weinerliche Erzählung von Heine's "Exil" ist nichts weiter als eine häßliche Lüge, deren jeder gewissenhafte Historiker sich schämen sollte.
Jene Anfrage des Grafen Bresson konnte natürlich nur den einen Grund haben, daß Heine sich vorher in Paris um die Naturalisation beworben hatte. Ist diese Na- turalisation dann wirklich erfolgt? Allem Anschein nach, ja! Das einzige rechtliche Hinderniß, das ihr entgegenstehen konnte, war durch die bündige Erklärung des preußi- schen Auswärtigen Amtes beseitigt, und die französische Regierung behandelte Heine fortan amtlich als Franzosen. Als im Januar 1846 Guizot die Mitarbeiter der unter- drückten radicalen Zeitschrift Vorwärts, sämmtlich Ausländer, auszuweisen beschloß, da wurde nur der Franzose Heine ausgenommen. A. Ruge, der damals beständig mit ihm verkehrte, schrieb in einem Briefe v. 26. Jan. 1845: "Heine ist naturalisirt, also nicht auszuweisen," und das Nämliche sagt er in seinen "Studien und Erinnerungen aus den Jahren 1843--45" (Sämmtliche Werke V, 401). Ist es wahrscheinlich, daß Heine's nächste Freunde über eine solche Frage, die im Augenblicke geradezu eine Lebens- frage war, nicht Bescheid gewußt hätten? Ist es glaubhaft, daß die französische Re- gierung, die vor Kurzem wegen Heine's Naturalisation einen diplomatischen Schrift- wechsel geführt hatte, sich über die Staatsangehörigkeit dieses Mannes, dessen Name in den Listen ihrer geheimen Pensionäre stand, gröblich geirrt haben sollte? Diesen hand- greiflichen Anzeichen steht schlechterdings nichts entgegen als die Behauptung Heine's selbst, der i. J. 1854 öffentlich erklärte: er hätte zwar alle Vorbereitungen zur Natu- ralisation getroffen, aber, gehindert durch "den närrischen Hochmuth des deutschen Dich- ters", sie niemals ausgeführt. Wie viel das Wort Heine's gelten soll? -- darüber mag Jeder nach seiner Empfindung entscheiden. Meinerseits glaube ich: die Versicherung Heine's, daß er niemals Franzose geworden sei, hat für die historische Wissenschaft genau denselben Werth, wie seine ebenso inbrünstige Betheuerung, daß er "wegen seiner Liebe zu Deutschland dreißig Jahre im Exile verlebt" hätte.
XXXII. List an König Friedrich Wilhelm.
Zu Bd. V. S. 482.
Euerer Kön. Majestät Gesandter am hiesigen Hofe, Chevalier Bunsen, versichert mich, Allerhöchstdieselben wür- den es nicht ungnädig aufnehmen, wenn ich Ihnen schriftlich die Gefühle jener tiefen Verehrung aussprechen würde, von welchen ich gegen Allerhöchstdieselben längst durch- drungen bin.
Schon im Sommer 1835 stand mir das Glück bevor Ew. K. Majestät nahe zu kommen. Damals in Berlin anwesend in der Absicht, eine große Compagnie zur Unter- nehmung sämmtlicher preußischer Eisenbahnen zu stiften, war ich mit dem damaligen Major Willisen, Ew. K. Maj. Adjutant, bekannt, und durch ihn ward Einleitung ge- troffen, daß mir die Gnade einer Audienz bei Allerhöchstdemselben zu Theil werden sollte. Leider aber wurden Allerhöchstdieselben am Abend vor dem hierzu anberaumten Tage durch Dienstverhältnisse nach Pommern gerufen, und damit habe ich einen Un- stern erfahren, der mir von den vielen, die mich in meinem bewegten Leben betroffen haben, nachher oft als der unglücklichste erschienen ist, weil ich dadurch wahrscheinlich des Privilegiums beraubt worden bin, mein seitheriges Thun und Lassen bei Ew. Königl. Majestät unmittelbar zu rechtfertigen.
Es ist falsch, wenn man mich für einen Gegner Preußens hält. Giebt es in Deutschland Patrioten, und ich glaube ihre Zahl ist nicht gering, die von der Ueber- zeugung durchdrungen sind, Preußen habe die hohe Bestimmung, durch Reaction gegen
XXXII. Liſt an König Friedrich Wilhelm.
weinerliche Erzählung von Heine’s „Exil“ iſt nichts weiter als eine häßliche Lüge, deren jeder gewiſſenhafte Hiſtoriker ſich ſchämen ſollte.
