Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. für den freisinnigen neuen Papst, und in allen Parteien fanden sich dochviele geistreiche Männer, welche die Wahlverwandtschaft des deutschen und des italienischen Genius erkannten. Die Zeit lag ja noch nicht weit zurück, da alle hochgebildeten Deutschen zwei absolute ästhetische Ideale schlechthin verehrt hatten: Italien und Shakespeare. Niemand vielleicht empfand diese ästhetische Bewunderung für Italiens Land und Leute so lebhaft wie König Friedrich Wilhelm. Gleich den romantischen Malern der Corne- lianischen Schule dachte er sich unter den Römern ein "Königsvolk" von angeborenem Adel. Alles dort im schönen Süden erschien ihm edler, vor- nehmer, als die grobe nordische Welt, sogar der italienische Liberalismus, der doch, nach romanischer Weise, weit tiefer als die deutschen Liberalen in den Banden der gefürchteten "Ideen von 89" befangen war. Der König liebte "den herrlichen Pontifex" und pries Pius glücklich, weil er nicht wie Deutschlands Fürsten mit der Macht der Gemeinheit zu ringen habe. Seinem Bunsen schrieb er: "Was sich dort Liberalismus nennt, wie es nach Azeglio's Werkchen erscheint, das ist allerdings mein eigenes Glaubens- bekenntniß, und ich bin ein warmer Anhänger der italienischen Bewegung. Aber die Azeglio'schen Liberalen wären in Deutschland auf der äußersten Rechten der vernünftigen, vorwärts wollenden Conservativen." Darum ließ er durch seinen Gesandten Usedom, der gleich ihm selber für den Papst und die Italiener begeistert war, den römischen Stuhl zu bedacht- samen Reformen ermuntern; als die Hofburg gegen den liberalen Papst schärfer auftrat und sogar, kraft zweifelhafter Rechtstitel, die Grenzstadt Ferrara besetzen ließ, da bemühte sich Friedrich Wilhelm redlich in dem Streite zu vermitteln. Von der Gluth des nationalen Haffes, von der Nothwendigkeit des nahenden Unabhängigkeitskrieges ahnte er nichts, und daß Preußen je mit Piemont gemeinsam gegen Oesterreich vorgehen könnte, lag gänzlich außerhalb seines Gedankenkreises. Wie er den mit Oesterreich verketteten Deutschen Bund für eine hocherfreuliche Institution hielt, so wollte er auch durchaus nicht begreifen, warum die Italiener nicht eben- falls mit dem weisen Hause Oesterreich in Frieden leben sollten. Ueber die geheiligten Wiener Verträge durften seine geliebten Wälschen nimmer hinausgehen. Als die revolutionäre Leidenschaft nun doch unaufhaltsam anschwoll, da klagte er schmerzlich: "Schon regt sich der gemeine, der schmeißfliegliche Liberalismus, und wir erleben dort Trauriges, und bald!"*) Indessen blieb er in der Rolle des wehmüthigen Beobachters. Weit näher ward Frankreich durch die italienischen Unruhen bedrängt. *) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 11. Nov. 1847.
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution. für den freiſinnigen neuen Papſt, und in allen Parteien fanden ſich dochviele geiſtreiche Männer, welche die Wahlverwandtſchaft des deutſchen und des italieniſchen Genius erkannten. Die Zeit lag ja noch nicht weit zurück, da alle hochgebildeten Deutſchen zwei abſolute äſthetiſche Ideale ſchlechthin verehrt hatten: Italien und Shakeſpeare. Niemand vielleicht empfand dieſe äſthetiſche Bewunderung für Italiens Land und Leute ſo lebhaft wie König Friedrich Wilhelm. Gleich den romantiſchen Malern der Corne- lianiſchen Schule dachte er ſich unter den Römern ein „Königsvolk“ von angeborenem Adel. Alles dort im ſchönen Süden erſchien ihm edler, vor- nehmer, als die grobe nordiſche Welt, ſogar der italieniſche Liberalismus, der doch, nach romaniſcher Weiſe, weit tiefer als die deutſchen Liberalen in den Banden der gefürchteten „Ideen von 89“ befangen war. Der König liebte „den herrlichen Pontifex“ und pries Pius glücklich, weil er nicht wie Deutſchlands Fürſten mit der Macht der Gemeinheit zu ringen habe. Seinem Bunſen ſchrieb er: „Was ſich dort Liberalismus nennt, wie es nach Azeglio’s Werkchen erſcheint, das iſt allerdings mein eigenes Glaubens- bekenntniß, und ich bin ein warmer Anhänger der italieniſchen Bewegung. Aber die Azeglio’ſchen Liberalen wären in Deutſchland auf der äußerſten Rechten der vernünftigen, vorwärts wollenden Conſervativen.