dem ungarischen Landtage begegnete
der Staatskanzler sehr nachgiebig, in Frankfurt suchte er Alles gemächlich
hinzuhalten; denn er rechnete, daß Oesterreichs Herrschaft in Ungarn durch
die geographische Lage, in Deutschland durch die Macht alter Erinnerungen
und die heillose Wirrniß des Parteilebens doch einigermaßen gesichert war.
In den Italienern hingegen sah er schlechtweg Feinde, und wie er 1820 und
1831 auf dieser verwundbarsten Stelle des österreichischen Machtgebietes
sofort mit den Waffen eingeschritten war, so hielt er sich auch jetzt bereit,
die drohende neue Erhebung Italiens alsbald niederzuschlagen. Haß gegen
Oesterreich -- das witterte er sogleich -- war das gemeinsame Feldgeschrei
aller Patrioten der Halbinsel, und da er wußte, daß sein Kaiserstaat einem
nationalen italienischen Fürstenbunde niemals beitreten konnte, so erklärte
er kurzab, die einzig mögliche Form der Einheit Italiens sei die eine und
untheilbare Republik. Immer wieder ließ er die Höfe warnen: kein
italienischer Fürst könne jemals hoffen die Krone der Halbinsel zu tragen;
die Bewegung müsse nothwendig im allgemeinen socialen Umsturz aus-
münden, da die begnadigten Flüchtlinge allesammt als vollendete Revo-
lutionäre heimkehrten; Gioberti, Balbo, Azeglio, Petitti und die anderen
sogenannten Gemäßigten unterschieden sich von Mazzini nur wie die Gift-
mischer von den Todtschlägern. Von der Klärung der Geister, die sich
in dem edlen Volke nach und nach vollzog, wollte er nichts bemerken. Wie
zum Spott wiederholte er jetzt (Aug. 1847) in einer allen Großmächten
mitgetheilten Depesche das frevelhafte Wort vom Wiener Congresse: Italien
ist nur ein geographischer Begriff.


*) Graf Arnim's Bericht, 14. Juli 1846.

V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
weniger wollte er ſich an die Spitze eines italieniſchen Bundes ſtellen.
Solche nationale Ideen hatten wohl einſt, als die römiſche Kirche noch
die allgemeine Kirche des Abendlandes war, einen Alexander III., einen
Julius II. begeiſtert; nunmehr aber ſeit der ganze Norden Europas längſt
der Ketzerei verfallen war, mußte der Gedanke der kirchlichen Selbſtbe-
hauptung allen nationalen Rückſichten vorgehen. Am allerwenigſten dachte
Pius den Aufklärern und Freigeiſtern in der Kirche entgegenzukommen.
Er lebte und webte in ſtreng clericalen Anſchauungen, wenngleich er die
Härte der Partei Lambruschini’s tadelte, und zum erſten male ward er
mißtrauiſch gegen die römiſche Volksgunſt, als ſeine Verehrer den Ruf:
nieder mit den Jeſuiten! anſtimmten. Seitdem, ſeit dem Herbſt 1847
klagte er oft, man mißbrauche ſeinen Namen, und mahnte eindringlich
zum Gehorſam gegen jede beſtehende Obrigkeit.

In ſeiner Verlegenheit erbat ſich Pius den vertraulichen Rath der großen
Mächte, und Metternich ſäumte nicht, ſchon im Juli 1846 vor allen „Con-
ceſſionen“ zu warnen; zwiſchen den Zeilen ſeiner Denkſchriften ließ ſich
herausleſen, daß die Hofburg nicht einmal die Ausführung des Bunſen’ſchen
Memorandums ernſtlich wünſchte.*) Dem ungariſchen Landtage begegnete
der Staatskanzler ſehr nachgiebig, in Frankfurt ſuchte er Alles gemächlich
hinzuhalten; denn er rechnete, daß Oeſterreichs Herrſchaft in Ungarn durch
die geographiſche Lage, in Deutſchland durch die Macht alter Erinnerungen
und die heilloſe Wirrniß des Parteilebens doch einigermaßen geſichert war.
In den Italienern hingegen ſah er ſchlechtweg Feinde, und wie er 1820 und
1831 auf dieſer verwundbarſten Stelle des öſterreichiſchen Machtgebietes
ſofort mit den Waffen eingeſchritten war, ſo hielt er ſich auch jetzt bereit,
die drohende neue Erhebung Italiens alsbald niederzuſchlagen. Haß gegen
Oeſterreich — das witterte er ſogleich — war das gemeinſame Feldgeſchrei
aller Patrioten der Halbinſel, und da er wußte, daß ſein Kaiſerſtaat einem
nationalen italieniſchen Fürſtenbunde niemals beitreten konnte, ſo erklärte
er kurzab, die einzig mögliche Form der Einheit Italiens ſei die eine und
untheilbare Republik. Immer wieder ließ er die Höfe warnen: kein
italieniſcher Fürſt könne jemals hoffen die Krone der Halbinſel zu tragen;
die Bewegung müſſe nothwendig im allgemeinen ſocialen Umſturz aus-
münden, da die begnadigten Flüchtlinge alleſammt als vollendete Revo-
lutionäre heimkehrten; Gioberti, Balbo, Azeglio, Petitti und die anderen
ſogenannten Gemäßigten unterſchieden ſich von Mazzini nur wie die Gift-
miſcher von den Todtſchlägern. Von der Klärung der Geiſter, die ſich
in dem edlen Volke nach und nach vollzog, wollte er nichts bemerken. Wie
zum Spott wiederholte er jetzt (Aug. 1847) in einer allen Großmächten
mitgetheilten Depeſche das frevelhafte Wort vom Wiener Congreſſe: Italien
iſt nur ein geographiſcher Begriff.


