XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne.
Zum Vierten wird das dem Landtage wie den Ausschüssen gewährte unbeschränkte Petitionsrecht angefochten. Petitionen über Finanzfragen erregen nur Unzufriedenheit; "Niemand räumt ein, daß er zu viel des Geldes besitzt; Jeder räumt ein, daß er dessen zu wenig habe." Auch höhere Politik, die innere wie die auswärtige, eignet sich nicht für ständische Petitionen. Sie wird ohnehin erschwert durch Preußens Doppelstellung als europäische und als deutsche Macht. Schon mehren sich in der Presse die Ausfälle gegen die anderen deutschen Staaten. Wie bald kann auch "das enge Band zwischen Preußen, Rußland und Oesterreich, welches durch seine Macht bisher den Frieden auf- recht hielt", durch Angriffe der Stände gefährdet werden!
Am allerwenigsten darf sich das Petitionsrecht der Stände auf das Heerwesen er- strecken. In allen Ländern strebt die Bewegungspartei nach Abschaffung der stehenden Heere; sie sucht ihr Ziel auf Umwegen zu erreichen, verlangt Schwächung der Armeen, Kommunalgarden statt der Truppen. Für Preußen sind diese Bestrebungen besonders gefährlich wegen unserer Landwehr. "Daher ist die Neigung unverkennbar, die Land- wehr auf Kosten der Linie zu erheben und ihre Trennung von der Linie immer greller zu machen, und zu beweisen, daß die strenge militärische Form und Disziplin ihr nicht nöthig sei und sie vielmehr die Stelle einer Nationalgarde einzunehmen habe." Die Bewegungspartei wird also versuchen, die Dienstzeit der Linie zu verkürzen und leicht eine Mehrheit finden, da alle Welt Ersparnisse verlangt; selbst die Konservativen werden den versteckten Plan nicht erkennen. Dieser Plan geht dahin, daß der Soldat die strenge Subordination sich nicht mehr fest einprägen, die Uebungen der Landwehr möglichst selten stattfinden sollen. Dazu die Feindseligkeit gegen die Offiziere, die Auf- lockerung der Standesehre, namentlich bei den Offizieren der Landwehr. "Wenn Dis- cussionen und Petitionen gedachter Natur dem Vereinigten Landtage preisgegeben werden und die Presse noch mehr als bisher schon geschehen entfesselt wird, ist das Bestehen der preußischen Landwehr, wie sie zur wahren Ehre, zur Wohlfahrt und zum Ruhme des Vaterlandes vor 32 Jahren geschaffen wurde, eine völlige Unmöglichkeit!!" Kann aber Preußen nicht mehr seine Armee im Kriege verdoppeln oder verdreifachen, "so tritt Preußen auch von der Stufe, auf welche seine Armee es gestellt hat, herab." -- So lebendig stand dem Prinzen schon vor Augen, was er nach fünfzehn Jahren selbst erleben und durch- kämpfen sollte.
Auch das Petitionsrecht über ständische Verhältnisse wollte er den Landständen ver- sagen: zu nahe liege die Gefahr, daß sie dies Recht mißbrauchten, um beständig über- zugreifen und, von der Presse unterstützt, die Erweiterung ihrer Befugnisse zu verlangen. Werde die Regierung dann widerstehen können? "Somit steht das ganze Gebäude der ständischen Verfassung in Frage -- eine Lage, die gewiß Niemand wollen kann, und der zu entgehen man heute noch vollkommen die Macht hat." Im Wesentlichen wollte die Denkschrift also die Thätigkeit der Stände auf die Berathung der vorzulegenden Gesetz- entwürfe beschränken.
