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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Rußland und England gegen Frankreich.
wohlwollende Schutzherrschaft. Er traute sich's zu, diese Stellung, trotz
einiger kleinen Zugeständnisse an die anderen Mächte, auch fernerhin auf-
rechtzuhalten und also den türkischen, wie vormals den polnischen Schütz-
ling langsam für die Vernichtung vorzubereiten. Das Schicksal Syriens
kümmerte ihn wenig; für jetzt verfolgte er nur den einen Zweck, die beiden
Westmächte gründlich und für immer zu entzweien. Darum hatte sich
Brunnow, wie man in Berlin wohl bemerkte, während der letzten Wochen
bescheiden zurückgehalten; er sah voraus, daß England und Frankreich
sich doch nicht einigen würden. Jetzt aber, nachdem der Vierbund ge-
schlossen war, trat der sanfte Mann wieder hervor und führte plötzlich
eine sehr herausfordernde Sprache gegen den Tuilerienhof. Der Czar
sprach nunmehr offen aus, die Vereinsamung und Demüthigung des re-
volutionären Frankreichs sei sein Ziel. Nesselrode erklärte hochmüthig:
wenn Frankreich sich jetzt noch erbieten sollte, mit den vier Mächten ge-
meinsam zur Vertheidigung Konstantinopels mitzuwirken, so müsse man
dies Unterfangen als ein feindliches Unternehmen abweisen; ja er forderte
den Sultan im Voraus auf, jeden solchen Versuch der französischen Flotte
mit den Waffen zurückzuweisen.*) Einige Wochen darauf enthüllte er
der Wiener Hofburg ganz unzweideutig den leitenden Gedanken der rus-
sischen Politik; er schrieb: "die gegenwärtigen Meinungsverschiedenheiten
der beiden constitutionellen Mächte dürfen nicht so vollständig ausgeglichen
werden, daß wir Gefahr liefen, sie von Neuem gegen die monarchischen
Interessen verbündet zu sehen."**)

Während Rußland also an der Zerstörung der entente cordiale
arbeitete, dachte Palmerston nur an Englands mediterranische Herrschaft.
Ungestüm wie er war fühlte er sich durch Frankreichs Widerspruch, den
er schon in den spanischen Händeln so unliebsam empfunden hatte, tief
verstimmt. Seine Sprache ward immer heftiger; er wollte Frankreich
einschüchtern, der Zorn erweckte ihm eine blinde Hartnäckigkeit. "Die
Absichten der vier Mächte", schrieb er kurzweg nach Paris, "sind uneigen-
nützig und gerecht" -- eine Behauptung, die den Franzosen wie Hohn
klingen mußte, da so große englische Handelsinteressen auf dem Spiele
standen.***) In solcher Stimmung hörte Palmerston williger als sonst auf
die Rathschläge Lord Ponsonby's, der stürmisch die Vernichtung des Aegyp-
ters forderte.

Mehemed Ali verhandelte mittlerweile mit zwei Abgesandten von Thiers,
erst mit einem Sohne Casimir Perier's, dann mit einem Sohne Napoleon's
dem Grafen Walewski, der damals dem Geschichtschreiber des Kaiserreichs
sehr nahe stand, und erbot sich schließlich, einen guten Theil seines Be-

*) Westphalen's Bericht, Petersburg 7. Aug. Nesselrode, Weisung an Meyendorff
in Berlin, 27. Juli, an Titow in Konstantinopel, 20. Juli 1840.
**) Nesselrode, Weisung an Tatistschew in Wien, 10. Sept. 1840.
***) Palmerston an Bulwer, 31. Aug. 1840.
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Rußland und England gegen Frankreich.
wohlwollende Schutzherrſchaft. Er traute ſich’s zu, dieſe Stellung, trotz
einiger kleinen Zugeſtändniſſe an die anderen Mächte, auch fernerhin auf-
rechtzuhalten und alſo den türkiſchen, wie vormals den polniſchen Schütz-
ling langſam für die Vernichtung vorzubereiten. Das Schickſal Syriens
kümmerte ihn wenig; für jetzt verfolgte er nur den einen Zweck, die beiden
Weſtmächte gründlich und für immer zu entzweien. Darum hatte ſich
Brunnow, wie man in Berlin wohl bemerkte, während der letzten Wochen
beſcheiden zurückgehalten; er ſah voraus, daß England und Frankreich
ſich doch nicht einigen würden. Jetzt aber, nachdem der Vierbund ge-
ſchloſſen war, trat der ſanfte Mann wieder hervor und führte plötzlich
eine ſehr herausfordernde Sprache gegen den Tuilerienhof. Der Czar
ſprach nunmehr offen aus, die Vereinſamung und Demüthigung des re-
volutionären Frankreichs ſei ſein Ziel. Neſſelrode erklärte hochmüthig:
wenn Frankreich ſich jetzt noch erbieten ſollte, mit den vier Mächten ge-
meinſam zur Vertheidigung Konſtantinopels mitzuwirken, ſo müſſe man
dies Unterfangen als ein feindliches Unternehmen abweiſen; ja er forderte
den Sultan im Voraus auf, jeden ſolchen Verſuch der franzöſiſchen Flotte
mit den Waffen zurückzuweiſen.*) Einige Wochen darauf enthüllte er
der Wiener Hofburg ganz unzweideutig den leitenden Gedanken der ruſ-
ſiſchen Politik; er ſchrieb: „die gegenwärtigen Meinungsverſchiedenheiten
der beiden conſtitutionellen Mächte dürfen nicht ſo vollſtändig ausgeglichen
werden, daß wir Gefahr liefen, ſie von Neuem gegen die monarchiſchen
Intereſſen verbündet zu ſehen.“**)

Während Rußland alſo an der Zerſtörung der entente cordiale
arbeitete, dachte Palmerſton nur an Englands mediterraniſche Herrſchaft.
Ungeſtüm wie er war fühlte er ſich durch Frankreichs Widerſpruch, den
er ſchon in den ſpaniſchen Händeln ſo unliebſam empfunden hatte, tief
verſtimmt. Seine Sprache ward immer heftiger; er wollte Frankreich
einſchüchtern, der Zorn erweckte ihm eine blinde Hartnäckigkeit. „Die
Abſichten der vier Mächte“, ſchrieb er kurzweg nach Paris, „ſind uneigen-
nützig und gerecht“ — eine Behauptung, die den Franzoſen wie Hohn
klingen mußte, da ſo große engliſche Handelsintereſſen auf dem Spiele
ſtanden.***) In ſolcher Stimmung hörte Palmerſton williger als ſonſt auf
die Rathſchläge Lord Ponſonby’s, der ſtürmiſch die Vernichtung des Aegyp-
ters forderte.

Mehemed Ali verhandelte mittlerweile mit zwei Abgeſandten von Thiers,
erſt mit einem Sohne Caſimir Perier’s, dann mit einem Sohne Napoleon’s
dem Grafen Walewski, der damals dem Geſchichtſchreiber des Kaiſerreichs
ſehr nahe ſtand, und erbot ſich ſchließlich, einen guten Theil ſeines Be-

*) Weſtphalen’s Bericht, Petersburg 7. Aug. Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff
in Berlin, 27. Juli, an Titow in Konſtantinopel, 20. Juli 1840.
**) Neſſelrode, Weiſung an Tatiſtſchew in Wien, 10. Sept. 1840.
***) Palmerſton an Bulwer, 31. Aug. 1840.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/97>, abgerufen am 04.12.2024.