*) Graf Arnim’s Bericht, 14. Juli 1846.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0732" n="718"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 10. Vorboten der europäi&#x017F;chen Revolution.</fw><lb/>
weniger wollte er &#x017F;ich an die Spitze eines italieni&#x017F;chen Bundes &#x017F;tellen.<lb/>
Solche nationale Ideen hatten wohl ein&#x017F;t, als die römi&#x017F;che Kirche noch<lb/>
die allgemeine Kirche des Abendlandes war, einen Alexander <hi rendition="#aq">III.</hi>, einen<lb/>
Julius <hi rendition="#aq">II.</hi> begei&#x017F;tert; nunmehr aber &#x017F;eit der ganze Norden Europas läng&#x017F;t<lb/>
der Ketzerei verfallen war, mußte der Gedanke der kirchlichen Selb&#x017F;tbe-<lb/>
hauptung allen nationalen Rück&#x017F;ichten vorgehen. Am allerwenig&#x017F;ten dachte<lb/>
Pius den Aufklärern und Freigei&#x017F;tern in der Kirche entgegenzukommen.<lb/>
Er lebte und webte in &#x017F;treng clericalen An&#x017F;chauungen, wenngleich er die<lb/>
Härte der Partei Lambruschini&#x2019;s tadelte, und zum er&#x017F;ten male ward er<lb/>
mißtraui&#x017F;ch gegen die römi&#x017F;che Volksgun&#x017F;t, als &#x017F;eine Verehrer den Ruf:<lb/>
nieder mit den Je&#x017F;uiten! an&#x017F;timmten. Seitdem, &#x017F;eit dem Herb&#x017F;t 1847<lb/>
klagte er oft, man mißbrauche &#x017F;einen Namen, und mahnte eindringlich<lb/>
zum Gehor&#x017F;am gegen jede be&#x017F;tehende Obrigkeit.</p><lb/>
          <p>In &#x017F;einer Verlegenheit erbat &#x017F;ich Pius den vertraulichen Rath der großen<lb/>
Mächte, und Metternich &#x017F;äumte nicht, &#x017F;chon im Juli 1846 vor allen &#x201E;Con-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;ionen&#x201C; zu warnen; zwi&#x017F;chen den Zeilen &#x017F;einer Denk&#x017F;chriften ließ &#x017F;ich<lb/>
herausle&#x017F;en, daß die Hofburg nicht einmal die Ausführung des Bun&#x017F;en&#x2019;&#x017F;chen<lb/>
Memorandums ern&#x017F;tlich wün&#x017F;chte.<note place="foot" n="*)">Graf Arnim&#x2019;s Bericht, 14. Juli 1846.</note> Dem ungari&#x017F;chen Landtage begegnete<lb/>
der Staatskanzler &#x017F;ehr nachgiebig, in Frankfurt &#x017F;uchte er Alles gemächlich<lb/>
hinzuhalten; denn er rechnete, daß Oe&#x017F;terreichs Herr&#x017F;chaft in Ungarn durch<lb/>
die geographi&#x017F;che Lage, in Deut&#x017F;chland durch die Macht alter Erinnerungen<lb/>
und die heillo&#x017F;e Wirrniß des Parteilebens doch einigermaßen ge&#x017F;ichert war.<lb/>
In den Italienern hingegen &#x017F;ah er &#x017F;chlechtweg Feinde, und wie er 1820 und<lb/>
1831 auf die&#x017F;er verwundbar&#x017F;ten Stelle des ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Machtgebietes<lb/>
&#x017F;ofort mit den Waffen einge&#x017F;chritten war, &#x017F;o hielt er &#x017F;ich auch jetzt bereit,<lb/>
die drohende neue Erhebung Italiens alsbald niederzu&#x017F;chlagen. Haß gegen<lb/>
Oe&#x017F;terreich &#x2014; das witterte er &#x017F;ogleich &#x2014; war das gemein&#x017F;ame Feldge&#x017F;chrei<lb/>
aller Patrioten der Halbin&#x017F;el, und da er wußte, daß &#x017F;ein Kai&#x017F;er&#x017F;taat einem<lb/>
nationalen italieni&#x017F;chen Für&#x017F;tenbunde niemals beitreten konnte, &#x017F;o erklärte<lb/>
er kurzab, die einzig mögliche Form der Einheit Italiens &#x017F;ei die eine und<lb/>
untheilbare Republik. Immer wieder ließ er die Höfe warnen: kein<lb/>
italieni&#x017F;cher Für&#x017F;t könne jemals hoffen die Krone der Halbin&#x017F;el zu tragen;<lb/>
die Bewegung mü&#x017F;&#x017F;e nothwendig im allgemeinen &#x017F;ocialen Um&#x017F;turz aus-<lb/>
münden, da die begnadigten Flüchtlinge alle&#x017F;ammt als vollendete Revo-<lb/>
lutionäre heimkehrten; Gioberti, Balbo, Azeglio, Petitti und die anderen<lb/>
