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Trichter, Valentin: Curiöses Reit- Jagd- Fecht- Tantz- oder Ritter-Exercitien-Lexicon. Leipzig, 1742.

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Kir
Gloria, die Absingung der Ein-
setzungs-Worte des Heil. Abend-
mahls, des Vater Unsers etc. Die-
ser gebundene Styl, welcher nur
einstimmig ist, ward ehedem we-
gen einiger Verwandtschaft und
Verbindung auch der

Capellen-Styl genennet, wenn
nemlich über einen solchen gebun-
denen Gesang, der fest und un-
beweglich blieb, mit vieler Ge-
schicklichkeit von den andern Ca-
pell-Stimmen gekünstelt ward; da-
bey man denn ebenfalls an gewisse
Schlüsse, enge Schrancken und Jn-
tervalle gebunden war; die Absätze
und Ruhe-Stellen der Melodie in
die Terz und Qvart musten sich
ausmustern lassen; die Grentzen
der geborgten Ton-Arten wurden
genau von den vermeintlichen
selbstständigen unterschieden; das
Jntervall der Sext durfte sich bey
Leibe in dem Gesange nicht mel-
den etc. welches also mit Recht ei-
ne gebundene Setz-Art hieß. Ob
wir uns gleich nach diesem gebun-
denen Styl nicht richten, und sei-
ner auch in den Choral-Gesängen
entbehren können, indem wir
uns dafür der melismatischen
Schreibart bedienen: So machen
wir doch geistliche Lieder und Psal-
men, Gott damit zu ehren, zu lo-
ben, und in der Gemeine, Christ-
lichen zu preisen, Andacht und
Erbauung zu erwecken; denn al-
le Kirchen-Music zielet dahin ab
und ihre Vollkommenheit bestehet
darinne, daß sie zur Gottesfurcht
auf eine vernünftige, bedachtsame,
einmüthige, edle und ernsthaste
Weise anreitze.

2) Stylus Motecticus, der Mo-
teten-Styl, hat vermuthlich seinen
Nahmen von dem Jtalienischen
Motto, welches ein Wort bedeu-
[Spaltenumbruch]

Kir
tet, weil nur wenig Worte bey
demselben zum Grunde geleget
werden, aber sonst viel buntes,
verbrämtes, und mit Fugen, Alla-
breven, Contrapuncten künstlich-
durch-wircktes Wesen zulässet,
wobey iedoch der Wort-Verstand,
das ist der Sinn des Textes, und
die rechte Führung einer angeneh-
men Melodie leidet. Man hat
noch vor kurtzer Zeit diesem Mo-
teten-Styl den Vorzug in der
Kirche zustehen wollen, ungeacht
er in gar alten Zeiten für verächt-
lich und unheilig geachtet worden,
daß er sich kaum in Kirchen hat dür-
fen blicken lassen. Heutiges Tages
erstrecket sich die Bedeutung des
Moteten-Styls fast auf alle Latei-
nische Kirchen-Stücke überhaupt;
indem wol gantze Psalmen nach
dieser Art mit beständigem Fugiren
durchgearbeitet werden. Er kan auch
gar wohl, und muß in geistlichen
Sachen beybehalten werden, da-
fern man nur die nach demselben
eingerichteten Sätze mit andern
klüglich abwechselt.

3) Stylus Madrigalescus, der
Madrigalen-Styl, ist die dritte
Gattung des Kirchen Styls, wie-
wol er nicht nur in Kirchen, son-
dern auch auf der Schaubühne,
und in Sälen und Zimmern ge-
braucht wird; denn er hat O-
ratori
en, Paßiones, Gespräche,
Arien, Cavaten, Serenaden, Au-
baden, Cantaten etc. ja die Opern
selbst in seinen Händen. Ehedes-
sen wurden solche Madrigale, fast
wie die Moteten, concertirend ge-
setzet; in einer Cavata lässet sich
ein förmliches Madrigal anbrin-
gen, doch muß dabey allemal mehr
redendes und fliessendes, als ge-
dehntes, hochtrabendes oder durch-

broche-

[Spaltenumbruch]

Kir
Gloria, die Abſingung der Ein-
ſetzungs-Worte des Heil. Abend-
mahls, des Vater Unſers ꝛc. Die-
ſer gebundene Styl, welcher nur
einſtimmig iſt, ward ehedem we-
gen einiger Verwandtſchaft und
Verbindung auch der

