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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Reformen in Piemont.
neben kaum in's Gewicht, folglich mußte der Cardinal-Staatssecretär, der
entschlossene, scharf verständige, clericale Antonelli für sich allein mehr
bedeuten als alle Laien-Minister insgesammt. Auch ein schwacher Anlauf
bündischer Potitik wurde gewagt. Im October 1847 vereinbarten sich die
Höfe von Rom, Turin und Florenz -- die drei Reformstaaten, wie man
sie hoffnungsselig nannte -- vorläufig über die Bildung eines Zollver-
eins, und Palmerston, der alte Feind des deutschen Zollvereins ließ diese
Verhandlungen durch Minto kräftig fördern -- immer unter der Vor-
aussetzung, daß die Verbündeten die allein wahren Grundsätze des Frei-
handels annähmen. Er sah in dem Plane zunächst nur einen Schachzug
gegen Frankreich und Oesterreich, er hoffte sodann, dem englischen Handel
ein neues Absatzgebiet zu gewinnen, da die Großindustrie Italiens noch
weit hinter der deutschen zurückstand. Der Zollverein konnte aber nur
dann in's Leben treten, wenn auch das mitteninne liegende Modena sich
anschloß. Metternich gab alsbald eine deutliche Antwort; er schloß im
December mit Modena, dann auch mit Parma einen Vertrag, kraft dessen
Oesterreich jederzeit bei drohender Gefahr die beiden Herzogthümer besetzen
durfte. Befriedigt schrieb er nach Berlin: "wir haben die Form eines
Vertheidigungsbündnisses gewählt um das von den Cabinetten so streng
verdammte Wort Intervention zu vermeiden." Zudem blieb der Groß-
herzog von Toscana trotz seiner liberalen Anwandlungen doch immer ein
unschädlicher Erzherzog, die Bourbonen von Neapel waren durch den ge-
heimen Vertrag von 1815 verpflichtet an dem absoluten Königthum nichts
zu ändern, und auch Karl Albert von Piemont hatte einst in den Tagen
der Bedrängniß gelobt, seinem Lande niemals eine Verfassung zu gewähren.

Wie leicht konnten diese künstlichen Stützen der Fremdherrschaft zu-
sammenbrechen. Die nationale und die liberale Idee begannen sich zu
verbünden, und wie stark dies junge Bündniß schon war, das erfuhr der
Staat, der Italiens Zukunft trug, der einzige, den die Hofburg fürchtete,
Piemont. Halb Mönch halb Soldat, nach seiner Herzensneigung hoch-
kirchlicher Legitimist und doch begeistert für Italiens Einheit, bedroht von
der Chocolade der Jesuiten und dem Dolche der Demagogen, schwankte
der König Zauderer Karl Albert lange, bis er sich entschloß, den Namen
des Königs von Italien, den ihm einst die österreichischen Offiziere höhnend
zugerufen hatten, zu Ehren zu bringen. In Vielem dem ungleich geist-
volleren Friedrich Wilhelm ähnlich, besaß er doch was dem Hohenzollern
fehlte, starken dynastischen Ehrgeiz, und Angesichts der drohenden Weiß-
röcke dicht an seiner Grenze, konnte er sich nicht wie Jener in holdem
Wahne über Oesterreichs Gesinnung täuschen. Im October 1847 entließ er
den hochconservativen Minister Solaro, gewährte den Communen die Wahl
ihrer Gemeinderäthe und der Presse, nach preußischem Muster, freiere Be-
wegung. Unermeßlicher Jubel begrüßte diese "albertinischen Reformen",
denn jede Reform in Piemont war ein Schlag gegen Oesterreich.


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Reformen in Piemont.
neben kaum in’s Gewicht, folglich mußte der Cardinal-Staatsſecretär, der
entſchloſſene, ſcharf verſtändige, clericale Antonelli für ſich allein mehr
bedeuten als alle Laien-Miniſter insgeſammt. Auch ein ſchwacher Anlauf
bündiſcher Potitik wurde gewagt. Im October 1847 vereinbarten ſich die
Höfe von Rom, Turin und Florenz — die drei Reformſtaaten, wie man
ſie hoffnungsſelig nannte — vorläufig über die Bildung eines Zollver-
eins, und Palmerſton, der alte Feind des deutſchen Zollvereins ließ dieſe
Verhandlungen durch Minto kräftig fördern — immer unter der Vor-
ausſetzung, daß die Verbündeten die allein wahren Grundſätze des Frei-
handels annähmen. Er ſah in dem Plane zunächſt nur einen Schachzug
gegen Frankreich und Oeſterreich, er hoffte ſodann, dem engliſchen Handel
ein neues Abſatzgebiet zu gewinnen, da die Großinduſtrie Italiens noch
weit hinter der deutſchen zurückſtand. Der Zollverein konnte aber nur
dann in’s Leben treten, wenn auch das mitteninne liegende Modena ſich
anſchloß. Metternich gab alsbald eine deutliche Antwort; er ſchloß im
December mit Modena, dann auch mit Parma einen Vertrag, kraft deſſen
Oeſterreich jederzeit bei drohender Gefahr die beiden Herzogthümer beſetzen
durfte. Befriedigt ſchrieb er nach Berlin: „wir haben die Form eines
Vertheidigungsbündniſſes gewählt um das von den Cabinetten ſo ſtreng
verdammte Wort Intervention zu vermeiden.“ Zudem blieb der Groß-
herzog von Toscana trotz ſeiner liberalen Anwandlungen doch immer ein
unſchädlicher Erzherzog, die Bourbonen von Neapel waren durch den ge-
heimen Vertrag von 1815 verpflichtet an dem abſoluten Königthum nichts
zu ändern, und auch Karl Albert von Piemont hatte einſt in den Tagen
der Bedrängniß gelobt, ſeinem Lande niemals eine Verfaſſung zu gewähren.

Wie leicht konnten dieſe künſtlichen Stützen der Fremdherrſchaft zu-
ſammenbrechen. Die nationale und die liberale Idee begannen ſich zu
verbünden, und wie ſtark dies junge Bündniß ſchon war, das erfuhr der
Staat, der Italiens Zukunft trug, der einzige, den die Hofburg fürchtete,
Piemont. Halb Mönch halb Soldat, nach ſeiner Herzensneigung hoch-
kirchlicher Legitimiſt und doch begeiſtert für Italiens Einheit, bedroht von
der Chocolade der Jeſuiten und dem Dolche der Demagogen, ſchwankte
der König Zauderer Karl Albert lange, bis er ſich entſchloß, den Namen
des Königs von Italien, den ihm einſt die öſterreichiſchen Offiziere höhnend
zugerufen hatten, zu Ehren zu bringen. In Vielem dem ungleich geiſt-
volleren Friedrich Wilhelm ähnlich, beſaß er doch was dem Hohenzollern
fehlte, ſtarken dynaſtiſchen Ehrgeiz, und Angeſichts der drohenden Weiß-
röcke dicht an ſeiner Grenze, konnte er ſich nicht wie Jener in holdem
Wahne über Oeſterreichs Geſinnung täuſchen. Im October 1847 entließ er
den hochconſervativen Miniſter Solaro, gewährte den Communen die Wahl
ihrer Gemeinderäthe und der Preſſe, nach preußiſchem Muſter, freiere Be-
wegung. Unermeßlicher Jubel begrüßte dieſe „albertiniſchen Reformen“,
denn jede Reform in Piemont war ein Schlag gegen Oeſterreich.


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[723/0737] Reformen in Piemont. neben kaum in’s Gewicht, folglich mußte der Cardinal-Staatsſecretär, der entſchloſſene, ſcharf verſtändige, clericale Antonelli für ſich allein mehr bedeuten als alle Laien-Miniſter insgeſammt. Auch ein ſchwacher Anlauf bündiſcher Potitik wurde gewagt. Im October 1847 vereinbarten ſich die Höfe von Rom, Turin und Florenz — die drei Reformſtaaten, wie man ſie hoffnungsſelig nannte — vorläufig über die Bildung eines Zollver- eins, und Palmerſton, der alte Feind des deutſchen Zollvereins ließ dieſe Verhandlungen durch Minto kräftig fördern — immer unter der Vor- ausſetzung, daß die Verbündeten die allein wahren Grundſätze des Frei- handels annähmen. Er ſah in dem Plane zunächſt nur einen Schachzug gegen Frankreich und Oeſterreich, er hoffte ſodann, dem engliſchen Handel ein neues Abſatzgebiet zu gewinnen, da die Großinduſtrie Italiens noch weit hinter der deutſchen zurückſtand. Der Zollverein konnte aber nur dann in’s Leben treten, wenn auch das mitteninne liegende Modena ſich anſchloß. Metternich gab alsbald eine deutliche Antwort; er ſchloß im December mit Modena, dann auch mit Parma einen Vertrag, kraft deſſen Oeſterreich jederzeit bei drohender Gefahr die beiden Herzogthümer beſetzen durfte. Befriedigt ſchrieb er nach Berlin: „wir haben die Form eines Vertheidigungsbündniſſes gewählt um das von den Cabinetten ſo ſtreng verdammte Wort Intervention zu vermeiden.“ Zudem blieb der Groß- herzog von Toscana trotz ſeiner liberalen Anwandlungen doch immer ein unſchädlicher Erzherzog, die Bourbonen von Neapel waren durch den ge- heimen Vertrag von 1815 verpflichtet an dem abſoluten Königthum nichts zu ändern, und auch Karl Albert von Piemont hatte einſt in den Tagen der Bedrängniß gelobt, ſeinem Lande niemals eine Verfaſſung zu gewähren. Wie leicht konnten dieſe künſtlichen Stützen der Fremdherrſchaft zu- ſammenbrechen. Die nationale und die liberale Idee begannen ſich zu verbünden, und wie ſtark dies junge Bündniß ſchon war, das erfuhr der Staat, der Italiens Zukunft trug, der einzige, den die Hofburg fürchtete, Piemont. Halb Mönch halb Soldat, nach ſeiner Herzensneigung hoch- kirchlicher Legitimiſt und doch begeiſtert für Italiens Einheit, bedroht von der Chocolade der Jeſuiten und dem Dolche der Demagogen, ſchwankte der König Zauderer Karl Albert lange, bis er ſich entſchloß, den Namen des Königs von Italien, den ihm einſt die öſterreichiſchen Offiziere höhnend zugerufen hatten, zu Ehren zu bringen. In Vielem dem ungleich geiſt- volleren Friedrich Wilhelm ähnlich, beſaß er doch was dem Hohenzollern fehlte, ſtarken dynaſtiſchen Ehrgeiz, und Angeſichts der drohenden Weiß- röcke dicht an ſeiner Grenze, konnte er ſich nicht wie Jener in holdem Wahne über Oeſterreichs Geſinnung täuſchen. Im October 1847 entließ er den hochconſervativen Miniſter Solaro, gewährte den Communen die Wahl ihrer Gemeinderäthe und der Preſſe, nach preußiſchem Muſter, freiere Be- wegung. Unermeßlicher Jubel begrüßte dieſe „albertiniſchen Reformen“, denn jede Reform in Piemont war ein Schlag gegen Oeſterreich. 46*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/737>, abgerufen am 22.11.2024.