&#x017F;ogenannten Gemäßigten unter&#x017F;chieden &#x017F;ich von Mazzini nur wie die Gift-<lb/>
mi&#x017F;cher von den Todt&#x017F;chlägern. Von der Klärung der Gei&#x017F;ter, die &#x017F;ich<lb/>
in dem edlen Volke nach und nach vollzog, wollte er nichts bemerken. Wie<lb/>
zum Spott wiederholte er jetzt (Aug. 1847) in einer allen Großmächten<lb/>
mitgetheilten Depe&#x017F;che das frevelhafte Wort vom Wiener Congre&#x017F;&#x017F;e: Italien<lb/>
i&#x017F;t nur ein geographi&#x017F;cher Begriff.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[718/0732] V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution. weniger wollte er ſich an die Spitze eines italieniſchen Bundes ſtellen. Solche nationale Ideen hatten wohl einſt, als die römiſche Kirche noch die allgemeine Kirche des Abendlandes war, einen Alexander III., einen Julius II. begeiſtert; nunmehr aber ſeit der ganze Norden Europas längſt der Ketzerei verfallen war, mußte der Gedanke der kirchlichen Selbſtbe- hauptung allen nationalen Rückſichten vorgehen. Am allerwenigſten dachte Pius den Aufklärern und Freigeiſtern in der Kirche entgegenzukommen. Er lebte und webte in ſtreng clericalen Anſchauungen, wenngleich er die Härte der Partei Lambruschini’s tadelte, und zum erſten male ward er mißtrauiſch gegen die römiſche Volksgunſt, als ſeine Verehrer den Ruf: nieder mit den Jeſuiten! anſtimmten. Seitdem, ſeit dem Herbſt 1847 klagte er oft, man mißbrauche ſeinen Namen, und mahnte eindringlich zum Gehorſam gegen jede beſtehende Obrigkeit. In ſeiner Verlegenheit erbat ſich Pius den vertraulichen Rath der großen Mächte, und Metternich ſäumte nicht, ſchon im Juli 1846 vor allen „Con- ceſſionen“ zu warnen; zwiſchen den Zeilen ſeiner Denkſchriften ließ ſich herausleſen, daß die Hofburg nicht einmal die Ausführung des Bunſen’ſchen Memorandums ernſtlich wünſchte. *) Dem ungariſchen Landtage begegnete der Staatskanzler ſehr nachgiebig, in Frankfurt ſuchte er Alles gemächlich hinzuhalten; denn er rechnete, daß Oeſterreichs Herrſchaft in Ungarn durch die geographiſche Lage, in Deutſchland durch die Macht alter Erinnerungen und die heilloſe Wirrniß des Parteilebens doch einigermaßen geſichert war. In den Italienern hingegen ſah er ſchlechtweg Feinde, und wie er 1820 und 1831 auf dieſer verwundbarſten Stelle des öſterreichiſchen Machtgebietes ſofort mit den Waffen eingeſchritten war, ſo hielt er ſich auch jetzt bereit, die drohende neue Erhebung Italiens alsbald niederzuſchlagen. Haß gegen Oeſterreich — das witterte er ſogleich — war das gemeinſame Feldgeſchrei aller Patrioten der Halbinſel, und da er wußte, daß ſein Kaiſerſtaat einem nationalen italieniſchen Fürſtenbunde niemals beitreten konnte, ſo erklärte er kurzab, die einzig mögliche Form der Einheit Italiens ſei die eine und untheilbare Republik. Immer wieder ließ er die Höfe warnen: kein italieniſcher Fürſt könne jemals hoffen die Krone der Halbinſel zu tragen; die Bewegung müſſe nothwendig im allgemeinen ſocialen Umſturz aus- münden, da die begnadigten Flüchtlinge alleſammt als vollendete Revo- lutionäre heimkehrten; Gioberti, Balbo, Azeglio, Petitti und die anderen ſogenannten Gemäßigten unterſchieden ſich von Mazzini nur wie die Gift- miſcher von den Todtſchlägern. Von der Klärung der Geiſter, die ſich in dem edlen Volke nach und nach vollzog, wollte er nichts bemerken. Wie zum Spott wiederholte er jetzt (Aug. 1847) in einer allen Großmächten mitgetheilten Depeſche das frevelhafte Wort vom Wiener Congreſſe: Italien iſt nur ein geographiſcher Begriff. *) Graf Arnim’s Bericht, 14. Juli 1846.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/732
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/732>, abgerufen am 22.11.2024.