tem Blick zu einem Vergleichungspunkt hat, der Mensch hingegen den Blick immer verändern muss, um den Hauptgegenstand mit den neben- liegenden Objekten zu vergleichen.
Allen unsern bisherigen Bemerkungen liegt der Satz zum Grunde, dass, so zahlreich auch die Sehewerkzeuge eines Thiers seyn mögen, jeder Gesichtseindruck, von welchem alle gleich- zeitig getroffen werden, immer nur eine ein- fache Empfindung hervorbringt. Diese Voraus- setzung bedarf keiner Rechtfertigung. Das Leben des Thiers, wofür sie nicht Gültigkeit hätte, wäre ein zerrissenes Daseyn. Aber woher die Einfachheit der Anschauung jedes Objekts, da doch jedes Auge von demselben besonders ge- rührt wird? Diese Frage ist das zweyte grosse Problem in der Lehre vom subjektiven Sehen. Die Beantwortung derselben lässt sich nicht in der Ursache finden, worin sie von einigen Schriftstellern gesucht ist, dass immer nur das eine Auge sieht m). In der Regel sehen beyde Augen zugleich. Das rechte überschauet zur Rechten, das linke zur Linken einen Abschnitt des ganzen Gesichtskreises, der von dem andern nicht wahrgenommen wird. Ruhete das eine beym gewöhnlichen Sehen ganz, so würde die- ser Abschnitt dem andern entschwinden müssen,
wel-
m)Gassendr Physica. S. III. c. 3.
tem Blick zu einem Vergleichungspunkt hat, der Mensch hingegen den Blick immer verändern muſs, um den Hauptgegenstand mit den neben- liegenden Objekten zu vergleichen.
Allen unsern bisherigen Bemerkungen liegt der Satz zum Grunde, daſs, so zahlreich auch die Sehewerkzeuge eines Thiers seyn mögen, jeder Gesichtseindruck, von welchem alle gleich- zeitig getroffen werden, immer nur eine ein- fache Empfindung hervorbringt. Diese Voraus- setzung bedarf keiner Rechtfertigung. Das Leben des Thiers, wofür sie nicht Gültigkeit hätte, wäre ein zerrissenes Daseyn. Aber woher die Einfachheit der Anschauung jedes Objekts, da doch jedes Auge von demselben besonders ge- rührt wird? Diese Frage ist das zweyte groſse Problem in der Lehre vom subjektiven Sehen. Die Beantwortung derselben läſst sich nicht in der Ursache finden, worin sie von einigen Schriftstellern gesucht ist, daſs immer nur das eine Auge sieht m). In der Regel sehen beyde Augen zugleich. Das rechte überschauet zur Rechten, das linke zur Linken einen Abschnitt des ganzen Gesichtskreises, der von dem andern nicht wahrgenommen wird. Ruhete das eine beym gewöhnlichen Sehen ganz, so würde die- ser Abschnitt dem andern entschwinden müssen,
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m)Gassendr Physica. S. III. c. 3.
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tem Blick zu einem Vergleichungspunkt hat, der
Mensch hingegen den Blick immer verändern
muſs, um den Hauptgegenstand mit den neben-
liegenden Objekten zu vergleichen.
Allen unsern bisherigen Bemerkungen liegt
der Satz zum Grunde, daſs, so zahlreich auch
die Sehewerkzeuge eines Thiers seyn mögen,
jeder Gesichtseindruck, von welchem alle gleich-
zeitig getroffen werden, immer nur eine ein-
fache Empfindung hervorbringt. Diese Voraus-
setzung bedarf keiner Rechtfertigung. Das Leben
des Thiers, wofür sie nicht Gültigkeit hätte,
wäre ein zerrissenes Daseyn. Aber woher die
Einfachheit der Anschauung jedes Objekts, da
doch jedes Auge von demselben besonders ge-
rührt wird? Diese Frage ist das zweyte groſse
Problem in der Lehre vom subjektiven Sehen.
Die Beantwortung derselben läſst sich nicht in
der Ursache finden, worin sie von einigen
Schriftstellern gesucht ist, daſs immer nur das
eine Auge sieht m). In der Regel sehen beyde
Augen zugleich. Das rechte überschauet zur
Rechten, das linke zur Linken einen Abschnitt
des ganzen Gesichtskreises, der von dem andern
nicht wahrgenommen wird. Ruhete das eine
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m) Gassendr Physica. S. III. c. 3.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/592>, abgerufen am 24.11.2024.
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