Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens- kraft (vis vitalis), um sie von jener Grundkraft zu unterscheiden.
Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische Untersuchungen über die ersten Gründe der menschlichen Erkenntniss, wenn die Resultate derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men- schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un- sern Untersuchungen wird man also um so mehr Zutrauen fassen, wenn man sieht, dass wir den Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die man schon in der Kindheit der Biologie unter dem Namen eines enormio~n, Lebensgeistes, oder Archeus ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die blosse Form und Mischung der Materie. Allein jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen. Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie möglich, schliesst auch alle willkührliche Voraus- setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Dass übrigens die blosse Form und Mischung der Mate-
rie
Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens- kraft (vis vitalis), um sie von jener Grundkraft zu unterscheiden.
Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische Untersuchungen über die ersten Gründe der menschlichen Erkenntniſs, wenn die Resultate derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men- schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un- sern Untersuchungen wird man also um so mehr Zutrauen fassen, wenn man sieht, daſs wir den Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die man schon in der Kindheit der Biologie unter dem Namen eines ὲνοϱμιο῀ν, Lebensgeistes, oder Archeus ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die bloſse Form und Mischung der Materie. Allein jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen. Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie möglich, schlieſst auch alle willkührliche Voraus- setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Daſs übrigens die bloſse Form und Mischung der Mate-
rie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0072"n="52"/>
Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder<lb/>
zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt<lb/>
gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben<lb/>
seyn würde. Wir nennen sie daher <hirendition="#g">Lebens-<lb/>
kraft</hi> (vis vitalis), um sie von jener Grundkraft<lb/>
zu unterscheiden.</p><lb/><p>Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert<lb/>
ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische<lb/>
Untersuchungen über die ersten Gründe der<lb/>
menschlichen Erkenntniſs, wenn die Resultate<lb/>
derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men-<lb/>
schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un-<lb/>
sern Untersuchungen wird man also um so mehr<lb/>
Zutrauen fassen, wenn man sieht, daſs wir den<lb/>
Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die<lb/>
man schon in der Kindheit der Biologie unter dem<lb/>
Namen eines ὲνοϱμιο῀ν, Lebensgeistes, oder Archeus<lb/>
ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter<lb/>
diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische<lb/>
Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die<lb/>
bloſse Form und Mischung der Materie. Allein<lb/>
jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen.<lb/>
Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser<lb/>
hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu<lb/>
vermindern. Aber der Zusatz, <hirendition="#g">so viel, wie<lb/>
möglich</hi>, schlieſst auch alle willkührliche Voraus-<lb/>
setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Daſs<lb/>
übrigens die bloſse Form und Mischung der Mate-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">rie</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[52/0072]
Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder
zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt
gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben
seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens-
kraft (vis vitalis), um sie von jener Grundkraft
zu unterscheiden.
Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert
ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische
Untersuchungen über die ersten Gründe der
menschlichen Erkenntniſs, wenn die Resultate
derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men-
schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un-
sern Untersuchungen wird man also um so mehr
Zutrauen fassen, wenn man sieht, daſs wir den
Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die
man schon in der Kindheit der Biologie unter dem
Namen eines ὲνοϱμιο῀ν, Lebensgeistes, oder Archeus
ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter
diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische
Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die
bloſse Form und Mischung der Materie. Allein
jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen.
Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser
hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu
vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie
möglich, schlieſst auch alle willkührliche Voraus-
setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Daſs
übrigens die bloſse Form und Mischung der Mate-
rie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/72>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.