zahllose Mannichfaltigkeit in die lebende Natur gebracht hat.
Aber giebt es Beweise der Erfahrung für eine solche Biegsamkeit der Organisation? Aller- dings giebt es deren, und selbst auf der höch- sten Stufe der Organisation, bey dem Menschen. Hier sind es die Missgeburthen, welche nicht nur aufs einleuchtendste beweisen, dass der le- bende Körper ein Vermögen besitzt, seine Orga- nisation der Sphäre, worin er sich befindet, selbst dann noch anzupassen, wenn auch der Zu- stand der Gesundheit mit dieser unvereinbar ist, sondern auch von noch andern Seiten unsere Mei- nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden Natur unterstützen. Um dies aber zu zeigen, müssen wir einige allgemeine Bemerkungen über Missbildungen und deren Ursachen voraus- schicken.
Unter Missbildungen oder Missgeburthen ver- stehen wir krankhafte Abweichungen von der ur- sprünglichen Struktur, bey deren Entstehung der Organismus, an welchem sie vorkommen, sich selber thätig gezeigt hat. Sie unterscheiden sich von Degenerationen darin, dass sie dem Zustande der Gesundheit unangemessen, diese aber dem- selben angemessen sind, und von blossen, durch äussere Kräfte hervorgebrachten Verstümmelungen in dem Zusatze, dass der Organismus, dem sie
eigen
zahllose Mannichfaltigkeit in die lebende Natur gebracht hat.
Aber giebt es Beweise der Erfahrung für eine solche Biegsamkeit der Organisation? Aller- dings giebt es deren, und selbst auf der höch- sten Stufe der Organisation, bey dem Menschen. Hier sind es die Miſsgeburthen, welche nicht nur aufs einleuchtendste beweisen, daſs der le- bende Körper ein Vermögen besitzt, seine Orga- nisation der Sphäre, worin er sich befindet, selbst dann noch anzupassen, wenn auch der Zu- stand der Gesundheit mit dieser unvereinbar ist, sondern auch von noch andern Seiten unsere Mei- nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden Natur unterstützen. Um dies aber zu zeigen, müssen wir einige allgemeine Bemerkungen über Miſsbildungen und deren Ursachen voraus- schicken.
Unter Miſsbildungen oder Miſsgeburthen ver- stehen wir krankhafte Abweichungen von der ur- sprünglichen Struktur, bey deren Entstehung der Organismus, an welchem sie vorkommen, sich selber thätig gezeigt hat. Sie unterscheiden sich von Degenerationen darin, daſs sie dem Zustande der Gesundheit unangemessen, diese aber dem- selben angemessen sind, und von bloſsen, durch äussere Kräfte hervorgebrachten Verstümmelungen in dem Zusatze, daſs der Organismus, dem sie
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zahllose Mannichfaltigkeit in die lebende Natur
gebracht hat.
Aber giebt es Beweise der Erfahrung für
eine solche Biegsamkeit der Organisation? Aller-
dings giebt es deren, und selbst auf der höch-
sten Stufe der Organisation, bey dem Menschen.
Hier sind es die Miſsgeburthen, welche nicht
nur aufs einleuchtendste beweisen, daſs der le-
bende Körper ein Vermögen besitzt, seine Orga-
nisation der Sphäre, worin er sich befindet,
selbst dann noch anzupassen, wenn auch der Zu-
stand der Gesundheit mit dieser unvereinbar ist,
sondern auch von noch andern Seiten unsere Mei-
nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden
Natur unterstützen. Um dies aber zu zeigen,
müssen wir einige allgemeine Bemerkungen über
Miſsbildungen und deren Ursachen voraus-
schicken.
Unter Miſsbildungen oder Miſsgeburthen ver-
stehen wir krankhafte Abweichungen von der ur-
sprünglichen Struktur, bey deren Entstehung der
Organismus, an welchem sie vorkommen, sich
selber thätig gezeigt hat. Sie unterscheiden sich
von Degenerationen darin, daſs sie dem Zustande
der Gesundheit unangemessen, diese aber dem-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 3. Göttingen, 1805, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie03_1805/434>, abgerufen am 22.11.2024.
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