Capellen-Styl genennet, wenn
nemlich uͤber einen ſolchen gebun-
denen Geſang, der feſt und un-
beweglich blieb, mit vieler Ge-
ſchicklichkeit von den andern Ca-
pell-Stim̃en gekuͤnſtelt ward; da-
bey man denn ebenfalls an gewiſſe
Schluͤſſe, enge Schrancken und Jn-
tervalle gebunden war; die Abſaͤtze
und Ruhe-Stellen der Melodie in
die Terz und Qvart muſten ſich
ausmuſtern laſſen; die Grentzen
der geborgten Ton-Arten wurden
genau von den vermeintlichen
ſelbſtſtaͤndigen unterſchieden; das
Jntervall der Sext durfte ſich bey
Leibe in dem Geſange nicht mel-
den ꝛc. welches alſo mit Recht ei-
ne gebundene Setz-Art hieß. Ob
wir uns gleich nach dieſem gebun-
denen Styl nicht richten, und ſei-
ner auch in den Choral-Geſaͤngen
entbehren koͤnnen, indem wir
uns dafuͤr der melismatiſchen
Schreibart bedienen: So machen
wir doch geiſtliche Lieder und Pſal-
men, Gott damit zu ehren, zu lo-
ben, und in der Gemeine, Chriſt-
lichen zu preiſen, Andacht und
Erbauung zu erwecken; denn al-
le Kirchen-Muſic zielet dahin ab
und ihre Vollkommenheit beſtehet
darinne, daß ſie zur Gottesfurcht
auf eine vernuͤnftige, bedachtſame,
einmuͤthige, edle und ernſthaſte
Weiſe anreitze.

2) Stylus Motecticus, der Mo-
teten-Styl, hat vermuthlich ſeinen
Nahmen von dem Jtalieniſchen
Motto, welches ein Wort bedeu-
[Spaltenumbruch]

Kir
tet, weil nur wenig Worte bey
demſelben zum Grunde geleget
werden, aber ſonſt viel buntes,
verbraͤmtes, und mit Fugen, Alla-
breven, Contrapuncten kuͤnſtlich-
durch-wircktes Weſen zulaͤſſet,
wobey iedoch der Wort-Verſtand,
das iſt der Sinn des Textes, und
die rechte Fuͤhrung einer angeneh-
men Melodie leidet. Man hat
noch vor kurtzer Zeit dieſem Mo-
teten-Styl den Vorzug in der
Kirche zuſtehen wollen, ungeacht
er in gar alten Zeiten fuͤr veraͤcht-
lich und unheilig geachtet worden,
daß er ſich kaum in Kirchen hat duͤr-
fen blicken laſſen. Heutiges Tages
erſtrecket ſich die Bedeutung des
Moteten-Styls faſt auf alle Latei-
niſche Kirchen-Stuͤcke uͤberhaupt;
indem wol gantze Pſalmen nach
dieſer Art mit beſtaͤndigem Fugiren
durchgearbeitet werdẽ. Er kan auch
gar wohl, und muß in geiſtlichen
Sachen beybehalten werden, da-
fern man nur die nach demſelben
eingerichteten Saͤtze mit andern
kluͤglich abwechſelt.

3) Stylus Madrigaleſcus, der
Madrigalen-Styl, iſt die dritte
Gattung des Kirchen Styls, wie-
wol er nicht nur in Kirchen, ſon-
dern auch auf der Schaubuͤhne,
und in Saͤlen und Zimmern ge-
braucht wird; denn er hat O-
ratori
en, Paßiones, Geſpraͤche,
Arien, Cavaten, Serenaden, Au-
baden, Cantaten ꝛc. ja die Opern
ſelbſt in ſeinen Haͤnden. Ehedeſ-
ſen wurden ſolche Madrigale, faſt
wie die Moteten, concertirend ge-
ſetzet; in einer Cavata laͤſſet ſich
ein foͤrmliches Madrigal anbrin-
gen, doch muß dabey allemal mehr
redendes und flieſſendes, als ge-
dehntes, hochtrabendes oder durch-