Jene Anfrage des Grafen Breſſon konnte natürlich nur den einen Grund haben, daß Heine ſich vorher in Paris um die Naturaliſation beworben hatte. Iſt dieſe Na- turaliſation dann wirklich erfolgt? Allem Anſchein nach, ja! Das einzige rechtliche Hinderniß, das ihr entgegenſtehen konnte, war durch die bündige Erklärung des preußi- ſchen Auswärtigen Amtes beſeitigt, und die franzöſiſche Regierung behandelte Heine fortan amtlich als Franzoſen. Als im Januar 1846 Guizot die Mitarbeiter der unter- drückten radicalen Zeitſchrift Vorwärts, ſämmtlich Ausländer, auszuweiſen beſchloß, da wurde nur der Franzoſe Heine ausgenommen. A. Ruge, der damals beſtändig mit ihm verkehrte, ſchrieb in einem Briefe v. 26. Jan. 1845: „Heine iſt naturaliſirt, alſo nicht auszuweiſen,“ und das Nämliche ſagt er in ſeinen „Studien und Erinnerungen aus den Jahren 1843—45“ (Sämmtliche Werke V, 401). Iſt es wahrſcheinlich, daß Heine’s nächſte Freunde über eine ſolche Frage, die im Augenblicke geradezu eine Lebens- frage war, nicht Beſcheid gewußt hätten? Iſt es glaubhaft, daß die franzöſiſche Re- gierung, die vor Kurzem wegen Heine’s Naturaliſation einen diplomatiſchen Schrift- wechſel geführt hatte, ſich über die Staatsangehörigkeit dieſes Mannes, deſſen Name in den Liſten ihrer geheimen Penſionäre ſtand, gröblich geirrt haben ſollte? Dieſen hand- greiflichen Anzeichen ſteht ſchlechterdings nichts entgegen als die Behauptung Heine’s ſelbſt, der i. J. 1854 öffentlich erklärte: er hätte zwar alle Vorbereitungen zur Natu- raliſation getroffen, aber, gehindert durch „den närriſchen Hochmuth des deutſchen Dich- ters“, ſie niemals ausgeführt. Wie viel das Wort Heine’s gelten ſoll? — darüber mag Jeder nach ſeiner Empfindung entſcheiden. Meinerſeits glaube ich: die Verſicherung Heine’s, daß er niemals Franzoſe geworden ſei, hat für die hiſtoriſche Wiſſenſchaft genau denſelben Werth, wie ſeine ebenſo inbrünſtige Betheuerung, daß er „wegen ſeiner Liebe zu Deutſchland dreißig Jahre im Exile verlebt“ hätte.
XXXII. Liſt an König Friedrich Wilhelm.
Zu Bd. V. S. 482.
Euerer Kön. Majeſtät Geſandter am hieſigen Hofe, Chevalier Bunſen, verſichert mich, Allerhöchſtdieſelben wür- den es nicht ungnädig aufnehmen, wenn ich Ihnen ſchriftlich die Gefühle jener tiefen Verehrung ausſprechen würde, von welchen ich gegen Allerhöchſtdieſelben längſt durch- drungen bin.
Schon im Sommer 1835 ſtand mir das Glück bevor Ew. K. Majeſtät nahe zu kommen. Damals in Berlin anweſend in der Abſicht, eine große Compagnie zur Unter- nehmung ſämmtlicher preußiſcher Eiſenbahnen zu ſtiften, war ich mit dem damaligen Major Williſen, Ew. K. Maj. Adjutant, bekannt, und durch ihn ward Einleitung ge- troffen, daß mir die Gnade einer Audienz bei Allerhöchſtdemſelben zu Theil werden ſollte. Leider aber wurden Allerhöchſtdieſelben am Abend vor dem hierzu anberaumten Tage durch Dienſtverhältniſſe nach Pommern gerufen, und damit habe ich einen Un- ſtern erfahren, der mir von den vielen, die mich in meinem bewegten Leben betroffen haben, nachher oft als der unglücklichſte erſchienen iſt, weil ich dadurch wahrſcheinlich des Privilegiums beraubt worden bin, mein ſeitheriges Thun und Laſſen bei Ew. Königl. Majeſtät unmittelbar zu rechtfertigen.
Es iſt falſch, wenn man mich für einen Gegner Preußens hält. Giebt es in Deutſchland Patrioten, und ich glaube ihre Zahl iſt nicht gering, die von der Ueber- zeugung durchdrungen ſind, Preußen habe die hohe Beſtimmung, durch Reaction gegen
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XXXII. Liſt an König Friedrich Wilhelm.
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Jene Anfrage des Grafen Breſſon konnte natürlich nur den einen Grund haben,
daß Heine ſich vorher in Paris um die Naturaliſation beworben hatte. Iſt dieſe Na-
turaliſation dann wirklich erfolgt? Allem Anſchein nach, ja! Das einzige rechtliche
Hinderniß, das ihr entgegenſtehen konnte, war durch die bündige Erklärung des preußi-
ſchen Auswärtigen Amtes beſeitigt, und die franzöſiſche Regierung behandelte Heine
fortan amtlich als Franzoſen. Als im Januar 1846 Guizot die Mitarbeiter der unter-
drückten radicalen Zeitſchrift Vorwärts, ſämmtlich Ausländer, auszuweiſen beſchloß, da
wurde nur der Franzoſe Heine ausgenommen. A. Ruge, der damals beſtändig mit
ihm verkehrte, ſchrieb in einem Briefe v. 26. Jan. 1845: „Heine iſt naturaliſirt, alſo
nicht auszuweiſen,“ und das Nämliche ſagt er in ſeinen „Studien und Erinnerungen
aus den Jahren 1843—45“ (Sämmtliche Werke V, 401). Iſt es wahrſcheinlich, daß
Heine’s nächſte Freunde über eine ſolche Frage, die im Augenblicke geradezu eine Lebens-
frage war, nicht Beſcheid gewußt hätten? Iſt es glaubhaft, daß die franzöſiſche Re-
gierung, die vor Kurzem wegen Heine’s Naturaliſation einen diplomatiſchen Schrift-
wechſel geführt hatte, ſich über die Staatsangehörigkeit dieſes Mannes, deſſen Name in
den Liſten ihrer geheimen Penſionäre ſtand, gröblich geirrt haben ſollte? Dieſen hand-
greiflichen Anzeichen ſteht ſchlechterdings nichts entgegen als die Behauptung Heine’s
ſelbſt, der i. J. 1854 öffentlich erklärte: er hätte zwar alle Vorbereitungen zur Natu-
raliſation getroffen, aber, gehindert durch „den närriſchen Hochmuth des deutſchen Dich-
ters“, ſie niemals ausgeführt. Wie viel das Wort Heine’s gelten ſoll? — darüber mag
Jeder nach ſeiner Empfindung entſcheiden. Meinerſeits glaube ich: die Verſicherung
Heine’s, daß er niemals Franzoſe geworden ſei, hat für die hiſtoriſche Wiſſenſchaft genau
denſelben Werth, wie ſeine ebenſo inbrünſtige Betheuerung, daß er „wegen ſeiner Liebe
zu Deutſchland dreißig Jahre im Exile verlebt“ hätte.
XXXII. Liſt an König Friedrich Wilhelm.
Zu Bd. V. S. 482.
Euerer Kön. Majeſtät
Geſandter am hieſigen Hofe, Chevalier Bunſen, verſichert mich, Allerhöchſtdieſelben wür-
den es nicht ungnädig aufnehmen, wenn ich Ihnen ſchriftlich die Gefühle jener tiefen
Verehrung ausſprechen würde, von welchen ich gegen Allerhöchſtdieſelben längſt durch-
drungen bin.
Schon im Sommer 1835 ſtand mir das Glück bevor Ew. K. Majeſtät nahe zu
kommen. Damals in Berlin anweſend in der Abſicht, eine große Compagnie zur Unter-
nehmung ſämmtlicher preußiſcher Eiſenbahnen zu ſtiften, war ich mit dem damaligen
Major Williſen, Ew. K. Maj. Adjutant, bekannt, und durch ihn ward Einleitung ge-
troffen, daß mir die Gnade einer Audienz bei Allerhöchſtdemſelben zu Theil werden
ſollte. Leider aber wurden Allerhöchſtdieſelben am Abend vor dem hierzu anberaumten
Tage durch Dienſtverhältniſſe nach Pommern gerufen, und damit habe ich einen Un-
ſtern erfahren, der mir von den vielen, die mich in meinem bewegten Leben betroffen
haben, nachher oft als der unglücklichſte erſchienen iſt, weil ich dadurch wahrſcheinlich
des Privilegiums beraubt worden bin, mein ſeitheriges Thun und Laſſen bei Ew. Königl.
Majeſtät unmittelbar zu rechtfertigen.
Es iſt falſch, wenn man mich für einen Gegner Preußens hält. Giebt es in
Deutſchland Patrioten, und ich glaube ihre Zahl iſt nicht gering, die von der Ueber-
zeugung durchdrungen ſind, Preußen habe die hohe Beſtimmung, durch Reaction gegen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 766. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/780>, abgerufen am 27.11.2024.
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