“ Darum ließ er durch ſeinen Geſandten Uſedom, der gleich ihm ſelber für den Papſt und die Italiener begeiſtert war, den römiſchen Stuhl zu bedacht- ſamen Reformen ermuntern; als die Hofburg gegen den liberalen Papſt ſchärfer auftrat und ſogar, kraft zweifelhafter Rechtstitel, die Grenzſtadt Ferrara beſetzen ließ, da bemühte ſich Friedrich Wilhelm redlich in dem Streite zu vermitteln. Von der Gluth des nationalen Haffes, von der Nothwendigkeit des nahenden Unabhängigkeitskrieges ahnte er nichts, und daß Preußen je mit Piemont gemeinſam gegen Oeſterreich vorgehen könnte, lag gänzlich außerhalb ſeines Gedankenkreiſes. Wie er den mit Oeſterreich verketteten Deutſchen Bund für eine hocherfreuliche Inſtitution hielt, ſo wollte er auch durchaus nicht begreifen, warum die Italiener nicht eben- falls mit dem weiſen Hauſe Oeſterreich in Frieden leben ſollten. Ueber die geheiligten Wiener Verträge durften ſeine geliebten Wälſchen nimmer hinausgehen. Als die revolutionäre Leidenſchaft nun doch unaufhaltſam anſchwoll, da klagte er ſchmerzlich: „Schon regt ſich der gemeine, der ſchmeißfliegliche Liberalismus, und wir erleben dort Trauriges, und bald!“*) Indeſſen blieb er in der Rolle des wehmüthigen Beobachters. Weit näher ward Frankreich durch die italieniſchen Unruhen bedrängt. *) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 11. Nov. 1847.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0734" n="720"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.</fw><lb/> für den freiſinnigen neuen Papſt, und in allen Parteien fanden ſich doch<lb/> viele geiſtreiche Männer, welche die Wahlverwandtſchaft des deutſchen und<lb/> des italieniſchen Genius erkannten. Die Zeit lag ja noch nicht weit zurück,<lb/> da alle hochgebildeten Deutſchen zwei abſolute äſthetiſche Ideale ſchlechthin<lb/> verehrt hatten: Italien und Shakeſpeare. Niemand vielleicht empfand<lb/> dieſe äſthetiſche Bewunderung für Italiens Land und Leute ſo lebhaft wie<lb/> König Friedrich Wilhelm. Gleich den romantiſchen Malern der Corne-<lb/> lianiſchen Schule dachte er ſich unter den Römern ein „Königsvolk“ von<lb/> angeborenem Adel. Alles dort im ſchönen Süden erſchien ihm edler, vor-<lb/> nehmer, als die grobe nordiſche Welt, ſogar der italieniſche Liberalismus,<lb/> der doch, nach romaniſcher Weiſe, weit tiefer als die deutſchen Liberalen<lb/> in den Banden der gefürchteten „Ideen von 89“ befangen war. Der König<lb/> liebte „den herrlichen Pontifex“ und pries Pius glücklich, weil er nicht wie<lb/> Deutſchlands Fürſten mit der Macht der Gemeinheit zu ringen habe.<lb/> Seinem Bunſen ſchrieb er: „Was ſich dort Liberalismus nennt, wie es<lb/> nach Azeglio’s Werkchen erſcheint, das iſt allerdings mein eigenes Glaubens-<lb/> bekenntniß, und ich bin ein warmer Anhänger der italieniſchen Bewegung.<lb/> Aber die Azeglio’ſchen Liberalen wären in Deutſchland auf der äußerſten<lb/> Rechten der vernünftigen, vorwärts wollenden Conſervativen.“ Darum<lb/> ließ er durch ſeinen Geſandten Uſedom, der gleich ihm ſelber für den<lb/> Papſt und die Italiener begeiſtert war, den römiſchen Stuhl zu bedacht-<lb/> ſamen Reformen ermuntern; als die Hofburg gegen den liberalen Papſt<lb/> ſchärfer auftrat und ſogar, kraft zweifelhafter Rechtstitel, die Grenzſtadt<lb/> Ferrara beſetzen ließ, da bemühte ſich Friedrich Wilhelm redlich in dem<lb/> Streite zu vermitteln. Von der Gluth des nationalen Haffes, von der<lb/> Nothwendigkeit des nahenden Unabhängigkeitskrieges ahnte er nichts, und<lb/> daß Preußen je mit Piemont gemeinſam gegen Oeſterreich vorgehen könnte,<lb/> lag gänzlich außerhalb ſeines Gedankenkreiſes. Wie er den mit Oeſterreich<lb/> verketteten Deutſchen Bund für eine hocherfreuliche Inſtitution hielt, ſo<lb/> wollte er auch durchaus nicht begreifen, warum die Italiener nicht eben-<lb/> falls mit dem weiſen Hauſe Oeſterreich in Frieden leben ſollten. Ueber<lb/> die geheiligten Wiener Verträge durften ſeine geliebten Wälſchen nimmer<lb/> hinausgehen. Als die revolutionäre Leidenſchaft nun doch unaufhaltſam<lb/> anſchwoll, da klagte er ſchmerzlich: „Schon regt ſich der gemeine, der<lb/> ſchmeißfliegliche Liberalismus, und wir erleben dort Trauriges, und bald!