verloren ging, entkräften. Der letztere Einwurf ist ungültig, weil Heuermann nicht gänz- lichen Verlust des Geschmacks nach der Durchschneidung des Zungenfleischnerven beob- achtete, und sich also freylich aus seiner Erfah- rung nur schliessen lässt, dass dieser Nerve Antheil an der Funktion des Schmeckens hat, nicht aber, dass derselbe einziger Geschmacks- nerve ist. Für diese Folgerung spricht auch die Verbindung der Aeste des Zungenfleischnerven mit den Zungennerven vom fünften Paar, ein Umstand, der bey allen Nerven, wobey er statt findet, auf Gleichartigkeit der Verrichtungen hindeutet. Es ist hier um so mehr verstattet, aus dieser Verbindung auf einen Antheil beyder Nerven an jener Funktion zu schliessen, da in den Organen des Geruchs, Gehörs und Gesichts die Zweige des fünften Hirnnerven offenbar blos Hülfsnerven sind, der sonstige Hülfsnerve also in der Zunge aller Analogie zuwider ein- ziger Sinnesnerve seyn würde, wenn nicht gleichartig mit ihm der Zungenfleischnerve wirkte.
Meckel beruft sich zur Unterstützung sei- ner Meinung auf einen von Columbus erzähl- ten Fall, wo angeborner Mangel des Geschmacks vorhanden gewesen seyn soll, weil sich der Zungenast vom fünften Paar nicht in der Zunge,
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verloren ging, entkräften. Der letztere Einwurf ist ungültig, weil Heuermann nicht gänz- lichen Verlust des Geschmacks nach der Durchschneidung des Zungenfleischnerven beob- achtete, und sich also freylich aus seiner Erfah- rung nur schlieſsen läſst, daſs dieser Nerve Antheil an der Funktion des Schmeckens hat, nicht aber, daſs derselbe einziger Geschmacks- nerve ist. Für diese Folgerung spricht auch die Verbindung der Aeste des Zungenfleischnerven mit den Zungennerven vom fünften Paar, ein Umstand, der bey allen Nerven, wobey er statt findet, auf Gleichartigkeit der Verrichtungen hindeutet. Es ist hier um so mehr verstattet, aus dieser Verbindung auf einen Antheil beyder Nerven an jener Funktion zu schlieſsen, da in den Organen des Geruchs, Gehörs und Gesichts die Zweige des fünften Hirnnerven offenbar blos Hülfsnerven sind, der sonstige Hülfsnerve also in der Zunge aller Analogie zuwider ein- ziger Sinnesnerve seyn würde, wenn nicht gleichartig mit ihm der Zungenfleischnerve wirkte.
Meckel beruft sich zur Unterstützung sei- ner Meinung auf einen von Columbus erzähl- ten Fall, wo angeborner Mangel des Geschmacks vorhanden gewesen seyn soll, weil sich der Zungenast vom fünften Paar nicht in der Zunge,
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verloren ging, entkräften. Der letztere Einwurf
ist ungültig, weil Heuermann nicht gänz-
lichen Verlust des Geschmacks nach der
Durchschneidung des Zungenfleischnerven beob-
achtete, und sich also freylich aus seiner Erfah-
rung nur schlieſsen läſst, daſs dieser Nerve
Antheil an der Funktion des Schmeckens hat,
nicht aber, daſs derselbe einziger Geschmacks-
nerve ist. Für diese Folgerung spricht auch die
Verbindung der Aeste des Zungenfleischnerven
mit den Zungennerven vom fünften Paar, ein
Umstand, der bey allen Nerven, wobey er statt
findet, auf Gleichartigkeit der Verrichtungen
hindeutet. Es ist hier um so mehr verstattet,
aus dieser Verbindung auf einen Antheil beyder
Nerven an jener Funktion zu schlieſsen, da in
den Organen des Geruchs, Gehörs und Gesichts
die Zweige des fünften Hirnnerven offenbar
blos Hülfsnerven sind, der sonstige Hülfsnerve
also in der Zunge aller Analogie zuwider ein-
ziger Sinnesnerve seyn würde, wenn nicht
gleichartig mit ihm der Zungenfleischnerve
wirkte.
Meckel beruft sich zur Unterstützung sei-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/254>, abgerufen am 21.11.2024.
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