Nach alledem erklärt sich der Prinz "zu seiner tiefsten Betrübniß" außer Stande, das Patent über die Berufung des Vereinigten Landtages zu unterzeichnen. Er sei nicht gegen die Fortentwickelung der ständischen Gesetzgebung, denn die alten Verheißungen müßten erfüllt werden; er sei auch nicht gegen den gewählten Augenblick, nur gegen die Art und Weise der Erfüllung. Er sehe "die Rechte, die Würde und die Macht der Krone gefährdet", er ahne die Gefahr, daß demnächst eine Constitution ertrotzt werde. "Da Ew. Majestät es oft ausgesprochen haben, daß eine Constitution für Preußen un- möglich sei, weil es mit derselben aufhören würde, Preußen zu sein, so müssen auch alle Mittel und Wege vermieden werden, welche unfehlbar zu diesem Ziele führen müßten."
Dann fuhr er fort -- denn an die Möglichkeit seiner eigenen glorreichen Regierung hat er in jenen Tagen nie gedacht: -- Es ist meine Pflicht, auf die Gefahren aufmerk- sam zu machen. "Aber noch eine andere Pflicht nöthigt mich dazu, es ist der Blick auf meinen Sohn! Nach dem unerforschlichen Rathschluß Gottes scheint es bestimmt zu sein,
XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne.
Zum Vierten wird das dem Landtage wie den Ausſchüſſen gewährte unbeſchränkte Petitionsrecht angefochten. Petitionen über Finanzfragen erregen nur Unzufriedenheit; „Niemand räumt ein, daß er zu viel des Geldes beſitzt; Jeder räumt ein, daß er deſſen zu wenig habe.“ Auch höhere Politik, die innere wie die auswärtige, eignet ſich nicht für ſtändiſche Petitionen. Sie wird ohnehin erſchwert durch Preußens Doppelſtellung als europäiſche und als deutſche Macht. Schon mehren ſich in der Preſſe die Ausfälle gegen die anderen deutſchen Staaten. Wie bald kann auch „das enge Band zwiſchen Preußen, Rußland und Oeſterreich, welches durch ſeine Macht bisher den Frieden auf- recht hielt“, durch Angriffe der Stände gefährdet werden!
Am allerwenigſten darf ſich das Petitionsrecht der Stände auf das Heerweſen er- ſtrecken. In allen Ländern ſtrebt die Bewegungspartei nach Abſchaffung der ſtehenden Heere; ſie ſucht ihr Ziel auf Umwegen zu erreichen, verlangt Schwächung der Armeen, Kommunalgarden ſtatt der Truppen. Für Preußen ſind dieſe Beſtrebungen beſonders gefährlich wegen unſerer Landwehr. „Daher iſt die Neigung unverkennbar, die Land- wehr auf Koſten der Linie zu erheben und ihre Trennung von der Linie immer greller zu machen, und zu beweiſen, daß die ſtrenge militäriſche Form und Disziplin ihr nicht nöthig ſei und ſie vielmehr die Stelle einer Nationalgarde einzunehmen habe.“ Die Bewegungspartei wird alſo verſuchen, die Dienſtzeit der Linie zu verkürzen und leicht eine Mehrheit finden, da alle Welt Erſparniſſe verlangt; ſelbſt die Konſervativen werden den verſteckten Plan nicht erkennen. Dieſer Plan geht dahin, daß der Soldat die ſtrenge Subordination ſich nicht mehr feſt einprägen, die Uebungen der Landwehr möglichſt ſelten ſtattfinden ſollen. Dazu die Feindſeligkeit gegen die Offiziere, die Auf- lockerung der Standesehre, namentlich bei den Offizieren der Landwehr. „Wenn Dis- cuſſionen und Petitionen gedachter Natur dem Vereinigten Landtage preisgegeben werden und die Preſſe noch mehr als bisher ſchon geſchehen entfeſſelt wird, iſt das Beſtehen der preußiſchen Landwehr, wie ſie zur wahren Ehre, zur Wohlfahrt und zum Ruhme des Vaterlandes vor 32 Jahren geſchaffen wurde, eine völlige Unmöglichkeit!!“ Kann aber Preußen nicht mehr ſeine Armee im Kriege verdoppeln oder verdreifachen, „ſo tritt Preußen auch von der Stufe, auf welche ſeine Armee es geſtellt hat, herab.“ — So lebendig ſtand dem Prinzen ſchon vor Augen, was er nach fünfzehn Jahren ſelbſt erleben und durch- kämpfen ſollte.