“<note place="foot" n="*)">König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 11. Nov. 1847.</note><lb/> Indeſſen blieb er in der Rolle des wehmüthigen Beobachters.</p><lb/> <p>Weit näher ward Frankreich durch die italieniſchen Unruhen bedrängt.<lb/> Seit die <hi rendition="#aq">Entente cordiale</hi> zerſprengt war und Palmerſton Rache ſchnob<lb/> wegen der ſpaniſchen Heirathen, bewarb ſich Ludwig Philipp noch zudring-<lb/> licher denn zuvor um Oeſterreichs Gunſt. Zweimal während dieſer letzten<lb/> bangen Monate ſendete er den von Braunſchweig her berüchtigten geheimen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [720/0734]
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
für den freiſinnigen neuen Papſt, und in allen Parteien fanden ſich doch
viele geiſtreiche Männer, welche die Wahlverwandtſchaft des deutſchen und
des italieniſchen Genius erkannten. Die Zeit lag ja noch nicht weit zurück,
da alle hochgebildeten Deutſchen zwei abſolute äſthetiſche Ideale ſchlechthin
verehrt hatten: Italien und Shakeſpeare. Niemand vielleicht empfand
dieſe äſthetiſche Bewunderung für Italiens Land und Leute ſo lebhaft wie
König Friedrich Wilhelm. Gleich den romantiſchen Malern der Corne-
lianiſchen Schule dachte er ſich unter den Römern ein „Königsvolk“ von
angeborenem Adel. Alles dort im ſchönen Süden erſchien ihm edler, vor-
nehmer, als die grobe nordiſche Welt, ſogar der italieniſche Liberalismus,
der doch, nach romaniſcher Weiſe, weit tiefer als die deutſchen Liberalen
in den Banden der gefürchteten „Ideen von 89“ befangen war. Der König
liebte „den herrlichen Pontifex“ und pries Pius glücklich, weil er nicht wie
Deutſchlands Fürſten mit der Macht der Gemeinheit zu ringen habe.
Seinem Bunſen ſchrieb er: „Was ſich dort Liberalismus nennt, wie es
nach Azeglio’s Werkchen erſcheint, das iſt allerdings mein eigenes Glaubens-
bekenntniß, und ich bin ein warmer Anhänger der italieniſchen Bewegung.
Aber die Azeglio’ſchen Liberalen wären in Deutſchland auf der äußerſten
Rechten der vernünftigen, vorwärts wollenden Conſervativen.“ Darum
ließ er durch ſeinen Geſandten Uſedom, der gleich ihm ſelber für den
Papſt und die Italiener begeiſtert war, den römiſchen Stuhl zu bedacht-
ſamen Reformen ermuntern; als die Hofburg gegen den liberalen Papſt
ſchärfer auftrat und ſogar, kraft zweifelhafter Rechtstitel, die Grenzſtadt
Ferrara beſetzen ließ, da bemühte ſich Friedrich Wilhelm redlich in dem
Streite zu vermitteln. Von der Gluth des nationalen Haffes, von der
Nothwendigkeit des nahenden Unabhängigkeitskrieges ahnte er nichts, und
daß Preußen je mit Piemont gemeinſam gegen Oeſterreich vorgehen könnte,
lag gänzlich außerhalb ſeines Gedankenkreiſes. Wie er den mit Oeſterreich
verketteten Deutſchen Bund für eine hocherfreuliche Inſtitution hielt, ſo
wollte er auch durchaus nicht begreifen, warum die Italiener nicht eben-
falls mit dem weiſen Hauſe Oeſterreich in Frieden leben ſollten. Ueber
die geheiligten Wiener Verträge durften ſeine geliebten Wälſchen nimmer
hinausgehen. Als die revolutionäre Leidenſchaft nun doch unaufhaltſam
anſchwoll, da klagte er ſchmerzlich: „Schon regt ſich der gemeine, der
ſchmeißfliegliche Liberalismus, und wir erleben dort Trauriges, und bald!“ *)
Indeſſen blieb er in der Rolle des wehmüthigen Beobachters.
Weit näher ward Frankreich durch die italieniſchen Unruhen bedrängt.
Seit die Entente cordiale zerſprengt war und Palmerſton Rache ſchnob
wegen der ſpaniſchen Heirathen, bewarb ſich Ludwig Philipp noch zudring-
licher denn zuvor um Oeſterreichs Gunſt. Zweimal während dieſer letzten
bangen Monate ſendete er den von Braunſchweig her berüchtigten geheimen
*) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 11. Nov. 1847.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |