Feldmarschall Radetzky erhielt Befehl sich jederzeit zum Einmarsch in den Canton Tessin bereit zu halten, und als die Bevollmächtigten der Cantone im April 1847 in Wien zu einer Postconferenz zusammenkamen, da scheute Metternich sich nicht, die Sonderbundscantone in feierlicher Ansprache zur Ausdauer aufzufordern.
Also verletzten die Mächte, noch bevor der Bürgerkrieg begonnen hatte, gröblich die der Eidgenossenschaft zugesicherte Neutralität; sie er- klärten sich von Haus aus für die eine der streitenden Parteien, deren Recht doch mindestens zweifelhaft blieb; sie merkten nicht, daß sie gerade durch ihre ungerechte Feindseligkeit den Haß der gesammten liberalen Welt Europas herausforderten und dem nationalen Verfassungskampfe ein weltbürgerlich-radicales Gepräge gaben, das ihm eigentlich fremd war. Der alte Metternich gebärdete sich zuweilen wie ein Unsinniger; er meinte, als der Krieg herankam: die Geschichte kenne kein Beispiel einer so voll- kommenen Negation der Grundlagen der socialen Ordnung! -- und doch, was verlor Europa, wenn der Stier von Uri gezwungen wurde, seine scharfen Hörner vor dem historisch ebenso ehrwürdigen Kreuzbanner der Eidgenossen etwas einzuziehen? Zum Glück war Alles, was Metternich jetzt noch unternahm, greisenhaft, halb, schwächlich; über geheime Auf- reizungen und klägliche Almosen ging er nicht mehr hinaus. So viele Jahre daher hatten die Mächte in unzähligen Noten den Eidgenossen Ein- tracht, Ruhe, Mäßigung gepredigt. Da kündigten im October 1847 die Gesandten des Sonderbundes der Tagsatzung den Frieden auf; der Bürgerkrieg war erklärt.
Sofort entwarf Guizot eine Vermittlungsnote im Namen der fünf Mächte, deren Gesandte mehrentheils den Vorort Bern schon verlassen hatten, weil sie mit Ochsenbein's radicaler Plumpheit nicht in Berührung kommen wollten. Guizot selbst dachte über die Schweizer Wirren ganz wie Metternich, desgleichen der streng clericale Gesandte Graf Bois le Comte. König Ludwig Philipp aber, der in Frankreichs auswärtiger Po- litik doch stets den Ausschlag gab, zeigte sich bedenklicher, er hoffte das freundliche Einvernehmen mit England womöglich wiederherzustellen und wünschte jedenfalls eine bewaffnete Einmischung in der Schweiz zu ver- meiden. Guizot's Note verlangte, daß die Ausweisung der Jesuiten der Entscheidung des Papstes unterbreitet werden sollte, der, den Vätern der Gesellschaft Jesu wenig günstig, doch nur ungern in diese heiklen Händel sich einließ; sie forderte ferner sofortige Entwaffnung beider Theile und Anerkennung der Souveränität der Sonderbundscantone. Sie sollte mit- hin den Ausbruch des Bürgerkriegs verhindern und konnte nur dann etwas wirken, wenn sie der Tagsatzung noch vor Beginn der Feindselig- keiten eingehändigt wurde.
Welch eine köstliche Gelegenheit für Palmerston, endlich Rache zu nehmen für die spanischen Heirathen! Er brauchte nur die diplomatische
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
Feldmarſchall Radetzky erhielt Befehl ſich jederzeit zum Einmarſch in den Canton Teſſin bereit zu halten, und als die Bevollmächtigten der Cantone im April 1847 in Wien zu einer Poſtconferenz zuſammenkamen, da ſcheute Metternich ſich nicht, die Sonderbundscantone in feierlicher Anſprache zur Ausdauer aufzufordern.
Alſo verletzten die Mächte, noch bevor der Bürgerkrieg begonnen hatte, gröblich die der Eidgenoſſenſchaft zugeſicherte Neutralität; ſie er- klärten ſich von Haus aus für die eine der ſtreitenden Parteien, deren Recht doch mindeſtens zweifelhaft blieb; ſie merkten nicht, daß ſie gerade durch ihre ungerechte Feindſeligkeit den Haß der geſammten liberalen Welt Europas herausforderten und dem nationalen Verfaſſungskampfe ein weltbürgerlich-radicales Gepräge gaben, das ihm eigentlich fremd war. Der alte Metternich gebärdete ſich zuweilen wie ein Unſinniger; er meinte, als der Krieg herankam: die Geſchichte kenne kein Beiſpiel einer ſo voll- kommenen Negation der Grundlagen der ſocialen Ordnung! — und doch, was verlor Europa, wenn der Stier von Uri gezwungen wurde, ſeine ſcharfen Hörner vor dem hiſtoriſch ebenſo ehrwürdigen Kreuzbanner der Eidgenoſſen etwas einzuziehen? Zum Glück war Alles, was Metternich jetzt noch unternahm, greiſenhaft, halb, ſchwächlich; über geheime Auf- reizungen und klägliche Almoſen ging er nicht mehr hinaus. So viele Jahre daher hatten die Mächte in unzähligen Noten den Eidgenoſſen Ein- tracht, Ruhe, Mäßigung gepredigt. Da kündigten im October 1847 die Geſandten des Sonderbundes der Tagſatzung den Frieden auf; der Bürgerkrieg war erklärt.