Auch das Petitionsrecht über ſtändiſche Verhältniſſe wollte er den Landſtänden ver- ſagen: zu nahe liege die Gefahr, daß ſie dies Recht mißbrauchten, um beſtändig über- zugreifen und, von der Preſſe unterſtützt, die Erweiterung ihrer Befugniſſe zu verlangen. Werde die Regierung dann widerſtehen können? „Somit ſteht das ganze Gebäude der ſtändiſchen Verfaſſung in Frage — eine Lage, die gewiß Niemand wollen kann, und der zu entgehen man heute noch vollkommen die Macht hat.“ Im Weſentlichen wollte die Denkſchrift alſo die Thätigkeit der Stände auf die Berathung der vorzulegenden Geſetz- entwürfe beſchränken.
Nach alledem erklärt ſich der Prinz „zu ſeiner tiefſten Betrübniß“ außer Stande, das Patent über die Berufung des Vereinigten Landtages zu unterzeichnen. Er ſei nicht gegen die Fortentwickelung der ſtändiſchen Geſetzgebung, denn die alten Verheißungen müßten erfüllt werden; er ſei auch nicht gegen den gewählten Augenblick, nur gegen die Art und Weiſe der Erfüllung. Er ſehe „die Rechte, die Würde und die Macht der Krone gefährdet“, er ahne die Gefahr, daß demnächſt eine Conſtitution ertrotzt werde. „Da Ew. Majeſtät es oft ausgeſprochen haben, daß eine Conſtitution für Preußen un- möglich ſei, weil es mit derſelben aufhören würde, Preußen zu ſein, ſo müſſen auch alle Mittel und Wege vermieden werden, welche unfehlbar zu dieſem Ziele führen müßten.“
Dann fuhr er fort — denn an die Möglichkeit ſeiner eigenen glorreichen Regierung hat er in jenen Tagen nie gedacht: — Es iſt meine Pflicht, auf die Gefahren aufmerk- ſam zu machen. „Aber noch eine andere Pflicht nöthigt mich dazu, es iſt der Blick auf meinen Sohn! Nach dem unerforſchlichen Rathſchluß Gottes ſcheint es beſtimmt zu ſein,
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XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne.
Zum Vierten wird das dem Landtage wie den Ausſchüſſen gewährte unbeſchränkte
Petitionsrecht angefochten. Petitionen über Finanzfragen erregen nur Unzufriedenheit;
„Niemand räumt ein, daß er zu viel des Geldes beſitzt; Jeder räumt ein, daß er deſſen
zu wenig habe.“ Auch höhere Politik, die innere wie die auswärtige, eignet ſich nicht
für ſtändiſche Petitionen. Sie wird ohnehin erſchwert durch Preußens Doppelſtellung
als europäiſche und als deutſche Macht. Schon mehren ſich in der Preſſe die Ausfälle
gegen die anderen deutſchen Staaten. Wie bald kann auch „das enge Band zwiſchen
Preußen, Rußland und Oeſterreich, welches durch ſeine Macht bisher den Frieden auf-
recht hielt“, durch Angriffe der Stände gefährdet werden!
