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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 3. Göttingen, 1805.

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und eine ähnliche Vereinigung zu bilden sich
vorgesetzt hätte, hierbey verfahren? Man denke
nach über diese Frage, beantworte sie, wenn
man kann, und lese folgende Beschreibung, und
man wird eingestehen, dass auch missgestaltete
Werke der Natur erhabener sind über alle Men-
schenwerke, wie die höchsten Ideale der Kunst
über das Schnitzwerk und die Mahlerey tändeln-
der Knaben.

Die beyden Kinder, woraus die erwähnte
Missgeburth bestand, waren bis zur Nabelgegend
vollkommen wohl gebildet. Hier aber fing die
Abweichung vom natürlichen Baue an. Die bey-
den Schaambeine jedes Kindes hingen nicht, wie
gewöhnlich, unmittelbar unter einander durch
einen Knorpel zusammen, sondern das rechte
Schaambein des einen war mit dem linken des
andern, und das linke des letztern mit dem rech-
ten des erstern durch ein kurzes, sehr starkes,
aber auch sehr biegsames Ligament verbunden,
und diese Knochen bildeten mit den Darm-,
Sitz- und Kreutzbeinen beyder Individuen ein
einziges gemeinschaftliches Becken, welches, ver-
mittelst der erwähnten Ligamente, in der Mitte
dergestalt artikulirt war, dass die dem einen
Kinde gehörige Hälfte desselben sich um die an-
dere Hälfte bis auf einen gewissen Punkt bewe-
gen konnte. Festigkeit erhielt dieses Becken

durch

und eine ähnliche Vereinigung zu bilden sich
vorgesetzt hätte, hierbey verfahren? Man denke
nach über diese Frage, beantworte sie, wenn
man kann, und lese folgende Beschreibung, und
man wird eingestehen, daſs auch miſsgestaltete
Werke der Natur erhabener sind über alle Men-
schenwerke, wie die höchsten Ideale der Kunst
über das Schnitzwerk und die Mahlerey tändeln-
der Knaben.

Die beyden Kinder, woraus die erwähnte
Miſsgeburth bestand, waren bis zur Nabelgegend
vollkommen wohl gebildet. Hier aber fing die
Abweichung vom natürlichen Baue an. Die bey-
den Schaambeine jedes Kindes hingen nicht, wie
gewöhnlich, unmittelbar unter einander durch
einen Knorpel zusammen, sondern das rechte
Schaambein des einen war mit dem linken des
andern, und das linke des letztern mit dem rech-
ten des erstern durch ein kurzes, sehr starkes,
aber auch sehr biegsames Ligament verbunden,
und diese Knochen bildeten mit den Darm-,
Sitz- und Kreutzbeinen beyder Individuen ein
einziges gemeinschaftliches Becken, welches, ver-
mittelst der erwähnten Ligamente, in der Mitte
dergestalt artikulirt war, daſs die dem einen
Kinde gehörige Hälfte desselben sich um die an-
dere Hälfte bis auf einen gewissen Punkt bewe-
gen konnte. Festigkeit erhielt dieses Becken

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[454/0464] und eine ähnliche Vereinigung zu bilden sich vorgesetzt hätte, hierbey verfahren? Man denke nach über diese Frage, beantworte sie, wenn man kann, und lese folgende Beschreibung, und man wird eingestehen, daſs auch miſsgestaltete Werke der Natur erhabener sind über alle Men- schenwerke, wie die höchsten Ideale der Kunst über das Schnitzwerk und die Mahlerey tändeln- der Knaben. Die beyden Kinder, woraus die erwähnte Miſsgeburth bestand, waren bis zur Nabelgegend vollkommen wohl gebildet. Hier aber fing die Abweichung vom natürlichen Baue an. Die bey- den Schaambeine jedes Kindes hingen nicht, wie gewöhnlich, unmittelbar unter einander durch einen Knorpel zusammen, sondern das rechte Schaambein des einen war mit dem linken des andern, und das linke des letztern mit dem rech- ten des erstern durch ein kurzes, sehr starkes, aber auch sehr biegsames Ligament verbunden, und diese Knochen bildeten mit den Darm-, Sitz- und Kreutzbeinen beyder Individuen ein einziges gemeinschaftliches Becken, welches, ver- mittelst der erwähnten Ligamente, in der Mitte dergestalt artikulirt war, daſs die dem einen Kinde gehörige Hälfte desselben sich um die an- dere Hälfte bis auf einen gewissen Punkt bewe- gen konnte. Festigkeit erhielt dieses Becken durch

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 3. Göttingen, 1805, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie03_1805/464>, abgerufen am 22.11.2024.