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[0630] Kir Kir Gloria, die Abſingung der Ein- ſetzungs-Worte des Heil. Abend- mahls, des Vater Unſers ꝛc. Die- ſer gebundene Styl, welcher nur einſtimmig iſt, ward ehedem we- gen einiger Verwandtſchaft und Verbindung auch der Capellen-Styl genennet, wenn nemlich uͤber einen ſolchen gebun- denen Geſang, der feſt und un- beweglich blieb, mit vieler Ge- ſchicklichkeit von den andern Ca- pell-Stim̃en gekuͤnſtelt ward; da- bey man denn ebenfalls an gewiſſe Schluͤſſe, enge Schrancken und Jn- tervalle gebunden war; die Abſaͤtze und Ruhe-Stellen der Melodie in die Terz und Qvart muſten ſich ausmuſtern laſſen; die Grentzen der geborgten Ton-Arten wurden genau von den vermeintlichen ſelbſtſtaͤndigen unterſchieden; das Jntervall der Sext durfte ſich bey Leibe in dem Geſange nicht mel- den ꝛc. welches alſo mit Recht ei- ne gebundene Setz-Art hieß. Ob wir uns gleich nach dieſem gebun- denen Styl nicht richten, und ſei- ner auch in den Choral-Geſaͤngen entbehren koͤnnen, indem wir uns dafuͤr der melismatiſchen Schreibart bedienen: So machen wir doch geiſtliche Lieder und Pſal- men, Gott damit zu ehren, zu lo- ben, und in der Gemeine, Chriſt- lichen zu preiſen, Andacht und Erbauung zu erwecken; denn al- le Kirchen-Muſic zielet dahin ab und ihre Vollkommenheit beſtehet darinne, daß ſie zur Gottesfurcht auf eine vernuͤnftige, bedachtſame, einmuͤthige, edle und ernſthaſte Weiſe anreitze. 2) Stylus Motecticus, der Mo- teten-Styl, hat vermuthlich ſeinen Nahmen von dem Jtalieniſchen Motto, welches ein Wort bedeu- tet, weil nur wenig Worte bey demſelben zum Grunde geleget werden, aber ſonſt viel buntes, verbraͤmtes, und mit Fugen, Alla- breven, Contrapuncten kuͤnſtlich- durch-wircktes Weſen zulaͤſſet, wobey iedoch der Wort-Verſtand, das iſt der Sinn des Textes, und die rechte Fuͤhrung einer angeneh- men Melodie leidet. Man hat noch vor kurtzer Zeit dieſem Mo- teten-Styl den Vorzug in der Kirche zuſtehen wollen, ungeacht er in gar alten Zeiten fuͤr veraͤcht- lich und unheilig geachtet worden, daß er ſich kaum in Kirchen hat duͤr- fen blicken laſſen. Heutiges Tages erſtrecket ſich die Bedeutung des Moteten-Styls faſt auf alle Latei- niſche Kirchen-Stuͤcke uͤberhaupt; indem wol gantze Pſalmen nach dieſer Art mit beſtaͤndigem Fugiren durchgearbeitet werdẽ. Er kan auch gar wohl, und muß in geiſtlichen Sachen beybehalten werden, da- fern man nur die nach demſelben eingerichteten Saͤtze mit andern kluͤglich abwechſelt. 3) Stylus Madrigaleſcus, der Madrigalen-Styl, iſt die dritte Gattung des Kirchen Styls, wie- wol er nicht nur in Kirchen, ſon- dern auch auf der Schaubuͤhne, und in Saͤlen und Zimmern ge- braucht wird; denn er hat O- ratorien, Paßiones, Geſpraͤche, Arien, Cavaten, Serenaden, Au- baden, Cantaten ꝛc. ja die Opern ſelbſt in ſeinen Haͤnden. Ehedeſ- ſen wurden ſolche Madrigale, faſt wie die Moteten, concertirend ge- ſetzet; in einer Cavata laͤſſet ſich ein foͤrmliches Madrigal anbrin- gen, doch muß dabey allemal mehr redendes und flieſſendes, als ge- dehntes, hochtrabendes oder durch- broche-

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Zitationshilfe: Trichter, Valentin: Curiöses Reit- Jagd- Fecht- Tantz- oder Ritter-Exercitien-Lexicon. Leipzig, 1742, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/trichter_ritterexercitienlexikon_1742/630>, abgerufen am 22.11.2024.