Am allerwenigſten darf ſich das Petitionsrecht der Stände auf das Heerweſen er-
ſtrecken. In allen Ländern ſtrebt die Bewegungspartei nach Abſchaffung der ſtehenden
Heere; ſie ſucht ihr Ziel auf Umwegen zu erreichen, verlangt Schwächung der Armeen,
Kommunalgarden ſtatt der Truppen. Für Preußen ſind dieſe Beſtrebungen beſonders
gefährlich wegen unſerer Landwehr. „Daher iſt die Neigung unverkennbar, die Land-
wehr auf Koſten der Linie zu erheben und ihre Trennung von der Linie immer greller
zu machen, und zu beweiſen, daß die ſtrenge militäriſche Form und Disziplin ihr
nicht nöthig ſei und ſie vielmehr die Stelle einer Nationalgarde einzunehmen habe.“
Die Bewegungspartei wird alſo verſuchen, die Dienſtzeit der Linie zu verkürzen und
leicht eine Mehrheit finden, da alle Welt Erſparniſſe verlangt; ſelbſt die Konſervativen
werden den verſteckten Plan nicht erkennen. Dieſer Plan geht dahin, daß der Soldat
die ſtrenge Subordination ſich nicht mehr feſt einprägen, die Uebungen der Landwehr
möglichſt ſelten ſtattfinden ſollen. Dazu die Feindſeligkeit gegen die Offiziere, die Auf-
lockerung der Standesehre, namentlich bei den Offizieren der Landwehr. „Wenn Dis-
cuſſionen und Petitionen gedachter Natur dem Vereinigten Landtage preisgegeben werden
und die Preſſe noch mehr als bisher ſchon geſchehen entfeſſelt wird, iſt das Beſtehen der
preußiſchen Landwehr, wie ſie zur wahren Ehre, zur Wohlfahrt und zum Ruhme des
Vaterlandes vor 32 Jahren geſchaffen wurde, eine völlige Unmöglichkeit!!“ Kann aber
Preußen nicht mehr ſeine Armee im Kriege verdoppeln oder verdreifachen, „ſo tritt Preußen
auch von der Stufe, auf welche ſeine Armee es geſtellt hat, herab.“ — So lebendig ſtand
dem Prinzen ſchon vor Augen, was er nach fünfzehn Jahren ſelbſt erleben und durch-
kämpfen ſollte.
Auch das Petitionsrecht über ſtändiſche Verhältniſſe wollte er den Landſtänden ver-
ſagen: zu nahe liege die Gefahr, daß ſie dies Recht mißbrauchten, um beſtändig über-
zugreifen und, von der Preſſe unterſtützt, die Erweiterung ihrer Befugniſſe zu verlangen.
Werde die Regierung dann widerſtehen können? „Somit ſteht das ganze Gebäude der
ſtändiſchen Verfaſſung in Frage — eine Lage, die gewiß Niemand wollen kann, und der
zu entgehen man heute noch vollkommen die Macht hat.“ Im Weſentlichen wollte die
Denkſchrift alſo die Thätigkeit der Stände auf die Berathung der vorzulegenden Geſetz-
entwürfe beſchränken.
Nach alledem erklärt ſich der Prinz „zu ſeiner tiefſten Betrübniß“ außer Stande,
das Patent über die Berufung des Vereinigten Landtages zu unterzeichnen. Er ſei
nicht gegen die Fortentwickelung der ſtändiſchen Geſetzgebung, denn die alten Verheißungen
müßten erfüllt werden; er ſei auch nicht gegen den gewählten Augenblick, nur gegen die
Art und Weiſe der Erfüllung. Er ſehe „die Rechte, die Würde und die Macht der
Krone gefährdet“, er ahne die Gefahr, daß demnächſt eine Conſtitution ertrotzt werde.
„Da Ew. Majeſtät es oft ausgeſprochen haben, daß eine Conſtitution für Preußen un-
möglich ſei, weil es mit derſelben aufhören würde, Preußen zu ſein, ſo müſſen auch alle
Mittel und Wege vermieden werden, welche unfehlbar zu dieſem Ziele führen müßten.“
Dann fuhr er fort — denn an die Möglichkeit ſeiner eigenen glorreichen Regierung
hat er in jenen Tagen nie gedacht: — Es iſt meine Pflicht, auf die Gefahren aufmerk-
ſam zu machen. „Aber noch eine andere Pflicht nöthigt mich dazu, es iſt der Blick auf
meinen Sohn! Nach dem unerforſchlichen Rathſchluß Gottes ſcheint es beſtimmt zu ſein,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 772. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/786>, abgerufen am 23.11.2024.
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