gange aller Meinungen schützen dürfte, wenn er nicht den Strohm leitete, sondern sich von diesem leiten liesse, nicht die Natur seinen Mei- nungen, sondern seine Meinungen der Natur anpasste. Und diesem Grundsatze hat er sich auch bemühet und wird er sich ferner bemü- hen, in diesem Werke treu zu bleiben. Der Leser erwarte also, hier die Natur mit einem Gewande bekleidet zu finden, das der Verfas- ser ihr angepasst hat. Aber er befürchte nicht, sie in ein Gewand eingezwängt zu sehen, das dieser für sie verfertigt hatte, ehe er sie kannte.
Dieses Gewand wird manche Lücken ha- ben. Der Verfasser wird sich auch keine Mü- he geben, diese zu verbergen. Es ist Wahn und Dünkel, zu glauben, dass Flitterstaat der Beredsamkeit, oder Blendwerke der Dialektik, oder ein heiliges Dunkel die Blössen eines Sy- stems auf immer den Augen der Welt sollten entziehen können. Die, welche diesem Wah- ne huldigten, zogen Sektirer und wurden von diesen vergöttert. Aber der Weihrauch ver- brannte bald, und die unverblendete Nachwelt setzte sie in die Classe derer, die der Wahr-
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gange aller Meinungen schützen dürfte, wenn er nicht den Strohm leitete, sondern sich von diesem leiten lieſse, nicht die Natur seinen Mei- nungen, sondern seine Meinungen der Natur anpaſste. Und diesem Grundsatze hat er sich auch bemühet und wird er sich ferner bemü- hen, in diesem Werke treu zu bleiben. Der Leser erwarte also, hier die Natur mit einem Gewande bekleidet zu finden, das der Verfas- ser ihr angepaſst hat. Aber er befürchte nicht, sie in ein Gewand eingezwängt zu sehen, das dieser für sie verfertigt hatte, ehe er sie kannte.
Dieses Gewand wird manche Lücken ha- ben. Der Verfasser wird sich auch keine Mü- he geben, diese zu verbergen. Es ist Wahn und Dünkel, zu glauben, daſs Flitterstaat der Beredsamkeit, oder Blendwerke der Dialektik, oder ein heiliges Dunkel die Blöſsen eines Sy- stems auf immer den Augen der Welt sollten entziehen können. Die, welche diesem Wah- ne huldigten, zogen Sektirer und wurden von diesen vergöttert. Aber der Weihrauch ver- brannte bald, und die unverblendete Nachwelt setzte sie in die Classe derer, die der Wahr-
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[IX/0015]
gange aller Meinungen schützen dürfte, wenn
er nicht den Strohm leitete, sondern sich von
diesem leiten lieſse, nicht die Natur seinen Mei-
nungen, sondern seine Meinungen der Natur
anpaſste. Und diesem Grundsatze hat er sich
auch bemühet und wird er sich ferner bemü-
hen, in diesem Werke treu zu bleiben. Der
Leser erwarte also, hier die Natur mit einem
Gewande bekleidet zu finden, das der Verfas-
ser ihr angepaſst hat. Aber er befürchte nicht,
sie in ein Gewand eingezwängt zu sehen, das
dieser für sie verfertigt hatte, ehe er sie
kannte.
Dieses Gewand wird manche Lücken ha-
ben. Der Verfasser wird sich auch keine Mü-
he geben, diese zu verbergen. Es ist Wahn
und Dünkel, zu glauben, daſs Flitterstaat der
Beredsamkeit, oder Blendwerke der Dialektik,
oder ein heiliges Dunkel die Blöſsen eines Sy-
stems auf immer den Augen der Welt sollten
entziehen können. Die, welche diesem Wah-
ne huldigten, zogen Sektirer und wurden von
diesen vergöttert. Aber der Weihrauch ver-
brannte bald, und die unverblendete Nachwelt
setzte sie in die Classe derer, die der Wahr-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/15>, abgerufen am 03.12.2024.
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