lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst wahrscheinlich ist es indess, dass es Töne giebt, wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen, und die Wirkung solcher Töne auf sie kann sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund für uns verborgen ist. Bey allen den chemi- schen und physischen Veränderungen, die un- aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen, finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe- gungen statt. Diese sind viel zu schwach für unser Ohr. Es lässt sich aber die Möglichkeit denken, dass es weit schärfere Hörwerkzeuge als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr- zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein so feines Gehör besässe, würde jeder Gegen- stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein solcher Ersatz würde sich bey geblendeten Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach Spallanzani's bekannten Versuchen o), eben so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch
der
o) In dessen Lettere sopra il sospetto d' un nuovo senso nei Pipistrelli 1794. Gren's Journal der Physik. B. 1. S. 399.
VI. Bd. Y
lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst wahrscheinlich ist es indeſs, daſs es Töne giebt, wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen, und die Wirkung solcher Töne auf sie kann sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund für uns verborgen ist. Bey allen den chemi- schen und physischen Veränderungen, die un- aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen, finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe- gungen statt. Diese sind viel zu schwach für unser Ohr. Es läſst sich aber die Möglichkeit denken, daſs es weit schärfere Hörwerkzeuge als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr- zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein so feines Gehör besäſse, würde jeder Gegen- stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein solcher Ersatz würde sich bey geblendeten Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach Spallanzani’s bekannten Versuchen o), eben so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch
der
o) In dessen Lettere sopra il sospetto d’ un nuovo senso nei Pipistrelli 1794. Gren’s Journal der Physik. B. 1. S. 399.
VI. Bd. Y
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0349"n="331"/>
lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein<lb/>
immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie<lb/>
Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen<lb/>
fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst<lb/>
wahrscheinlich ist es indeſs, daſs es Töne giebt,<lb/>
wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber<lb/>
die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen,<lb/>
und die Wirkung solcher Töne auf sie kann<lb/>
sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund<lb/>
für uns verborgen ist. Bey allen den chemi-<lb/>
schen und physischen Veränderungen, die un-<lb/>
aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen,<lb/>
finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe-<lb/>
gungen statt. Diese sind viel zu schwach für<lb/>
unser Ohr. Es läſst sich aber die Möglichkeit<lb/>
denken, daſs es weit schärfere Hörwerkzeuge<lb/>
als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr-<lb/>
zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein<lb/>
so feines Gehör besäſse, würde jeder Gegen-<lb/>
stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm<lb/>
die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein<lb/>
solcher Ersatz würde sich bey geblendeten<lb/>
Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach<lb/><hirendition="#k">Spallanzani</hi>’s bekannten Versuchen <noteplace="foot"n="o)">In dessen Lettere sopra il sospetto d’ un nuovo<lb/>
senso nei Pipistrelli 1794. <hirendition="#k">Gren</hi>’s Journal der Physik.<lb/>
B. 1. S. 399.</note>, eben<lb/>
so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">VI. Bd.</hi> Y</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[331/0349]
lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein
immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie
Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen
fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst
wahrscheinlich ist es indeſs, daſs es Töne giebt,
wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber
die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen,
und die Wirkung solcher Töne auf sie kann
sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund
für uns verborgen ist. Bey allen den chemi-
schen und physischen Veränderungen, die un-
aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen,
finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe-
gungen statt. Diese sind viel zu schwach für
unser Ohr. Es läſst sich aber die Möglichkeit
denken, daſs es weit schärfere Hörwerkzeuge
als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr-
zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein
so feines Gehör besäſse, würde jeder Gegen-
stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm
die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein
solcher Ersatz würde sich bey geblendeten
Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach
Spallanzani’s bekannten Versuchen o), eben
so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch
der
o) In dessen Lettere sopra il sospetto d’ un nuovo
senso nei Pipistrelli 1794. Gren’s Journal der Physik.
B. 1. S. 399.
VI. Bd. Y
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/349>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.