Sofort entwarf Guizot eine Vermittlungsnote im Namen der fünf Mächte, deren Geſandte mehrentheils den Vorort Bern ſchon verlaſſen hatten, weil ſie mit Ochſenbein’s radicaler Plumpheit nicht in Berührung kommen wollten. Guizot ſelbſt dachte über die Schweizer Wirren ganz wie Metternich, desgleichen der ſtreng clericale Geſandte Graf Bois le Comte. König Ludwig Philipp aber, der in Frankreichs auswärtiger Po- litik doch ſtets den Ausſchlag gab, zeigte ſich bedenklicher, er hoffte das freundliche Einvernehmen mit England womöglich wiederherzuſtellen und wünſchte jedenfalls eine bewaffnete Einmiſchung in der Schweiz zu ver- meiden. Guizot’s Note verlangte, daß die Ausweiſung der Jeſuiten der Entſcheidung des Papſtes unterbreitet werden ſollte, der, den Vätern der Geſellſchaft Jeſu wenig günſtig, doch nur ungern in dieſe heiklen Händel ſich einließ; ſie forderte ferner ſofortige Entwaffnung beider Theile und Anerkennung der Souveränität der Sonderbundscantone. Sie ſollte mit- hin den Ausbruch des Bürgerkriegs verhindern und konnte nur dann etwas wirken, wenn ſie der Tagſatzung noch vor Beginn der Feindſelig- keiten eingehändigt wurde.
Welch eine köſtliche Gelegenheit für Palmerſton, endlich Rache zu nehmen für die ſpaniſchen Heirathen! Er brauchte nur die diplomatiſche
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V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
Feldmarſchall Radetzky erhielt Befehl ſich jederzeit zum Einmarſch in den
Canton Teſſin bereit zu halten, und als die Bevollmächtigten der Cantone
im April 1847 in Wien zu einer Poſtconferenz zuſammenkamen, da ſcheute
Metternich ſich nicht, die Sonderbundscantone in feierlicher Anſprache
zur Ausdauer aufzufordern.
Alſo verletzten die Mächte, noch bevor der Bürgerkrieg begonnen
hatte, gröblich die der Eidgenoſſenſchaft zugeſicherte Neutralität; ſie er-
klärten ſich von Haus aus für die eine der ſtreitenden Parteien, deren
Recht doch mindeſtens zweifelhaft blieb; ſie merkten nicht, daß ſie gerade
durch ihre ungerechte Feindſeligkeit den Haß der geſammten liberalen Welt
Europas herausforderten und dem nationalen Verfaſſungskampfe ein
weltbürgerlich-radicales Gepräge gaben, das ihm eigentlich fremd war.
Der alte Metternich gebärdete ſich zuweilen wie ein Unſinniger; er meinte,
als der Krieg herankam: die Geſchichte kenne kein Beiſpiel einer ſo voll-
kommenen Negation der Grundlagen der ſocialen Ordnung! — und doch,
was verlor Europa, wenn der Stier von Uri gezwungen wurde, ſeine
ſcharfen Hörner vor dem hiſtoriſch ebenſo ehrwürdigen Kreuzbanner der
Eidgenoſſen etwas einzuziehen? Zum Glück war Alles, was Metternich
jetzt noch unternahm, greiſenhaft, halb, ſchwächlich; über geheime Auf-
reizungen und klägliche Almoſen ging er nicht mehr hinaus. So viele
Jahre daher hatten die Mächte in unzähligen Noten den Eidgenoſſen Ein-
tracht, Ruhe, Mäßigung gepredigt. Da kündigten im October 1847 die
Geſandten des Sonderbundes der Tagſatzung den Frieden auf; der
Bürgerkrieg war erklärt.
Sofort entwarf Guizot eine Vermittlungsnote im Namen der fünf
Mächte, deren Geſandte mehrentheils den Vorort Bern ſchon verlaſſen
hatten, weil ſie mit Ochſenbein’s radicaler Plumpheit nicht in Berührung
kommen wollten. Guizot ſelbſt dachte über die Schweizer Wirren ganz
wie Metternich, desgleichen der ſtreng clericale Geſandte Graf Bois le
Comte. König Ludwig Philipp aber, der in Frankreichs auswärtiger Po-
litik doch ſtets den Ausſchlag gab, zeigte ſich bedenklicher, er hoffte das
freundliche Einvernehmen mit England womöglich wiederherzuſtellen und
wünſchte jedenfalls eine bewaffnete Einmiſchung in der Schweiz zu ver-
meiden. Guizot’s Note verlangte, daß die Ausweiſung der Jeſuiten der
Entſcheidung des Papſtes unterbreitet werden ſollte, der, den Vätern der
Geſellſchaft Jeſu wenig günſtig, doch nur ungern in dieſe heiklen Händel
ſich einließ; ſie forderte ferner ſofortige Entwaffnung beider Theile und
Anerkennung der Souveränität der Sonderbundscantone. Sie ſollte mit-
hin den Ausbruch des Bürgerkriegs verhindern und konnte nur dann
etwas wirken, wenn ſie der Tagſatzung noch vor Beginn der Feindſelig-
keiten eingehändigt wurde.
Welch eine köſtliche Gelegenheit für Palmerſton, endlich Rache zu
nehmen für die ſpaniſchen Heirathen! Er brauchte nur die diplomatiſche
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/744>, abgerufen am 22.11.2024.
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